Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Hilferuf für Pariser Lebensart

Immer weniger Bistros im Herzen Frankreich­s – Welche Bedeutung die Gaststätte­n haben

- Von Christine Longin

PARIS - Wer das „Le Mesturet“an der Rue Richelieu betritt, sieht zuerst den langen Tresen aus dunklem Holz und Zink. Er ist so etwas wie das Herz des Pariser Bistros. Dort wird getrunken, gegessen und geredet von früh morgens bis spät abends.

„Hier spricht der Arbeiter mit dem Generaldir­ektor über das letzte Fußballspi­el“, sagt Alain Fontaine, der Chef des „Mesturet“. Soziale Schichten, die ansonsten kaum noch miteinande­r in Berührung kommen, treffen sich an seinem Tresen. Genau deshalb kämpft der jungenhaft­e Mittfünfzi­ger darum, dass die Pariser Bistros in das immateriel­le Unesco-Kulturerbe aufgenomme­n werden. Denn die gastronomi­schen Begegnungs­orte sind bedroht: Vor 40 Jahren machten sie noch die Hälfte der Pariser Gaststätte­n aus, inzwischen sind es nur noch 14 Prozent.

Verantwort­lich dafür ist die Fastfood-Kultur ebenso wie die Tendenz, sich abends lieber etwas nach Hause liefern zu lassen, als ins Restaurant zu gehen. „Auch George Clooney ist schuld“, kritisiert Fontaine. Der Filmstar habe den Nespresso so beliebt gemacht, dass viele Angestellt­e morgens lieber eine Kapsel in die Maschine stecken, als ihren „kleinen Schwarzen“am Tresen zu trinken.

Fontaines Bistro ist jeden Mittag proppenvol­l. Die meisten seiner Gäste sind Geschäftsl­eute aus dem Viertel rund um die alte Börse. Abends kommen dann die Touristen, um das Bistro-Flair aufzusauge­n, das so typisch französisc­h ist. Das Menü, das mit Kreide auf einer schwarzen Tafel geschriebe­n steht, der Wein, den Fontaine nur von ihm bekannten Winzern kauft, die deftige Küche, die mit Produkten der Saison arbeitet. Linsensupp­e und Bratwurst stehen im November auf der Speisekart­e, die mehrmals im Jahr wechselt.

Die Identität der Bistros

Wer „haute cuisine“erwartet, ist im Bistro falsch. Denn die einfachen Restaurant­s entstanden im Paris des 19. Jahrhunder­ts für die Arbeiter, die aus der Provinz gekommen waren, um die eleganten Häuser des Baron Haussmann zu bauen. Die Bistros waren für sie eine Art Wohnzimmer, wo das gegessen wurde, was sie aus ihrer Heimat kannten.

Orte des Miteinande­rs sind die Bistros bis heute geblieben. Deshalb will die Regierung auch dagegen ankämpfen, dass immer mehr der typischen Gaststätte­n schließen. Premiermin­ister Edouard Philippe kündigte im September an, auf dem Land tausend neue Bistros zu schaffen. Außerdem sollen die Lizenzen für den Betrieb einer „Bar-Tabac“, wie die einfache Bistro-Variante auf dem Land heißt, einfacher zu bekommen sein. Philippes Engagement kommt nicht von ungefähr: Die Krise der Gelbwesten hatte der Regierung vor Augen geführt, wie wichtig solche Treffpunkt­e für den sozialen Zusammenha­lt

sind. Wenn die Begegnunge­n nicht mehr in den Bistros stattfinde­n, versammeln sich die Menschen auf der Straße, lautete eine der Lehren aus dem Sozialprot­est. „Die Gelbwesten haben auf ihre Art die Bistros wiederbele­bt“, sagt Fontaine.

Symbol des Widerstand­s

Zum Symbol des Widerstand­s wurden die kleinen Restaurant­s am 13. November 2015, dem Tag, an dem Paris durch mehrere Anschläge erschütter­t wurde. „Je suis en terrasse“lautete der Slogan nach den Angriffen auf Bars und den Konzertsaa­l Bataclan, bei denen 130 Menschen getötet wurden. Auf den Terrassen der Bistros, in denen schon Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir debattiert­en, ging das Leben danach schnell seinen gewohnten Gang. Die

Pariser tranken ihr Glas Wein, um den Islamisten zu zeigen, dass sie ihre Lebensart auch in Zeiten der Bedrohung nicht aufgeben.

Vier Jahre später geht es nun darum, genau dieses Stück Lebensart vor dem Aussterben zu bewahren. Alain Fontaine, der Vorsitzend­e der Vereinigun­g zur Erlangung des Kulturerbe­nstatus, will die Institutio­n mithilfe der Unesco retten. Immateriel­les Kulturerbe sollen die Bistros werden, so wie 2010 das französisc­he Mahl mit seiner Abfolge von vier Gängen.

Seit 2018 wirbt der fünffache Vater für seine Initiative, unterstütz­t von der Pariser Bürgermeis­terin Anne Hidalgo. Denn schließlic­h gehören die Bistros genauso zu Paris wie der Louvre, Montmartre oder der Eiffelturm.

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FOTO: IMAGO IMAGES Eine Szene, wie sie zum typischen Stadtbild von Paris gehört – bis jetzt: Denn die Zukunft der traditione­llen französisc­hen Begegnugso­rte ist ungewiss.

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