Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Hilferuf für Pariser Lebensart
Immer weniger Bistros im Herzen Frankreichs – Welche Bedeutung die Gaststätten haben
PARIS - Wer das „Le Mesturet“an der Rue Richelieu betritt, sieht zuerst den langen Tresen aus dunklem Holz und Zink. Er ist so etwas wie das Herz des Pariser Bistros. Dort wird getrunken, gegessen und geredet von früh morgens bis spät abends.
„Hier spricht der Arbeiter mit dem Generaldirektor über das letzte Fußballspiel“, sagt Alain Fontaine, der Chef des „Mesturet“. Soziale Schichten, die ansonsten kaum noch miteinander in Berührung kommen, treffen sich an seinem Tresen. Genau deshalb kämpft der jungenhafte Mittfünfziger darum, dass die Pariser Bistros in das immaterielle Unesco-Kulturerbe aufgenommen werden. Denn die gastronomischen Begegnungsorte sind bedroht: Vor 40 Jahren machten sie noch die Hälfte der Pariser Gaststätten aus, inzwischen sind es nur noch 14 Prozent.
Verantwortlich dafür ist die Fastfood-Kultur ebenso wie die Tendenz, sich abends lieber etwas nach Hause liefern zu lassen, als ins Restaurant zu gehen. „Auch George Clooney ist schuld“, kritisiert Fontaine. Der Filmstar habe den Nespresso so beliebt gemacht, dass viele Angestellte morgens lieber eine Kapsel in die Maschine stecken, als ihren „kleinen Schwarzen“am Tresen zu trinken.
Fontaines Bistro ist jeden Mittag proppenvoll. Die meisten seiner Gäste sind Geschäftsleute aus dem Viertel rund um die alte Börse. Abends kommen dann die Touristen, um das Bistro-Flair aufzusaugen, das so typisch französisch ist. Das Menü, das mit Kreide auf einer schwarzen Tafel geschrieben steht, der Wein, den Fontaine nur von ihm bekannten Winzern kauft, die deftige Küche, die mit Produkten der Saison arbeitet. Linsensuppe und Bratwurst stehen im November auf der Speisekarte, die mehrmals im Jahr wechselt.
Die Identität der Bistros
Wer „haute cuisine“erwartet, ist im Bistro falsch. Denn die einfachen Restaurants entstanden im Paris des 19. Jahrhunderts für die Arbeiter, die aus der Provinz gekommen waren, um die eleganten Häuser des Baron Haussmann zu bauen. Die Bistros waren für sie eine Art Wohnzimmer, wo das gegessen wurde, was sie aus ihrer Heimat kannten.
Orte des Miteinanders sind die Bistros bis heute geblieben. Deshalb will die Regierung auch dagegen ankämpfen, dass immer mehr der typischen Gaststätten schließen. Premierminister Edouard Philippe kündigte im September an, auf dem Land tausend neue Bistros zu schaffen. Außerdem sollen die Lizenzen für den Betrieb einer „Bar-Tabac“, wie die einfache Bistro-Variante auf dem Land heißt, einfacher zu bekommen sein. Philippes Engagement kommt nicht von ungefähr: Die Krise der Gelbwesten hatte der Regierung vor Augen geführt, wie wichtig solche Treffpunkte für den sozialen Zusammenhalt
sind. Wenn die Begegnungen nicht mehr in den Bistros stattfinden, versammeln sich die Menschen auf der Straße, lautete eine der Lehren aus dem Sozialprotest. „Die Gelbwesten haben auf ihre Art die Bistros wiederbelebt“, sagt Fontaine.
Symbol des Widerstands
Zum Symbol des Widerstands wurden die kleinen Restaurants am 13. November 2015, dem Tag, an dem Paris durch mehrere Anschläge erschüttert wurde. „Je suis en terrasse“lautete der Slogan nach den Angriffen auf Bars und den Konzertsaal Bataclan, bei denen 130 Menschen getötet wurden. Auf den Terrassen der Bistros, in denen schon Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir debattierten, ging das Leben danach schnell seinen gewohnten Gang. Die
Pariser tranken ihr Glas Wein, um den Islamisten zu zeigen, dass sie ihre Lebensart auch in Zeiten der Bedrohung nicht aufgeben.
Vier Jahre später geht es nun darum, genau dieses Stück Lebensart vor dem Aussterben zu bewahren. Alain Fontaine, der Vorsitzende der Vereinigung zur Erlangung des Kulturerbenstatus, will die Institution mithilfe der Unesco retten. Immaterielles Kulturerbe sollen die Bistros werden, so wie 2010 das französische Mahl mit seiner Abfolge von vier Gängen.
Seit 2018 wirbt der fünffache Vater für seine Initiative, unterstützt von der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo. Denn schließlich gehören die Bistros genauso zu Paris wie der Louvre, Montmartre oder der Eiffelturm.