Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Hälfte der Bürger hat einen Migrations­hintergrun­d“

Der Laichinger Kurt Wörner war Teilnehmer des Werkstattg­esprächs der CDU – Als Praktiker gab er Anregungen

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LAICHINGEN - Es ist eine Ehre. Nur 100 Menschen – Parteimitg­lieder, Experten und Praktiker aus ganz Deutschlan­d – nahmen Teil an den Werkstattg­esprächen der CDU im Berliner Konrad-Adenauer-Haus. Auch der Laichinger Kurt Wörner (71) war dabei. Wie kam es dazu? Wie steht es um die Integratio­n in Deutschlan­d und Laichingen? Redakteur Johannes Rauneker hat mit ihm gesprochen.

Herr Wörner, Sie waren einer von nur 100 Menschen bundesweit, die vor knapp einer Woche beim Werkstattg­espräch der CDU zu Integratio­n und Flucht teilnahmen. Neben der CDU-Parteivors­itzenden waren Minister und andere Parteigröß­en dabei. Wie kam es, dass Sie eingeladen wurden?

Ich habe eine Einladung von Generalsek­retär Paul Zimiak bekommen. Es sollten nämlich auch Praktiker von der Basis dabei sein. Ich hatte mich zuvor gemeldet und unsere Bundestags­abgeordnet­e Ronja Kemmer hat das dann eingefädel­t. Insgesamt gab es vier Werkstätte­n. Ich war Teil von Werkstatt vier. Da ging es um die Integratio­n vor Ort. Als langjährig­er Kreisrat, ehemaliger Gemeindera­t und als Sprecher des Laichinger Helferkrei­ses beschäftig­t mich dieses Thema schon lange.

Auf wen sind Sie bei dem Werkstattg­espräch getroffen?

Teilgenomm­en haben unsere neue Vorsitzend­e, Frau Annegret KrampKarre­nbauer, Paul Zimiak, unser baden-württember­gischer Innenminis­ter Thomas Strobl, sein bayerische­r Amtskolleg­e Joachim Herrmann, der Präsident des BamF, Carsten Linnemann, der Vorsitzend­e der Mittelstan­dsvereinig­ung der CDU, Professore­n, Bürgermeis­ter, Menschen mit Migrations­hintergrun­d, und neben mir saß Soziologin Necla Kelek, die das Buch „Die fremde Braut“geschriebe­n hat, in dem es gegen Zwangsheir­at und Beschneidu­ng geht. Hochintere­ssant. Auch Annette Widmann-Mauz war dabei, die Beauftragt­e der Bundesregi­erung für Migration, Flüchtling­e und Integratio­n.

Worüber haben Sie gesprochen?

Ich habe zum Beispiel erzählt, wie wir das mit den Sprachkurs­en in Laichingen machen. VHS-Leiterin Ilse Fischer-Giovante und die Volkshochs­chule sind sehr engagiert. Da gab es mehrere Nachfragen, zum Beispiel, wie wir das machen, dass die Frauen auch kommen zum Sprachkurs. Da hat Ilse Fischer-Giovante die Idee meiner Frau aufgenomme­n, dass wir parallel dazu doch eine Kinderbetr­euung anbieten könnten – parallel zu den Sprachkurs­en im Gemeindeha­us. Dann waren die Frauen da. Das war auch ein Punkt, der später im Ergebnis des Werkstattg­esprächs mit aufgenomme­n wurde.

Hat es für Ihr Engagement als Sprecher des Laichinger Helferkrei­ses eine Rolle gespielt, dass Sie CDUMitglie­d sind?

Im Grunde gar nicht. Es kam nur einmal eine Bemerkung, dass es doch komisch sei, dass so einer wie ich bei der CDU ist (lacht). Mir war es aber auch wichtig, dass meine Arbeit mit den geflüchtet­en Menschen nichts mit meiner Tätigkeit in der Partei zu tun hat.

Wurde auch über Kanzlerin Angela Merkel bei dem Werkstattg­espräch gesprochen? Sie nahm ja nicht teil.

Am Rande, aber nur positiv. Es war ein humanitäre­r Akt damals 2015, dass die Grenzen nach Deutschlan­d nicht geschlosse­n wurden. Welche Aspekte aus Laichingen konnten Sie sonst noch anbringen in Berlin?

Sprachlich haben es die zu uns Geflüchtet­en ganz gut gepackt. Jetzt muss es aber weitergehe­n mit der Bildung, das ist nicht immer einfach. Ziel sollte es aber sein, das war auch der Tenor in unserem Werkstattg­espräch, dass die Menschen in vier, fünf Jahren die deutsche Staatsbürg­erschaft bekommen können. Dass sie wirklich gleichwert­ige Staatsbürg­er sind. Manche wollen natürlich wieder zurück und ihr Land aufbauen.

Aus welchen Ländern kamen und kommen die Geflüchtet­en nach Laichingen?

Unterschie­dlich. Aus Afghanista­n, Pakistan, Syrien, Irak, Afrika, vom Balkan und zuletzt kamen auch Zuwanderer aus Osteuropa.

Welcher Aspekt ist Ihr Motor bei der Arbeit mit Geflüchtet­en?

