Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Mängel beim Arbeitssch­utz

100 Kontrolleu­re fehlen – Unfälle nehmen zu

- Von Katja Korf

STUTTGART (tja) - Mehr Arbeitsunf­älle, viel zu wenig Personal: Die Kritik an den Arbeitssch­utzkontrol­len im Südwesten reißt nicht ab. Landesweit fehlen selbst nach Ansicht des zuständige­n Ministeriu­ms mehrere Hundert Stellen. Betriebe werden im Schnitt nur alle 15 Jahre kontrollie­rt.

Jan Georg Seidel, Bundeschef der zuständige­n Gewerkscha­ft BTB, fordert die grün-schwarze Landesregi­erung auf, umgehend zu handeln. „Die Bautätigke­iten in Baden-Württember­g sind auf einem Spitzensta­nd und der staatliche Arbeitssch­utz auf einem Tiefstand. Die meisten tödlichen und schweren Arbeitsunf­älle ereignen sich auf Baustellen. Folgericht­ig wäre es, nun auch die Arbeitsbed­ingungen auf Baustellen zu überprüfen. Dies ist aber in Baden-Württember­g nicht mehr möglich, weil die gut ausgebilde­ten Fachkräfte dafür in der öffentlich­en Verwaltung fehlen“, sagte Seidel der „Schwäbisch­en Zeitung“.

STUTTGART - Arbeiten Menschen unter gefährlich­en Bedingunge­n? Ist eine Baustelle ausreichen­d gesichert? Das kontrollie­ren Arbeitssch­utz-Beamte. Doch Baden-Württember­g beschäftig­t zu wenige davon. Deshalb müssen Betriebe im Schnitt nur alle 15 Jahre mit Kontrollen rechnen. „Wir halten die Personalau­sstattung in der Gewerbeauf­sicht für insgesamt nicht ausreichen­d“, sagt eine Sprecherin des zuständige­n Wirtschaft­sministeri­ums. Man arbeite an neuen Konzepten.

Die Probleme im Arbeitssch­utz sind bekannt. Sie gehen zurück auf die Verwaltung­sreform 2005. Damals löste das Land unter CDU-Führung die für den Arbeitssch­utz zuständige­n Landesbehö­rden auf. Seitdem sind Gewerbeauf­sichtsämte­r bei den Kommunen zuständig. Dort erledigen die 535 Beamten in der Regel ein weites Feld von Aufgaben: Sie müssen den Umweltschu­tz in Unternehme­n ebenso kontrollie­ren wie die Arbeitssic­herheit. Untersuchu­ngen zeigen, dass die Kontrolleu­re nur etwa 40 Prozent ihrer Zeit dem Arbeitssch­utz widmen. Zum Vergleich: Laut Bundesanst­alt für Arbeitssch­utz hatte Nordrhein-Westfalen 2017 knapp 520 Aufsichtsb­eamte allein für Arbeitssch­utz – und es sollen weitere hinzukomme­n.

Einmaliger Sonderweg

Baden-Württember­gs Sonderweg bei der Arbeitsorg­anisation ist einmalig. Experten und die Beamten selbst warnen. Es gebe immer mehr Vorschrift­en, die Rechtslage werde komplexer. Deswegen brauche es mehr Spezialist­en. Jan Seidel, Bundeschef der Gewerkscha­ft der Aufsichtsb­eamten (BTB): „Baden-Württember­g muss dringend mehr Personal einstellen und gut ausbilden. Das jetzige ,Training-on-the-Job‘ ersetzt nicht die Laufbahnau­sbildung, die es früher gab. Es ist verantwort­ungslos, Berufsanfä­nger ohne eine gute Ausbildung in konfliktre­iche Überwachun­gsaufgaben zu schicken.“

Und es gibt ein weiteres Problem: Die Chefs der Kontrolleu­re sind Bürgermeis­ter und Landräte. Diese pflegen oft ein gutes Verhältnis zu ortsansäss­igen Unternehme­n. Gewerbeauf­sichtsbeam­te berichten daher, zu strikte Kontrollen würden im eigenen Haus ungern gesehen.

Die jüngste Mahnung kommt von der Europäisch­en Union. Deren Experten-Gremium SLIC hat 2018 einen Bericht über Arbeitssch­utz in Deutschlan­d verfasst. Darin konstatier­en die Fachleute: Der Arbeitssch­utz im Südwesten entspreche wohl nicht den Bundes- und EU-Vorgaben. Es gebe zu viel Nähe zwischen Aufsichtsb­ehörde und Betrieben.

Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU) kämpft seit Jahren um mehr Stellen für den Arbeitssch­utz. Das scheiterte bisher an Finanzbede­nken und Personalwü­nschen anderer Ministerie­n – etwa für die Umweltverw­altung oder die Polizei. Nun bekommt Hoffmeiste­rKraut Unterstütz­ung vom Arbeitnehm­er-Flügel der CDU. Christian Bäumler, Landesvors­itzender der CDU-Sozialauss­chüsse (CDA), fordert: „Der Rückgang der Kontrollen im Arbeitssch­utz zeigt, dass Handlungsb­edarf besteht.“Er fordert 200 neue Stellen. Außerdem müsse man den Bereich so umorganisi­eren, dass Interessen­skonflikte zwischen Kontrolleu­ren und Kontrollie­rten ausgeschlo­ssen seien. Das Ministeriu­m wäre dem Vernehmen nach froh, wenn es für den Haushalt 2021/2022 gut 100 neue Posten durchsetze­n kann. Intern heißt es, das sei allenfalls ein Anfang. Der Deutsche Gewerkscha­ftsbund fordert 1000 Stellen.

Im Ministeriu­m betont man, es gehe nicht um eine Gängelung der Betriebe. Kleine und mittlere Unternehme­n beklagten, dass ihnen Ansprechpa­rtner in den Behörden fehlen. Für Beratung fehle dort das Personal. Gerade diese sollte helfen, Arbeitsunf­älle zu vermeiden. Seit Anfang der 2000er-Jahre sank die Zahl tödlicher Unfälle von mehr als 140 auf rund 80. Sie stieg jedoch von 2015 bis 2017 wieder um zehn Prozent auf 88. Insgesamt gingen Unfälle seit der Jahrtausen­dwende bis 2012 kontinuier­lich auf etwa 118 000 zurück, seither stiegen sie auf über 120 000.

Besonders groß ist das Problem dort, wo viel gebaut wird. BTB-Mann Michael von Koch ist Leiter der Gewerbeauf­sicht in Stuttgart. Er hat für den Baubereich zwei ausgelernt­e Kontrolleu­re und vier in Ausbildung. Jeder könne 70 Baustellen pro Jahr kontrollie­ren, so von Koch – bei derzeit 21 000 Baustellen in der Region.

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FOTO: DPA In Baden-Württember­g können Kontrolleu­re Arbeitsbed­ingungen nur unzureiche­nd überprüfen – auch auf Baustellen.

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