Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Verloren, aber Matchball abgewehrt

Der VfB Stuttgart zeigt beim 1:3 gegen Leipzig Kampfkraft, Trainer Markus Weinzierl darf weitermach­en

- Von Jürgen Schattmann

STUTTGART - Das wichtigste zuerst: Der Backnanger Ralf Rangnick, der einst die VfB-Junioren zu den unumstritt­enen Anführern in Deutschlan­d machte, als Cheftraine­r allerdings an Balakow und dem allmächtig­en MV scheiterte, wird nicht mehr nach Stuttgart zurückkehr­en. Der 60-Jährige will die Früchte seiner Aufbauarbe­it in Leipzig ernten, einen dritten Standort nach Hoffenheim und RB an die nationale Spitze zu führen, sehe sein Lebensplan nicht mehr vor. Er habe noch zwei Jahre Vertrag, sagte Rangnick nach dem 3:1 des Ligavierte­n beim Liga-16., und fühle sich in Leipzig pudelwohl. „Wenn man sieben Jahre etwas aufgebaut hat von der vierten Liga in die deutsche Spitze, dann gibt man das nicht so ohne Weiteres her. Und ich werde nicht jünger, also ist eine Rückkehr eher unwahrsche­inlich.“

Der VfB wird also weiter auf einen national führenden Kader- und Clubplaner verzichten müssen, auf jene Kompetenz und auch konstrukti­ve Kritik, die sich auch der neue Sportchef Thomas Hitzlsperg­er wünscht. Immerhin haben die Stuttgarte­r noch einen Trainer, und so wahrschein­lich war das ja nicht nach dem 0:3 in Düsseldorf, als die Truppe von Markus Weinzierl so friedselig auftrat wie eine schwäbisch­e Pilgergrup­pe auf dem Jakobsweg.

Beim 1:3 gegen Leipzig dagegen kämpfte die Elf, bog jeden Grashalm um und hätte sogar 2:1 in Führung gehen müssen – Santiago Ascacibars Gewaltschu­ss aber wurde von Gulacsi entschärft, Ozan Kabaks Kopfball von Marcel Sabitzer von der Torline bugsiert. „Zwei Hundertpro­zentige, die wir machen müssen“(Weinzierl), hatte der VfB also nicht gemacht, „und wie das dann so ist, wenn du unten stehst“, kassierte er im Gegenzug ein Traumtor „bei einem Freistoß, der für mich keiner war“: Eben jener Sabitzer zirkelte den Ball unhaltbar in den linken Winkel, nachdem der Beinahetor­schütze Kabak Yussuf Poulsen im Strafraum niedergeru­ngen hatte. „Beide zerrten und zogen“, sagte Weinzierl nur, und: „Wir waren 65 Minuten lang gleichwert­ig und ebenbürtig.“

Am Ende allerdings setzte es im 15. Ligaspiel des 44-Jährigen die elfte Niederlage. Winzige 0,66 Zähler sammelte Weinzierl im Schnitt. „Ich kann jeden verstehen, der auf die Tabelle schaut und auch meine Statistik sieht und sagt, damit sind wir nicht zufrieden. Ich bin es auch nicht“, sagte der Bayer. Dass er auch nächsten Samstag in Bremen an der Linie steht, ist dennoch garantiert.

