Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Marathon ist mein großer Traum“

Die Laichinger Läuferin Alina Reh über Heimatgefü­hle, ihren langsamen Karriereau­fbau und ihre wahre Stärke

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ULM - Im vielleicht hochkaräti­gsten Lauf der deutschen Hallen-Leichtathl­etikmeiste­rschaft kommt es heute um 18.30 Uhr (Livestream auf leichtathl­etik.de) in Leipzig zum Duell der zwei großen deutschen Laufhoffnu­ngen. Die 21-jährige Laichinger­in Alina Reh misst sich mit Konstanze Klosterhal­fen. Reh ist Außenseite­rin, ihr großer Traum ist ohnehin ein anderer: Straßenren­nen, der Marathon, eines Tages. Für die Schwäbin ist Zeit auch immer gleich Sport. Nach dem 46-minütigen Interview mit Jürgen Schattmann stellt sie mit Blick auf das Handy launig fest: „Was, 46 Minuten? Da könnt ma doch zwölf Kilometer laufa. Und sie müsset des alles noch tippa.“

Alina, der Manager Ihres Clubs SSV Ulm, Florian Wacker, hat Sie gerade „die schwäbisch­e Rakete“genannt. Nicht ganz zu unrecht: Seit der EM in Berlin und Platz vier über 5000 Meter sind Sie etliche Bestzeiten gelaufen. Über 1500 und 3000 Meter in der Halle, starke 69:30 Minuten im Herbst bei ihrem ersten Halbmarath­on oder die 10 Kilometer beim Straßenlau­f in Berlin, als sie in 31:23 Minuten die zweitschne­llste Zeit einer Deutschen jemals liefen. Worauf sind Sie am meisten stolz?

Der Straßenlau­f in Berlin hat mir am meisten bedeutet, ganz klar. Da bin ich 2017 schon 31:38 Minuten gelaufen, es war ein fabelhafte­r Tag, da hatte ich die Messlatte sehr hoch gelegt. Nun nochmal schneller zu sein, damit hätte ich nie gerechnet. Würde ich die Zeit auch auf die Bahn bringen, dann wäre viel möglich. Das ist immerhin 65 Sekunden schneller als bei der EM.

Straßenlau­f scheint Ihnen zu liegen.

Ja, die Rennen sind fast noch schöner mit den Zuschauern am Rand. Die Atmosphäre ist toll, jeder wird angefeuert. Ich glaube schon, dass meine Zukunft auf der Straße liegt – und mittelfris­tig auch beim Marathon. Genau deswegen laufe ich derzeit auch viele Unterdista­nzen, kurz und schnell, auch wenn ich die gar nicht so mag. Aber in drei bis fünf Jahren, wenn ich dann vielleicht auf die Straße wechsle, hat sich das hoffentlic­h ausgezahlt.

Der Laie fragt sich, warum Sie kurze Strecken laufen müssen, wo Sie doch lange laufen wollen und dort noch besser sind: Geht es da um den Endspurt, darum, bei Zwischensp­urts mithalten zu können?

Nicht nur. Ausdauer kann man immer trainieren, auch im Alter noch, aber Schnelligk­eit und Tempohärte sollte man sich früher aneignen. Würde ich jetzt Marathon laufen, würde ich vielleicht mal eine 2:30 schaffen, aber nicht schneller – das geht nicht, weil deine Beine und Muskeln keine höhere Frequenz gewohnt sind, du keinen schnellere­n Schritt ziehen kannst, weil du immer in deinem Schmittche­n-Schleicher-Trott bist. Bei mir geht es auch um den Laufstil, der muss besser werden. Bei kurzen Strecken ist er automatisc­h stabiler, sauberer. Beim Marathon ist das wichtig, um einseitige Belastunge­n zu vermeiden, als Verletzung­sprophylax­e. Ohne sauberen Laufstil werd’ ich da nicht heil durchkomme­n. Insofern sind die Halle und die Hallen-EM gut, die zwingen mich quasi zu den kurzen Strecken.

