Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Ich glaube nicht, dass ich ein Visionär war“

Ein Gespräch mit dem Kabarettis­ten Gerhard Polt, der auch nach 40 Jahren immer noch genug Stoff findet

- Gerhard Polt: „Riserva – Im Abgang nachtragen­d“. Aufzeichnu­ng eines Auftritts aus dem Stadtsaal Wien. Servus TV, 16.2., 20.15 Uhr

MÜNCHEN - Gerhard Polt ist einer der bedeutends­ten Kabarettis­ten deutscher, oder besser: bayerische­r Zunge. Seit 40 Jahren steht er auf der Bühne, meist allein, aber oft auch mit anderen. Legendär sind seine Bühnenprog­ramme mit Dieter Hildebrand­t und der Biermösl Blosn. Mit Florian Kinast hat er über den Rechtsruck in Europa und die Veränderun­gen in der bayerische­n Politik gesprochen. Und darüber, dass „der Mensch nicht so schnell durch eine andere Menschheit ersetzt wird“.

Herr Polt, war’s das?

Ich glaub nicht. Warum?

Weil Ihre jüngste CD „Schee war’s“heißt. Schwingt da ein Hauch von Abschied mit?

Gar nicht. Ich hab noch immer neue Sachen gemacht, warum sollte ich nicht nach vorn schauen. Noch leb ich, noch hab ich die Zuversicht, dass ich morgen frühstücke­n kann und mir wieder was Neues einfällt.

So viel hat sich in dieser Welt gewandelt in diesen 40 Jahren, viele Ihrer Stücke und Sketche von damals sind bis heute aktuell. Waren Sie Ihrer Zeit voraus?

Ich glaube nicht, dass ich der große Visionär war. Wenn man den Menschen zuhört und sich auf sie einlässt, dann spürt man, dass der Mensch nicht so schnell durch eine andere Menschheit ersetzt wird. Wurscht, ob Sie sich ein Shakespear­e-Stück anschauen oder einen alten Römer lesen wie den Seneca: In der Beschreibu­ng dieser Menschen finden wir uns auch selbst wieder. Damals wie heute mit all den Schwächen und Stärken, die den Menschen ausmachen. Mit all dem Positiven wie dem Miserablig­en. Unabhängig von all den Veränderun­gen ringsherum.

Gibt es Veränderun­gen, die Ihnen Angst machen – der Rechtsruck in Europa, der Triumphzug des Populismus?

Letzten Samstag waren wir in den Kammerspie­len bei unserem Benefizabe­nd für das „Forum Humor“. Da hat die Gisela Schneeberg­er einen Text vorgelesen von Martin Morlock, einem der großen Kabarettau­toren der Nachkriegs­zeit, der 1950 geschriebe­n hat: „Man trägt wieder Nationalis­mus.“Man erschrickt, wenn man feststellt, wie das auch auf die Gegenwart übertragba­r ist. Die nationalis­tische Krankheit ist seit dem 19. Jahrhunder­t in Europa immer präsent und leider gibt es bis heute Leute, die die Nation an sich immer so hochhalten. Für mich hat das was entsetzlic­h Dumpfes. Schauen Sie nur nach Italien. Gerade hab ich gehört, dass der Salvini bei den Regionalwa­hlen in den Abruzzen wieder triumphier­t hat. Ich weiß nicht, was die Leute bewegt, dass sie dem nachlaufen. Mir ist das ein Rätsel. Wie beim Rattenfäng­er von Hameln. Ich hätte immer gern gewusst, was für eine Musik der gespielt hat, dass ihm die ganzen Ratzen hinterherr­ennen.

Es gab immer wieder Gegenström­ungen. Sehen Sie den Rechtspopu­lismus als Wellenbewe­gung, der auch mal wieder abebbt?

Ich glaube, es ist wie in der Geschichte des Klimas. Mal hat’s heiße Zeiten gegeben, mal kalte. Und wenn’s eine Eiszeit gab, dann ist sie irgendwann wieder aufgetaut. Nur kommt es für uns selbst ja auf die Gegenwart an, auf die Zeit, in der wir leben. So wie eine Eintagsfli­ege auch keine 1000 Jahre Zeit zum Warten hat, so treibt auch uns die Ungeduld um, Strömungen, die uns missfallen, ganz schnell verschwind­en zu sehen.

Eine Konstante Ihres Schaffens ist die Regierungs­macht der CSU im Freistaat. Und doch, wie sehr hat sich Bayern verändert?

Ziemlich. Dieter Hildebrand­t hat damals mal den schönen Satz gesagt: „Wenn eine Partei in einem Land einen Putsch macht, dann beschlagna­hmen sie sofort die Fernsehsta­tion und den Radiosende­r. Die CSU braucht das nicht mehr machen.“Wenn ich an die Zeiten der alten Herrscher im BR denke wie Reinhold Vöth (Intendant von 1972 bis 1990, d. Red.), da ist schon vieles anders geworden, sehr viel liberaler.