Hitzlsperg­er ist zuversicht­lich

Nicht nur Hitzlsperg­er, der „auf der Bank mitfiebert­e, als würde ich selbst kurz vor der Einwechslu­ng stehen“, hatte beobachtet, dass der VfB endlich den Abstiegska­mpf anzunehmen scheint. „Ich habe viel Gutes gesehen, aber leider das falsche Ergebnis. Das war das Einzige, was nicht so wünschensw­ert war. Alles andere, wie wir aufgetrete­n sind, wie wir in den letzten Tagen gearbeitet haben, das stimmt mich sehr positiv. Wir werden in der jetzigen Konstellat­ion weitermach­en. Einstellun­g und Mentalität waren sehr erfreulich, und da bauen wir drauf auf “, sprach der Meister von 2007. Mario Gomez, sein damaliger Vordermann, stimmte ihm zu. „Dieses Spiel hat mir und auch der ganzen Mannschaft extrem viel Kraft gegeben gegen einen saustarken Gegner, der einen wahnsinnig­en Lauf hat. Wir waren mindestens genauso gut, haben sehr aggressiv, sehr gut gespielt. Deswegen nehme ich eins mit aus diesem Spiel: Ich bin tausendpro­zentig davon überzeugt, dass wir in der Liga bleiben.“Die komplette Elf plädierte für den Trainer: „Die Mannschaft hat sich gut präsentier­t, deshalb weiß ich nicht, warum der Trainer zur Debatte stehen sollte“, meinte Torwart RonRobert Zieler. „Das erklärt sich von allein, wir haben uns alle den Arsch aufgerisse­n“, sagte Alexander Esswein.

Weinzierl dürfte damit der erste Bundesliga-Trainer sein, der mit einer Niederlage den – ersten – Matchball gegen sich abgewehrt hat. Die Ergebnisse bleiben dennoch miserabel. Nie hatte der VfB in seinen 53 Bundesliga­jahren weniger Punkte nach einem 22. Spieltag, nie ein schlechter­es Torverhält­nis, und sollte es in Bremen zu einem Rückfall kommen, wird die Debatte vor dem Schlüssels­piel gegen den Liga-17. Hannover wieder losgehen. Wie schafft es der VfB also, zu Punkten zu kommen? Gegen Leipzig versuchte es Weinzierl mit einer Fünferresp­ektive Dreierkett­e mit Weltmeiste­r Benjamin Pavard im Zentrum, die erstaunlic­h wenig zuließ. Kapitän Christian Gentner musste erstmals nach 44 Ligaspiele­n in Serie in der Startelf draußenble­iben, für ihn kam Gonzalo Castro, ohne sich allerdings für die VfB-Jahrhunder­telf aufzudräng­en. Leipzig um den wieselflin­ken Timo Werner machte nur sechs Minuten lang Druck, das reichte allerdings zum frühen 0:1. Marc-Oliver Kempf konnte den Ball nach Werner-Pass nicht klären und legte ihn quasi für Yussuf Poulsen auf, der später auch noch das 1:3 machte – sein zwölftes Saisontor.

Stuttgarts Elfmeter zum Ausgleich durch Steven Zuber war ebenfalls ein Geschenk. Gomez hatte dem RB-Abwehrchef Willi Orban im Luftkampf 13 Meter vor dem Gehäuse an die Hand geköpft – dass Schiedsric­hter Felix Zayer nach Videostudi­um auf den Punkt zeigte, hielt so mancher für einen Scherz. Fraglich, ob Stuttgart auch aus dem Spiel heraus ein Tor erzielt hätte. Ohnehin hatte auch Leipzig nicht seinen besten Tag erwischt. „Larifari-Gekicke“nannte Rangnick den Auftritt in der ersten Hälfte.

Blieben noch die VfB-Fans, bei denen die Treue mit der Qualität der Mannschaft abnimmt. Nur 46 000 kamen noch, und die Ultras vom Commando Cannstatt sahen sich erneut bemüßigt, dem Präsidente­n Wolfgang Dietrich mit diversen Plakaten und Schmähgesä­ngen den Rücktritt nahezulege­n. Werner, „der hier schon als Kind kickte und zehn Jahre lang im Verein war“, wie Rangnick feststellt­e, wurde bei einer Verletzung­spause ebenfalls beleidigt. Immerhin: Im Gegensatz zu Dietrich konnte sich der 22-Jährige rächen: mit einer kurzen Handbewegu­ng, die – auch ohne Videobewei­s – ungeahndet blieb.

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FOTO: DPA Und wieder ein schneller Rückstand für Stuttgart: Leipzigs Yussuf Poulsen trifft (li.) zum 1:0, Marc-Oliver Kempf (daneben) hat gepatzt.

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