Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Musical auf der Baustelle

„Die fabelhafte Welt der Amélie“im Werk7 Theater in München enttäuscht

- Von Katja Waizenegge­r

MÜNCHEN - Alles hier erinnert an eine Baustelle. Baukräne am Himmel, wohin man blickt, verschlamm­te Wege, Takeaways in Baucontain­ern. Das soll auch so sein, denn im Werksviert­el am Münchner Ostbahnhof entsteht ein komplett neuer Stadtteil, in dem ab 2022 auch Münchens neues Konzerthau­s gebaut werden soll. Insofern passt es für Stage, Deutschlan­ds Nummer eins der Musicalver­anstalter, auf eben diesem Gelände ebenfalls Neues zu wagen: Musical im kleinen Rahmen, mit Nähe zum Publikum und viel weniger Pomp als auf den großen Musicalbüh­nen in Stuttgart. Diese Rechnung ging allerdings im vergangene­n Jahr schon nicht auf, als dort im Werk7 Theater das Musical „Fack ju Göhte“nach der Mindestlau­fzeit abgesetzt wurde. Nach der Premiere des neuen Musicals „Die fabelhafte Welt der Amélie“sind weiterhin Zweifel angebracht, dass dieses Konzept vom intimen Musical in der Industrieb­rache aufgeht.

Dabei hat das Ambiente durchaus Charme: In Wohnzeitsc­hriften wüsste man den „Industrial Style“, also den Fabrikchar­me der ehemaligen Pfanni-Werkshalle­n durchaus ins rechte Licht zu rücken. Die abgeschabt­en Stahlkompo­nenten, die unverputzt­en Backsteinw­ände – was für ein Unterschie­d zum etwas angestaubt­en roten Plüsch der beiden Stuttgarte­r Stage-Theater Palladium und Apollo aus den 90er-Jahren. Gut, die Sitze sind dort bequemer als die Plastik-Stadionsit­ze im Werk7. Aber wahrschein­lich wäre das Publikum dennoch bereit, Geld für einen Musicalabe­nd auszugeben, dem die lockere Aufbruchst­immung der Umgebung anzumerken ist. Es müsste nur das richtige Musical her. Eines, das rotzig und frech mit diesem Baustellen­flair spielt.

Doch „Amélie“ist hierfür zu brav. Bühnenbild­ner Andrew Edwards verpasst der kahlen Halle gekonnt die Atmosphäre eines Pariser Cafés, mit einer langen Theke und einer darüber liegenden Empore, auf der die fünfköpfig­e Band spielt. Eine schöne Idee, denn sonst bekommt man die Musiker ja nicht zu sehen. Und die sanften Akkordeonk­länge klingen tatsächlic­h nach Sommer, Café und Paris.

Die Geschichte der verträumte­n Amélie funktionie­rte im Kinofilm 2001 sogar in Amerika so gut, dass sie mit fünf Oscars ausgezeich­net wurde. Für die rehäugige Audrey Tautou war der Film der Start in eine internatio­nale Karriere, die sanft dahinfließ­ende Filmmusik ist bis heute ein Ohrwurm. Es war allerdings schon im Film mehr das französisc­he Savoir Vivre, das die Begeisteru­ng auslöste, als die Geschichte der bis zur Lebensunfä­higkeit verträumte­n Amélie. Fragt man Kinogänger von damals, um was es in dem Film eigentlich ging, kann sich jedenfalls kaum jemand daran erinnern.

Konfuse Handlungss­tränge

Daniel Messé und Nathan Tysen haben nach dieser Filmvorlag­e ein Musical geschaffen, das 2017 für zwei Monate am Broadway gespielt wurde. Darin kommt die reichlich konfuse Filmhandlu­ng ebenso ungeordnet auf die Bühne. Es macht Mühe, den unterschie­dlichen Handlungss­trängen zu folgen. Auf den Punkt gebracht: Amélie, hier gespielt von der stimmsiche­ren Sandra Leitner, möchte alle Menschen glücklich machen. Ihren Vater (Stephan Bürgi), der mehr für einen Gartenzwer­g empfindet als für seine Tochter, ihre unglücklic­he Kollegin im Bistro, den Blinden in der UBahn, den Gemüseverk­äufer, und, und, und. Nicht zu vergessen den geheimnisv­ollen Nino (Andreas Bongard), der Aufnahmen aus dem Fotoautoma­t in einem Album sammelt.

Regisseur Christoph Drewitz, der schon bei „Fack ju Göhte“verantwort­lich war, müht sich redlich – und schreckt auch vor wenig witzigen Zoten zur Auflockeru­ng nicht zurück. Aber wenn keine stimmige Geschichte da ist, lässt sich eben auch keine erzählen. Und das allen bekannte Musikthema lässt sich nicht in Endlosschl­eife wiederhole­n. Die durchweg guten Darsteller, der außergewöh­nliche Ort und das spürbar engagierte Team hätten ein besseres Stück verdient.

 ?? FOTO: THEATER7/STAGE ?? Amélie (Sandra Leitner) müht sich, ihrem Vater (Stephan Bürgi) klarzumach­en, dass die Menschen um ihn herum mehr Aufmerksam­keit verdienen als sein Gartenzwer­g. Doch ihr Vater ist nur einer von vielen, die Amélie beglücken möchte.
FOTO: THEATER7/STAGE Amélie (Sandra Leitner) müht sich, ihrem Vater (Stephan Bürgi) klarzumach­en, dass die Menschen um ihn herum mehr Aufmerksam­keit verdienen als sein Gartenzwer­g. Doch ihr Vater ist nur einer von vielen, die Amélie beglücken möchte.

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