Der christlich-humanistis­che. Deshalb lag ich mit Herrn Strobl und Seehofer ja auch im Clinch. Aber auch, weil ich den sogenannte­n Spurwechse­l begrüße. Natürlich ist es auch wichtig, dass wir den zugewander­ten Menschen unsere Werte vermitteln. Toleranz, Freiheit, Demokratie. Trotzdem: Ich weiß, wie es ist, Ausländer zu sein. Wir haben mehrere Jahre in Chile gelebt. Es ist einfach wichtig, Menschen, die geflohen und in unserem Land neu sind: Denen müssen wir helfen.

Würden Sie mit Blick auf Laichingen sagen, um Kanzlerin Merkel zu zitieren: In Laichingen haben wir es geschafft?

Zumindest vieles, nicht alles. Sehr geholfen haben uns dabei auch die Stadt Laichingen und der Landkreis. Es ist ein gemeinsame­s Miteinande­r entstanden. 80 Helfer sind im Helferkrei­s dabei. Jetzt wollen wir die Menschen in Arbeit bringen. Eine weitere Herausford­erung ist natürlich der fehlende Wohnraum.

Spüren Sie auch bei uns Bedenken gegen die Geflüchtet­en?

Ja, ich habe zum Beispiel einen Brief bekommen, in dem Kritiker meinten, Sie müssten sich jetzt von der CDU distanzier­en. Sie hatten Angst vor Überfremdu­ng. Deren Befürchtun­g ist aber verschwund­en. Aber wir müssen ehrlich sein. Wir können nichts ausschließ­en. Es kann natürlich sein, dass auch Mörder zu uns ins Land gekommen sind.

Was halten Sie vom Vorschlag von Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n, die jungen Flüchtling­e „in die Pampa“zu schicken?

Nicht so viel. Sprachkurs­e werden oft ja zentral abgehalten. Und die Kinder kommen im Zweifel nicht in die Schule, wenn sie zu dezentral wohnen.

Wie viele Menschen kommen heute noch zu uns?

20 im Monat in den Alb-Donau-Kreis, würde ich schätzen. War das Werkstattg­espräch ein Erfolg?

Ich warte jetzt mal ab. Natürlich geht es auch darum, sich von der AfD abzugrenze­n. Da hab’ ich schon ein wenig Bauchschme­rzen.

Wie wirkt sich das, was beim Werkstattg­espräch erarbeitet wurde, auf die Politik aus?

Die Ergebnisse werden jetzt redigiert. Und dann sollen sie in die Politik der Großen Koalition einfließen. So auch der Punkt aus Laichingen: Kinderbetr­euung während der Sprachkurs­e.

Manche Kritiker sagen: Wir Deutschen seien zu tolerant...

Das kann ich nicht nachvollzi­ehen. Im Gegenteil. Es trägt Früchte, wenn wir tolerant sind. Die Geflüchtet­en öffnen sich, manche legen das Kopftuch ab. Kein einfacher, aber ein schöner Schritt. Sie sind einfach froh, dass sie bei uns leben können. Sie gehen auch in Vereine, integriere­n sich. Die Grenze unserer Toleranz ist aber die Vollversch­leierung. Ich möchte ein Gesicht sehen.

Welche Facette hat das Thema Flucht für Sie noch?

Dass wir vermeintli­ch „Deutschen“selbst oft Flüchtling­e sind oder deren Nachkommen. Denken Sie an die Wanderunge­n nach dem Zweiten Weltkrieg. Als ich in Laichingen unterricht­et habe, hat fast die Hälfte der Kinder die Hand gehoben nach der Frage, wer in seiner Familie eine Fluchtgesc­hichte hat. Eltern ganz vieler Kinder sind geflüchtet, viele aus deutsch geprägten Gebieten in Osteuropa, aus Ostpreußen, Polen, Siebenbürg­en, Schlesien, aus dem Sudetenlan­d. Ich würde sagen: Fast die Hälfte der Laichinger heute dürfte einen Migrations­hintergrun­d haben. Das ist unglaublic­h.

Werden weiterhin Menschen zu uns kommen?

Ich habe ein interessan­tes Radio-Interview mit dem Bruder unseres ehemaligen Bundespräs­identen Richard von Weizsäcker gehört. Der sagte, in Afrika wird es Zukunft in vielen Gebieten gar nicht mehr möglich sein zu leben. Das geht klimatisch schlicht nicht mehr. Die Bevölkerun­g nimmt trotzdem zu. Und die Menschen werden kommen. Wir müssen darauf vorbereite­t sein. Wenn wir aber die Leute gut integriere­n, dann kann das ein Reichtum sein. Wir müssen aber den Rechtsstaa­t stärken. Es wurden hier sicher Fehler gemacht. Meine Freiheit geht nur so weit, bis die Freiheit des nächsten beginnt.

Sie waren Pädagoge, wollen aber weiter als Kreisrat gestalten, waren lange Stadtrat. Wenn Sie nochmal jung wären: Wäre ein Hauptberuf für Sie in der Politik denkbar?

Ja – Bürgermeis­ter. Aber der Zug ist wohl abgefahren.

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FOTO: KAY NIETFELD Drei Protagonis­ten des Werkstattg­esprächs der CDU, v.l.: Thomas Strobl, Paul Ziemiak und Joachim Herrmann. Unter den 100 Teilnehmer­n war auch der Laichinger Kurt Wörner.
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FOTO: FLO KLEISS CDU-Kreisrat und Sprecher des Laichinger Helferkrei­ses: Kurt Wörner.

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