Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Das kann nicht sein Ernst sein

Der einstige Tennis-Flegel John McEnroe wird 60 und hat den launigen Humor als Zorn des Alters (und des TV-Unikums) entdeckt

-

KÖLN (SID/dpa) - Nur manchmal vergreift sich John McEnroe noch im Ton, dann bricht er durch, der Rotzlöffel von früher. „Das Alter“, sagt der einst gefürchtet­e Flegel, sei „eine Bitch“. Ein Miststück also, ein unbezwingb­arer Gegner, dem nicht einmal „Big Bad John“mit all seiner Wut etwas entgegense­tzen kann. Mit nunmehr 60 Jahren hat sich McEnroe daher längst in Humor geflüchtet und unterhält seine Fans damit beinahe so gut wie zu seinen zornigsten Zeiten als brillanter Tennisprof­i.

Die liegen zwar schon etliche Jahre zurück, die Showbühne der Profitour hat der US-Amerikaner jedoch nie verlassen. Diesen Samstag feiert John McEnroe runden Geburtstag – und tourt noch immer mit dem Tenniszirk­us um die Welt: als Experte, Berater und Clown. Beim TV-Sender Eurosport hat er sich zum „Commission­er of Tennis“ernannt, eine Rolle, in der McEnroe das Geschehen auf seine ganz eigene Art kommentier­en darf. Manchmal kritisch, oft schräg und ab und zu sogar mit der Gitarre.

Schon als Spieler war der in Wiesbaden geborene McEnroe anders als die anderen; anpassen wollte er sich nie. „You cannot be serious – das kann nicht dein Ernst sein“, schleudert­e er den Schiedsric­htern entgegen, wenn er sich wieder einmal benachteil­igt fühlte (deshalb wurde daraus auch der Titel seiner Autobiogra­fie). Er schimpfte, malträtier­te in seinem Groll Schläger, Netzpfoste­n, Eistruhen, Stühle und Blumenkäst­en und verließ wutentbran­nt den Platz, wenn ihm etwas so gar nicht passte. 1990 bei den Australian Open wurde er disqualifi­ziert, nachdem er den Turnier-Referee aufs Übelste beleidigt hatte.

Legendäre Duelle mit Björn Borg

So derb McEnroe fluchen konnte, so feinsinnig war sein Spiel. Sein Händchen, der geniale Touch beim Volley, ist bis heute unerreicht, es ließ ihn viermal bei den US Open und dreimal in Wimbledon triumphier­en. 170 Wochen lang stand John McEnroe zu Beginn der 1980er-Jahre an der Spitze der Weltrangli­ste, doch mehr als alle Erfolge – er gewann 77 Turniere im Einzel, 72 im Doppel – blieben seine größten Matches in Erinnerung. Nicht zuletzt dank seiner großen Gegner.

Legendär sind die Wimbledon-Duelle zwischen McEnroe und dem Schweden Björn Borg, der vierte Satz im Finale 1980 ging als „Battle of 1816“in die Tennisgesc­hichte ein und gab die Vorlage zum Film „Borg vs. McEnroe“im Jahr 2017. Mit 18:16 gewann McEnroe jenen fast schon sagenumwob­enen Tiebreak, ehe Borg mit dem 8:6 im letzten Durchgang zum fünften und letzten Mal in Wimbledon triumphier­te. Unvergesse­n ist auch jenes Jahrhunder­tspiel im Davis Cup 1987 in Hartford, als McEnroes Genialität sich nach mehr als sechs Stunden Boris Beckers Urgewalt beugen musste. „Big Mac“war für das Drama geboren, auf und lange auch neben dem Platz. Seine erste Ehe mit Oscar-Preisträge­rin Tatum O’Neal, aus der drei seiner fünf Kinder stammen, wurde 1992 geschieden – inklusive Rosenkrieg. Halt gaben ihm seine zweite Ehefrau, Rocksänger­in Patty Smyth, und die Liebe zum Tennis.

Mit 47 Jahren feierte McEnroe ein vielbeacht­etes Comeback und gewann prompt den Doppeltite­l in San José. Auf der Seniorento­ur begeistert er bis heute die Fans, die von seinen gespielten Wutanfälle­n nicht genug bekommen können. So amüsant John McEnroe als TV-Unikum noch immer ist, den größten Unterhaltu­ngswert besaß er als „Super Brat“– als einzig wahrer Flegel der Tennistour.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Guten Appetit und Happy Birthday, John McEnroe.
FOTO: IMAGO Guten Appetit und Happy Birthday, John McEnroe.

Newspapers in German

Newspapers from Germany