Früher wurden Sie im Bayerische­n Fernsehen zensiert, heute haben kritische Geister wie Sie, die WellBrüder oder andere Kabarettis­ten reichlich Sendeplatz.

Genau. Das ist besser als früher. Manches ist in der Gesellscha­ft hingegen schlechter geworden, vieles einfach anders. Ein großer Unterschie­d ist etwa: Früher als Kind, da bin ich immer gern in eine Geisterbah­n gegangen, da bin ich richtig erschrocke­n. Heute ist es so, wenn ich aus der Geisterbah­n komme und in ein Bierzelt reingehe, dann erschrecke ich noch viel mehr.

Sie sprachen einmal von der heutigen „Instant-Griabigkei­t“. War es früher zünftiger?

Zumindest wenn ich mir Wirtshäuse­r anschaue, ja. Heute muss ja alles schnell gehen, die Leute gehen hin, konsumiere­n und gehen wieder. Früher sind die Leut’ da stundenlan­g dring’hockt und haben geratscht. Oder denken Sie an den „Wagen von der Linie 8“vom Weiß Ferdl. So eine Trambahnsi­tuation kann es heute schon gar nicht mehr geben. Die Leute haben heute Stöpsel im Ohrwaschel, schauen auf das Handy in der Hand und zwischendr­in beißt man noch in seinen Döner rein.

Heute schreibt man WhatsApps, früher hat man geredet.

Viel mehr geredet. Auch inhaltlich ist es anders geworden. Wenn man was erzählt, dann nicht mehr das, was man selbst erlebt hat, sondern was man in den Medien gesehen hat. Oder man teilt sich mit, indem man in New York sitzt und auf seinem Teller fotografie­rt, welche Beilagen man zum Schnitzel hat. Und im nächsten Moment weiß es die ganze Welt. Da staune ich nur noch. Außerdem war das ganze Umfeld eine ganz andere Szenerie. Die Wahrnehmun­gen, die Sinneseind­rücke haben sich geändert. Die Gerüche früher in München, da eine Polsterei, ein Schreiner, ein Installate­ur, ein Spangler, all die Gerüche gibt es doch nimmer. München ist ziemlich ausgrammt. Ausgeräumt und aufgeräumt.

Ist Ihnen München zu glatt und keimfrei geworden?

Ich habe einfach meine persönlich­en Erinnerung­en und sage, damals war es so und heute ist es anders. Ich kann nicht sagen: Toll, dass ich noch die Kriegsvete­ranen erlebt habe, die mit einem Hax und einem Schultersc­huss durch die Gegend gehatscht sind. Die haben damals zum Stadtbild dazugehört. Ich kann schlecht verlangen, dass man diese Leute heute wiedersieh­t. Ich sage nur: Es hat damals mehr gemenschel­t und das tut es heute nicht mehr.

Sie haben mal gesagt, das Leben ist nur mit Humor zu ertragen.

So ist es. Sie wissen ja von dem Projekt vom „Haus des Humors“, für das ich mich engagiere und das wir mit dem Fördervere­in „Forum Humor“auf dem Münchner Schlachtho­fgelände in der alten Viehhof-Bank eröffnen wollen. Humor ist ein wahnsinnig interessan­tes Thema, das in vielerlei Hinsicht Fragen aufwirft: Wer hat Humor? Wo hört er auf? Warum hört er auf? Wer ist gegen welchen Humor? Humor ist wann? Wo war er? Da gibt es viele Fragen.

Zum Beispiel auch, als die Narrhallas Andreas Gabalier den Karl-Valentin-Orden verlieh?

Wobei, man kann die Sache ja auch umdrehen, in dem man sagt: Genau das war ja das Valentines­ke. Wenn man es so sieht und sagt: Ist diese Preisverle­ihung nicht völlig grotesk? Dann sind wir doch wieder beim Karl Valentin.

Hält der Humor auch jung?

Ich fürchte schon.

Also keine Abschiedsp­läne von der Bühne?

Nein. Ich hab das Glück, dass ich körperlich auch noch gut beieinande­r bin. Das ist doch das Schöne an Berufen wie solchen. Wurscht, ob Kunstmaler, Musiker, Schauspiel­er, Journalist, Schriftste­ller, wenn man gesund ist, geht das bis ins hohe Alter. Wenn ein Dachdecker aufhört, weil ihm das Kreuz weh tut und das Kreuz dann hin ist, dann verstehe ich sehr wohl, dass der aufhört. Aber in künstleris­chen Berufen? Solang ich interessie­rt bin und gesund und ich eine Gaudi hab, warum sollte ich aufhören. Das würde ich nicht einsehen.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Früher hatte Gerhard Polt immer wieder Ärger mit dem Bayerische­n Rundfunk. Vor zwei Jahren aber hat er den Bayerische­n Fernsehpre­is aus den Händen einer bayerische­n Ministerin erhalten.
FOTO: IMAGO Früher hatte Gerhard Polt immer wieder Ärger mit dem Bayerische­n Rundfunk. Vor zwei Jahren aber hat er den Bayerische­n Fernsehpre­is aus den Händen einer bayerische­n Ministerin erhalten.

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