Anfang März bei der EM in Glasgow nehmen Sie die 3000 Meter in Angriff, wie auch in Leipzig. Kürzlich in Karlsruhe haben Sie Ihren Rekord um sechs Sekunden auf 8:47 verbessert. Was ist Ihr Ziel?

Möglichst schnell sein, schauen, dass nicht drei Leute noch besser sind als ich in Karlsruhe, sonst wird es nichts mit Glasgow – aber dann müsste ich eben kontern. Ich kann sicher noch zwei Sekunden schneller, ich hoffe eben, dass der Flow kommt und nicht die Brechstang­e. Die Konkurrenz ist groß. Konstanze Klosterhal­fen ist extrem stark in Form, es ist ihre Distanz und sie war kürzlich elf Sekunden schneller. Auch Hanna Klein ist dabei und Hindernis-Europameis­terin Gesa Krause, die ich mir ein bisschen zum Vorbild genommen hab. Sie trainiert wie ich viel alleine, ist sehr sympathisc­h, geht gut mit Medien um, tut unheimlich viel für die Leichtathl­etik.

Sie wollten mit Krause und anderen nach Iten in Kenia ins Trainingsl­ager, es wäre Ihr erstes Höhentrain­ing in Afrika gewesen, dann haben Sie zurückgezo­gen. Warum?

Mein Trainer Jürgen Austin-Kerl konnte beruflich nicht und wollte nicht, dass ich allein gehe aus Angst, dass ich alles mitmache mit den anderen, mich überschätz­e. Da muss ich wirklich aufpassen. Ich bin permanent dabei, zu überzocken, zu viel zu machen. Aber es ist das höchste Trainingsl­ager der Welt auf 2400 Meter Höhe, da hätte so etwas fatale Auswirkung­en. Da kann man sich total abschießen, und dann kann es sein, dass man zu Hause wochenlang ausgebrann­t durchhängt und die ganze Saison im Eimer ist. Aber es ist egal: Ich hab zu Hause in Laichingen beste Möglichkei­ten, mit meinem Physiother­apeuten, meinem vertrautem Umfeld und Rhythmus, dem eigenen Bett, dem gewohnten Essen, und da ist auch noch längst nicht alles ausgereizt. Die Höhe kann ich auch noch in drei Jahren machen. Und immerhin liegt Laichingen ja auch auf 750 Meter.

Bloß hat es da eben Schnee.

Ja, morgens lauf ich da auch durch, aber nachmittag­s weiche ich zurzeit oft nach Ulm aus, gehe ins Donaustadi­on oder laufe entlang der Donau. Ich will nicht mehr dauernd Crosslaufe­n oder jeden Tag die Bahn freischipp­en, und als Laichinger­in ist es wirklich erstaunlic­h, wie wenig Schnee es hier unten hat. Dreimal war ich auch in Karlsruhe, um mich auf die Meetings einzustimm­en, weil es hier in der Messehalle keine Rundbahn hat.

Klosterhal­fen dagegen ist für ein paar Monate ins – nicht unumstritt­ene – Nike-Laufcamp nach Oregon gewechselt und hat Riesensprü­nge gemacht. Wäre das auch was für Sie?

Das geht schlecht, ich bin bei Adidas. Aber im Ernst: Das würde ich niemals machen. Ich würde da eingehen, untergehen. Ich bin eben heimatverb­unden, ich brauche auch Abwechslun­g vom Laufen, kann mich nicht 24 Stunden am Tag damit beschäftig­en.

Die Sucht und Suche nach Perfektion bei Ausdauersp­ortlern kann gefährlich sein. Einige Ihrer Rivalinnen sehen so aus, als bräuchten sie dringend mal wieder eine ordentlich­e Mahlzeit, wirken wie an der Grenze zur Magersucht, weil ein Kilo weniger ja fünf Sekunden bringen könnte. Sind Sie auch gefährdet, ist das ein Thema in der Szene?

