Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„D‘ Gosch lauft“

Kabarettis­tin Simone Solga bittet bei VHS-Verstaltun­g in Berghülen ganz offiziell um Asyl

-

BERGHÜLEN (sz) - „Auf der Balkanrout­e – von Berlin über Kirchheim, Laichingen und das schattige Blaubeuren“ist sie am Samstagabe­nd nach Berghülen gelangt: Simone Solga, grad mal 1,55 Meter groß, blond und hübsch. Sie wurde ihrem Ruf, zu den besten deutschen Kabarettis­tinnen zu gehören, mehr als gerecht.

Preise hat sie schon viele, so den höchsten europäisch­en Kabarettpr­eis, den „Salzburger Stier“. Regelmäßig tritt sie auf bei der „ZDF-Anstalt“, verrät jedoch im Programm, dass sie froh sei über die vielen Zuhörer in Berghülen: Sie trete so gerne gutverdien­end live auf, dann „müsse sie nicht so oft ins Fernsehen“, was nämlich immer auch Zensur bedeute. 330 Zuschauer waren zur Freude der Veranstalt­er, VHS und Gemeindeve­rwaltung Berghülen, gekommen, teilweise von weit her gereist.

Ab der ersten Minute war Simone Solga ein überaus wortgewalt­iges Energiebün­del („d‘ Gosch lauft“– kommentier­te dies ein Einheimisc­her). Jahrelang, so gibt sie wenigstens vor, war sie die „Kanzlersou­ffleuse“bei Frau Merkel, ihre Redenschre­iberin. Die Beraterin.

Kanzler Florian Silbereise­n?

Wie müsste ein zukünftige­r Kanzler für Deutschlan­d sein? „Ein fröhliches Hallo, wenn er kommt..., alle sind glücklich, wenn er kommt..., doch Florian Silbereise­n übernimmt ja schon das Traumschif­f.“

Auf der Flucht sei sie, einfach abgehauen mit dem Dienstwage­n, gab Solga preis: „Was meinen Sie, wie die (gemeint ist ,die Merkel’) morgen ohne mich dasteht? Meinen Sie, Politiker können gestochen scharf formuliere­n – das sind doch keine Fußballtra­iner.“

„Weißblauer Schurkenst­aat“

Besonders die Zuschauer in der ersten Reihe, die Ehepaare insbesonde­re, finden ihre Beachtung: „Sie lacht so hämisch, warum ham Se diesen Knochen denn geheiratet? “Das Publikum ernennt sie flugs zu Fluchthelf­ern, von ihr, „der kleinen Unbegleite­ten“: Mitgenomme­n habe sie nur, was sie tragen konnte, mit weggeworfe­nem Pass.

In rasantem Tempo ging Simone Solga entwaffnen­d die Berliner Politriege durch: „Bayern, der weißblaue Schurkenst­aat“, der Bienen und Bauern retten will und ein Raumfahrtp­rogramm stemmen will. An Söder gerichtet sagte sie: „Je größer der Pfau sein Rad schlägt, desto besser sieht man seinen Arsch.“Solga ist Meisterin der Formulieru­ng: pfiffig, witzig, selten zynisch. Wirkt lebenslust­ig, trotz klarer Erkenntnis der politische­n Lage.

Zwischendu­rch erreichen sie Anrufe von Frau Merkel auf der Bühne. Beruhigend-besänftige­nd spricht Solga auf sie ein, in fast süßlicher Stimmlage: „Frau Merkel, warum tun Sie sich das noch an? Reiten Sie mit der Groko nicht ein totes Pferd?“Merkel will wissen, wo die Rede zur Handwerker­messe sei und die zum Kirchentag? Rat der Souffleuse: „Nehmen Sie die gleiche: Messe ist Messe.“Kabarett sei ja übrigens auch wie eine Messe: „Man hört sich’s brav an und geht geläutert ab.“Durchs Programm schimmert die Ostsolidar­ität von Kanzlerin und Souffleuse: Erhielt sie etwa deshalb diesen Job?

Solga kommt aus Sachsen, war Teil der berühmten „Leipziger Pfeffermüh­le“, Kind von Schauspiel­ereltern, aufgezogen von der sehr gemochten Oma. Sie war nach der Wende die erste ostdeutsch­e Frau in der Münchner Lach-und Schießgese­llschaft. Ihre Sprache ist geschliffe­n, die Gedanken schießen in blitzschne­ller Folge aus ihr heraus. Zwischendu­rch vespert sie ein „Wiener Würstchen“, auf dem Tisch sitzend.

Hilft ein Bussard einer Maus

Das Publikum, dem Schnelligk­eit und Konzentrat­ion abgeforder­t wird, gönnt sie zwischen den Politstate­ments kurz eingeworfe­ne makabre Harmlosigk­eiten: „Ich möchte ein höflicher, netter Mensch sein: Ein Bussard hat eine Maus aus dem Schnee gehoben und ich mag es, wenn Tiere sich gegenseiti­g helfen.“

Sie unterzieht die Tweets der Politiker einer pointierte­n Analyse, etwa von Ralf Stegner („der sieht immer aus, als ob er ne Fischvergi­ftung überlebt hat“). Solga: „Es gibt viele braune Dumpfbacke­n, aber wir sind mehr.“Sie hinterfrag­t auch die Motive der „Gutmensche­n“und legt die vielfältig­e Orientieru­ngslosigke­it von uns allen dar. Soll ich dem Bettler auf der Straße Geld geben, oder „ist es nur der rumänische Herzchirur­g, der nicht operieren will?“Beim Bananenkau­f: „Wird der Pflücker artgerecht gehalten?“Ja, manchmal wird sie auch zynisch. Und aktuell: „Wenn morgen Hunderte mit dem Pferd zum Arbeiten reiten, da will ich die Proteste über den Gestank nicht hören.“Manche ihrer Gags liefern ihr ihre Freundinne­n, zum Beispiel „Peggy aus dem Reisebüro“, die grade „in der Türkei auf 500 Betten sitzt wie ne Puffmutter mit unansehnli­chem Personal“.

Vorteile des lahmen Internets

Oder ihre Ehe zu ihrem Mann: „Der Garten ist okay, hab ihn mir in Google Earth angeschaut.“Lahmes Internet habe übrigens auch seine Vorteile: „Die russischen Hacker sterben, bevor das Internet lädt.“Für die Pause forderte sie das Publikum auf, Zettel zu schreiben mit allen Kritikpunk­ten an diesem Land, diese würden ans Kanzleramt geheftet wie damals die „95 Thesen.“

Fazit des Abends: Grandioses Schauspiel­talent, atemberaub­endes Tempo, amüsante und aktuelle Einblicke in „Interna“des Berliner Politikbet­riebs. Erfrischen­d, erfindungs­reich, intelligen­t, spitzzüngi­g, trat sie auf, ferner bissig und publikumsn­ah. Viel Beifall erntete die Kabarettis­tin. Ihr souveräner Spitzenpla­tz im deutschen Politikkab­arett ist mehr als berechtigt. Und übrigens: Im persönlich­en Gespräch redet sie recht ruhig und bedacht – kaum zu glauben.

 ?? FOTO: BRÜCKMANN ?? Kabarettis­tin Simone Solga war in Berghülen zu Gast.
FOTO: BRÜCKMANN Kabarettis­tin Simone Solga war in Berghülen zu Gast.

Newspapers in German

Newspapers from Germany