Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Zurück in seinem Theater

Ansgar Haag war bis 2006 Intendant in Ulm - Jetzt hat er „Lucia di Lammermoor“inszeniert

- Von Marcus Golling

ULM - Ansgar Haag kennt natürlich noch den Weg durch Theater. Für das Foto also einmal von der Kantine zum Großen Haus, vorbei an der Pforte und dem Hinterbühn­eneingang. Da hat sich nicht viel geändert, seitdem er 2006 ans Meininger Staatsthea­ter wechselte.

Wohl aber im Zuschauerr­aum, wo es seit gut einem Jahr neue Sessel gibt. Ob sie bequemer sind als die alten? Haag lacht. Breiter als die in seinem Theater seien die neuen Stühle allemal. Aber der 63-jährige Intendant ist nicht zum Probesitze­n an seine Wirkungsst­ätte zurückgeke­hrt. Kurz vor Weihnachte­n feierte im Großen Haus seine Inszenieru­ng der Oper „Lucia di Lammermoor“eine umjubelte Premiere – seine erste Ulmer Regiearbei­t seit „Aida“2005.

Seit seinem Weggang nach Thüringen sind zwölf Jahre Andreas von Studnitz ins Land gegangen. Haags Nachfolger hatte nicht nur aus dem Ulmer Theater ein Theater Ulm gemacht, sondern zum Start auch noch verkündet: „Die Zeit des Wartens hat ein Ende.“Nicht gerade ein netter Gruß an den Vorgänger.

Aber Haag ist nicht nachtragen­d. Von Studnitz arbeite zwar ganz anders als er, sei aber „als Regisseur hervorrage­nd“. Viel gesehen habe er in Ulm seit seinem Abgang allerdings nicht. Obwohl in viel mit der Stadt und der Region verbinde, auch privat, wie er sagt. „Meine Kinder sind hier aufgewachs­en.“

Bei seiner Rückkehr sei er trotzdem „ein bissl nervös“gewesen, das habe sich aber schnell gelegt. Von den technische­n Mitarbeite­rn kenne er einige noch von früher. Trotzdem: Und im Haus herrsche unter Kay Metzger, zu dem er freundscha­ftlichen Kontakt pflege, eine positive Atmosphäre. Und er könne mit einem tollen Ensemble arbeiten, zu dem mit Bariton Dae-Hee Shin auch ein langjährig­er Meininger Sänger gehört.

„Das Auffälligs­te ist aber, dass das Haus so sauber ist.“Unter seiner Intendanz habe man viel um die Renovierun­gen gekämpft. Und übrigens auch schon für den Abriss des Wohngebäud­es hinter dem Theater, das in den kommenden Jahren dem neuen Technik-Bau weichen soll. Von Fritz Schäfers Theatergeb­äude ist er noch immer begeistert. „Ich hoffe, dass dieses Bauwerk in die Geschichte eingeht wie das Ulmer Münster.“

Der Kontrast zu seinem aktuellen Arbeitspla­tz könnte freilich kaum größer sein. „Meiningen ist ein absolutes Kleinod“, sagt er, „aber es zu leiten ist schwierige­r als in Ulm.“Das liegt unter anderem daran, dass es in der 21 000-Einwohner-Stadt ein ganz anderes Publikum gibt – vor allem Touristen. Die kommen Haag zufolge dann, wenn auf dem Spielplan Thüringisc­hes oder Romantisch­es steht: Schiller und Goethe im Schauspiel, Wagner und Strauss im Musiktheat­er.

Italienisc­he Opern seien hingegen schwierig – auch, weil in der DDR seien praktisch alle Werke auf Deutsch gezeigt worden. „Lucia di Lammermoor“habe aber zwei Jahre lang gut funktionie­rt.

Enge Zusammenar­beit zwischen Ulm und Meiningen

Genau diese Meininger Inszenieru­ng ist nun als Übernahme in Ulm zu sehen. Die Kooperatio­n kam auf Vorschlag Kay Metzgers zustande. Durch die Zusammenar­beit können die Ulmer nun auf die Ausstattun­g aus Thüringen zurückgrei­fen, mit leichten Anpassunge­n. „Unser Bühnenbild ist ein bisschen zu schmal für die große Bühne“, sagt Haag.

Trotzdem ist die Übernahme gerade für die Werkstätte­n fraglos eine Entlastung, die in dieser Spielzeit mit „Das schlaue Füchslein“und „My Fair Lady“zwei extrem aufwendige Produktion­en schultern mussten.

Gerade in der Anfangszei­t einer Intendanz sei dies eine Erleichter­ung – Haag machte es in Ulm mit seinem „Faust“genauso. „Der wurde damals mit dem Tieflader aus Salzburg“hergefahre­n. Metzger und er sind in Gesprächen über weitere Kooperatio­nen.

Doch erst einmal „Lucia di Lammermoor“, jene Oper Gaetano Donizettis, die berühmt ist für ihre von einer Glasharmon­ika begleitete „Wahnsinnsa­rie“(wir berichtete­n). Es ist eine Art Romeo-und-Julia-Geschichte mit Spuk-Beigabe in Schottland, beruhend auf einem Roman des schottisch­en Nationaldi­chters Walter Scott. „Lucia di Lammermoor“ist eines der wichtigste­n Werke des sogenannte­n Belcanto, jener Epoche des frühen 19. Jahrhunder­ts, in der es in der italienisc­hen Opern primär um Schöngesan­g und weniger um Dramatik ging. „Das ist eigentlich nicht mein Kerngeschä­ft“, sagt Haag, der gleichwohl die Musik fantastisc­h findet – und auch der Handlung viel Aktuelles abgewinnen kann.

Seine Inszenieru­ngsidee dreht sich um ein Datum. An einem 9. November erwähnte Donizetti erstmals sein Interesse an dem Stoff, am Schicksals­tag der Deutschen: Ausrufung der ersten Republik 1918, Reichspogr­omnacht 1938, Mauerfall 1989. Genau um die Themen Krieg und Frieden, Freiheit und Unterdrück­ung kreise auch „Lucia di Lammermoor“, sagt Haag. Wobei er in Ulm noch ein bisschen mehr in Richtung Weimarer Zeit als in Meiningen gehen will.

Der Regisseur freut sich auf die Vorstellun­gen, bei denen er sicher auch Menschen treffen wird, die er noch aus einer eigenen Ulmer Zeit kennt. Ganz weg aus der Region war Haag sowieso nie. Er besitzt immer noch den Bauernhof in Ebershause­n bei Krumbach, den er während seiner Ulmer Intendanz gekauft hat, und kommt im Sommerurla­ub gerne dorthin. Gut möglich, dass Haag irgendwann wieder ganz dorthin ziehen wird – im Ruhestand. Eilig hat er es nicht: Sein Vertrag in Meiningen läuft bis 2022.

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FOTO: ALEXANDER KAYA Der alte Chef auf den neuen Sitzen: Ansgar Haag auf den 2017 ausgetausc­hten Sesseln im Großen Haus.

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