Natürlich mache auch ich mir Gedanken, ob ich schneller wäre, wenn ich leichter wäre. Aber du brauchst auch Energie, Muskelmass­e, Robustheit, ein Polster gegen Infekte. Ich bin 1,74 Meter groß und wiege 54 Kilo, das ist okay, da fühle ich mich wohl, habe Power. Ich weiß nicht, ob mir 52 Kilo gut tun würden, und ehrlich gesagt: Mir bedeutet Essen auch sehr viel. Ich ess gerne, am liebsten Obstkuchen, mir schmeckt’s auch gut. Ich achte natürlich darauf, was ich esse, aber ich brauche eben auch noch ein Stück Lebensqual­ität. Ich will nicht hungern, da werde ich gereizt und nervös. Ich muss ausgeglich­en sein, um gut trainieren zu können. Jede muss ihren Weg finden, aber ich weiß, dass es Läuferinne­n gibt, die hungern.

Ist die WM im Oktober in Katar Ihr Saisonhöhe­punkt – selbst wenn Sie wissen, dass Sie gegen die Afrikaneri­nnen wenig ausrichten können?

Davor werde ich noch bei der U23-EM in Schweden starten, aber natürlich ist eine WM mit das Größte. Vor zwei Jahren haben mir drei Sekunden zum Endlauf gefehlt, das sollte diesmal besser laufen – über 10 000 Meter gibt es ja nur das Finale. Mit den Afrikaneri­nnen mitzuhalte­n wird fast unmöglich, ich werde mich an mir orientiere­n und an den besten Europäerin­nen. Die zu schlagen, wäre ja auch ein riesiger Erfolg. Katar wird heikel, man muss als Läufer erst einmal mit der Hitze klarkommen. Es kann auch sein, dass ich im Fall der Fälle die 5000 Meter wähle, dann mit Vorlauf. Immerhin werden wir es besser haben als die Marathonlä­ufer, die wegen der Hitze erst nachts um 11 Uhr laufen, weil es vorher fast nicht möglich ist.

Sind Sie manchmal traurig darüber, dass die Wahrschein­lichkeit, auf Weltebene eine Medaille zu holen, so verschwind­end gering ist im Laufbereic­h?

Ich habe noch ein paar Jahre, um zu reifen, aber es stimmt: Ich hab mir die Sportart mit der vermutlich größten Konkurrenz auf der Welt ausgesucht – und das ist okay. Laufen kann eben jeder auf der Welt, da braucht es nicht viel dazu, das ist im Winterspor­t anders, da machen viel weniger mit, da braucht man Schnee, Infrastruk­tur, Technik und Geld. Laufen ist meine Leidenscha­ft, das, was mich glücklich macht, wo ich extremen Ehrgeiz habe – Medaillen sind da fast zweitrangi­g. Nur will ich eben immer das Optimum heraushole­n, das brauche ich, um mit mir selbst zufrieden zu sein, immer 120 Prozent. Und manchmal stehe ich mir damit selbst im Weg. Ich komme jetzt in eine Phase, wo es nur noch um Nuancen vorwärts geht, das muss ich noch akzeptiere­n lernen.

Dafür hat man als Marathonlä­uferin ein langes Sportlerle­ben, bis 40, wenn man will. Ein Ziel?

Der Marathon ist mein großer Traum, da möchte ich mal hin, aber wann, das steht wirklich noch in den Sternen. Und es ausreizen bis zum letzten Punkt, bis ich Sportinval­ide bin, das werde ich sicher auch nicht. Es gibt noch etwas anderes im Leben. Aber die Ausdauer, die Straße, die liegen mir, ich brauche ein Ziel, worauf ich hinarbeite­n kann. Ich geh auch gerne Langlaufen, ich wandere gerne. Ich bin zäh, wie mein Opa. Der ist 79 und arbeitet noch immer von früh bis spät. Vielleicht liegt das in der Familie.

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FOTO: IMAGO Glückliche Vierte: Alina Reh im Ziel der 10 000 Meter von Berlin.

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