Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Fliegen kann sie gut

Juliane Seyfarth zeigt auch in Oberstdorf, dass sie gerade die Saison ihres Lebens springt

- Von Joachim Lindinger

OBERSTDORF - Ein langgezoge­nes „neeeee“, ein Lachen. 100 WeltcupEin­sätze? Juliane Seyfarth staunte. Über die Zahl, über sich selbst. 98 Wettkämpfe hatten die „Extended Data“-Statistike­n des Weltverban­des FIS bis Oberstdorf für die Skispringe­rin des WSC 07 Ruhla ausgewiese­n (plus drei im Team); am Schattenbe­rg wurde Juliane Seyfarth am Samstag Sechste, am Sonntag nach einem höchst spektakulä­ren Wettkampf Zweite. 98 + 2 = 100.

Eingebette­t ist das Jubiläum in die mit Abstand stärkste Saison der bald 29-Jährigen; als Gesamtwelt­cup-Vierte wird sie zur Weltmeiste­rschaft nach Seefeld reisen. Und Team (26. Februar), Einzel (27. Februar) sowie eventuell Mixed-Team (2. März) angehen „wie sonst eigentlich auch jeden Weltcup: Ich versuch’ einfach, möglichst zwei gleichmäßi­g gute Sprünge zu machen.“

Selten diesen Winter ist es beim Versuch geblieben. Siebenmal fand Juliane Seyfarth sich bei einer Weltcup-Siegerehru­ng auf dem Podium, sieben weitere Springen beendete sie in den Top Ten. Stabilität auf solch hohem Niveau kommt nicht von ungefähr, sondern – so die Sportlerin – „einfach von der guten Arbeit von mir und meinen Trainern und Betreuern in der letzten Zeit“. Konkreter wird Bundestrai­ner Andreas Bauer: „Juliane ist ja eine sehr schmale und schmächtig­e Athletin, aber sie ist unheimlich athletisch geworden in diesem Jahr; sie hat akribisch dafür gearbeitet.“Und so eine zweite Qualität veredelt: „Sie ist ja eher eine Fliegerin von ihrer Konstituti­on her. Fliegen kann sie gut.“

Seit jeher. Vielleicht eine Sache der Gene: Opa Georg und Vater Heiko sprangen Ski (Mutter Diana war Leichtathl­etin), Klein-Juliane stand erst auf Alpin-Latten, dann auf der Taekwondo-Matte, schließlic­h in der Loipe. Ihr Langlauftr­ainer Klaus Baacke betreute damals auch Ruhlas Nordische Kombiniere­r; „den hab’ ich dann so lange genervt, bis ich mal mit auf die Schanze durfte“. Neun war Juliane Seyfarth da; mit 15 gewann sie Gold bei der Junioren-Weltmeiste­rschaft 2006 in Kranj – der ersten überhaupt im Frauenskis­pringen. Das, hat Juliane Seyfarth einmal gesagt, bleibe ihr immer, „daran denke ich gern. Aber sonst lebe ich im Jetzt.“

Das „Jetzt“begann, nach Platz zehn bei den Olympische­n Spielen in Pyeongchan­g, mit einem Sommer, in dem keine Krankheit, keine Verletzung bremsten. Schon auf der Porzellans­pur zeigte Juliane Seyfarth Konstanz, Rang fünf in der Grand-PrixSerie sollte ein Fingerzeig sein: auf Lillehamme­r, Schnee-Auftakt, Juliane Seyfarths 84. Weltcup. Ihren bislang besten – Sieg mit 12,6 Punkten Vorsprung vor Maren Lundby, mit 18,6 gar vor Sara Takanashi. Ein Fest fürs Selbstvert­rauen? Ein Fest, gewiss! Selbstvert­rauen allerdings, weiß Juliane Seyfarth, „ist sicher gut“, Flow allein jedoch trage nicht. „Ich muss mich schon auf jeden Wettkampf neu fokussiere­n, jeden Sprung von Neuem ansteuern.“

Das gelingt ihr, die seit 2012 in Oberstdorf lebt und trainiert und diesen Dienstag 29. Geburtstag feiert, im achten Weltcup-Jahr brillant. Drittältes­te war Juliane Seyfarth am Wochenende, flog 132 und überragend­e 135 Meter weit am Sonntag. Mehr „Wirkung“und Höhe hatten ihre Sprünge als tags zuvor. Alle Korrekture­n umgesetzt. Und wie! Erfolg ist Erfahrungs­sache? Das Nein kommt schnell. „Ich glaub’ eher, dass es als Jüngere wesentlich leichter ist. Weil man sich einfach über noch nichts Gedanken macht. Das war bei mir damals auch so.“

Mit 100 Weltcup-Einsätzen reflektier­t Frau ihr Tun häufiger. Früher landen lässt das nicht. Und eine Überlegung ist sowieso tabu – die vom Aufhören. 2021 heißt der WM-Gastgeber Oberstdorf, 2022 sieht Peking Olympia. Bis dahin plant Juliane Seyfarth. „Auf jeden Fall!“Nach so einem Hundertste­n irgendwie verständli­ch ...

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FOTO: IMAGO Im Himmel über Oberstdorf: Juliane Seyfarth, Zweite bei ihrem 100. Weltcup-Start.

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