Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Hitlers Zylinder unterm Hammer
Mehr als 800 Nazi-Devotionalien in München versteigert – Die Auktion hat schon im Vorfeld Empörung ausgelöst
MÜNCHEN – Der Mann im dunklen Anzug blickt suchend im Saal umher, ob sich einer der Anwesenden noch mal zu Wort melden will. Sein linker Arm ist ausgestreckt, der Zeigefinger deutet auf einen Kollegen, der soeben das aktuelle Höchstgebot von 50 000 Euro per Telefon entgegengenommen und kundgetan hat. „Fünfzigtausend Euro zum Ersten“, ruft der Auktionator. „Fünfzigtausend zum Zweiten. Und Fünfzigtausend zum Dritten.“Sagt’s und hämmert mit einem Stift auf den Tisch – zur Bestätigung.
Was hier im Auktionshaus Hermann Historica in Grasbrunn bei München soeben zum Preis eines gehobenen Mittelklasseautos versteigert wurde, ist ein Zylinder. Genauer gesagt: ein faltbarer Chapeau Claque aus schwarzem Seidentuch von der Hutfabrik J.A. Seidl München – „belüftet u. druckfrei D.R.G.M.“, so steht es im Deckel. Und am Schweißband prangen in Gold die Initialen AH – für Adolf Hitler. Er soll diesen Zylinder getragen haben. Laut Angaben des Auktionshauses stammt der Hut aus einem Koffer mit persönlichen Gegenständen von Eva Braun, den die Amerikaner im Mai 1945 nahe Salzburg beschlagnahmten. Nun also gehört Hitlers Hut einem neuen Besitzer, der wie sämtliche Bieter bei dieser Auktion anonym bleibt.
Was er mit dem Zylinder vorhat? Das bleibt ebenso im Dunkeln wie die weitere Verwendung von Hermann Görings Taufzeugnis, das wenig später für 1500 Euro unter den Hammer kommt, oder von einem Set aus zwölf silbernen Kaffeelöffeln aus dem Hause Heinrich Himmlers (4200 Euro). Insgesamt 842 Gegenstände, vorwiegend aus der Nazizeit, werden an diesem Mittwoch in Grasbrunn versteigert; „Deutsche Zeitgeschichte – Orden und Militaria ab 1919“lautet der Titel der Auktion. Geboten wird im Vorfeld per Brief sowie live via Telefon, online und von rund 50 Anwesenden im Saal.
Medienvertreter sind dort an diesem Tag nicht zugelassen, „weil bei den vielen Anfragen der Platz gar nicht ausreichen würde“, hat Geschäftsführer Bernhard Pacher zuvor erläutert. Denn auch wenn es keineswegs die erste Auktion dieser Art von Hermann Historica ist – das öffentliche Interesse und die Entrüstung seien noch nie so groß gewesen wie diesmal, sagt Pacher. „Ich hatte nicht nur Presseanfragen aus ganz Deutschland, sondern auch aus den USA und aus Israel.“Zudem verfasste der Geschäftsführer ein Antwortschreiben an Rabbi Menachem Margolin von der European Jewish Association in Brüssel. Dieser hatte zuvor in einem offenen Brief die Absage der Versteigerung gefordert, da man mit derlei Gegenständen „einfach keinen Handel treiben sollte“. Dem Auktionshaus schrieb der Rabbi: „Was Sie machen, ist nicht illegal – aber es ist falsch“.
Ganz ähnlich klingt die Kritik mehrerer jüdischer Gemeinden und Verbände hierzulande. „Dass sich ein Auktionshaus in Deutschland an einem derartigen NS-Devotionalienhandel beteiligt, ist schlicht beschämend und geschmacklos“, teilt der Vorstand der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg mit, der sich darüber hinaus nicht zu dem Thema äußern will. Derweil betont Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern: „Persönliche Gegenstände aus den höchsten Ebenen des nationalsozialistischen Regimes zu versteigern, gehört für mich zu den Unternehmungen, die zwar nicht verboten sind, sich aber von selbst verbieten. Das Risiko wäre viel zu groß, dass Besitzungen einiger der größten Verbrecher der Menschheitsgeschichte an Käufer gehen, die mit ihnen unkritisch oder sogar verherrlichend umgehen.“
Bernhard Pacher von Hermann Historica, einem der weltweit führenden Auktionshäuser für Militaria, kann diese Kritik nicht nachvollziehen. Ihm zufolge sind 75 Prozent der Bieter bei der Versteigerung „renommierte Museen aus aller Welt“; dazu kämen „private Sammler, die sich wirklich akribisch mit dem Thema auseinandersetzen“. Der „durchschnittliche Neonazi“, so Pacher, komme allein wegen der Preise nicht als Käufer infrage. „Der geht auf irgendeine MemorabiliaBörse und kauft sich für 150 Euro eine Kopie von einem Wehrmachthelm. Der braucht nicht bei uns das Zehnbis Hundertfache dafür ausgeben.“Zurück zur Auktion, die man per Livestream auch im Internet verfolgen kann. Nach einem schwarzen Cocktailkleid von Eva Braun (Verkaufspreis: 4600 Euro) und sechs Teilen aus dem Porzellanservice von Magda Goebbels (1300 Euro) geht es nun um Hermann Görings persönliche LuxusAusgabe von Hitlers „Mein Kampf“, einem der Lose mit dem höchsten Startpreis. Als Nachweis für die Herkunft liegt dem Buch ein handschriftlicher
Bericht des USLeutnants Layton
Jones bei. Er beschreibt darin, wie seine Einheit die „Aladdin-Höhle“entdeckte – ein unterirdisches Versteck, in dem Göring sein persönliches Eigentum vor den Amerikanern verbergen wollte.
Der Startpreis liegt bei 75 000 Euro. Wieder fliegen im Sekundentakt Gebote durch den Saal, per Telefon und Internet, „zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten und Letzten“, ruft der Auktionator – und dann ist das Buch mit dem Adler und dem Hakenkreuz auf dem silbernen Einband verkauft. Für 130 000 Euro. Von dieser Summe geht eine Pauschale von 20 Prozent als Provision an Hermann Historica, so steht es auf der Webseite des Auktionshauses. Dieses tritt bei derlei Versteigerungen stets nur als Vermittler zwischen Verkäufer und Käufer auf. Doch ist der Handel mit Nazi-Relikten überhaupt legal? Schließlich untersagt das Strafgesetzbuch das Verbreiten und Verwenden von Propagandamitteln und Kennzeichen von verfassungswidrigen Organisationen. Jedoch gilt dies nicht, heißt es im Paragraph 86, wenn die Propagandamittel etwa der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre oder der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens dienen. Und genau auf diese Ausnahme berufen sich Häuser wie Hermann Historica, wenn es um Auktionen von Nazi-Gegenständen geht.
Sämtliche Bieter müssten sich für solche Versteigerungen vorab namentlich anmelden und überdies erklären, dass sie mit den entsprechenden Passagen im Strafgesetzbuch vertraut sind, sagt Bernhard Pacher. Der Geschäftsführer verweist auch vor der Auktion im Saal noch mal auf die Paragraphen 86 und 86a – in Deutsch und Englisch. „Ich gehe davon aus, dass alle, die in diesem Raum sind, sich daran halten werden“, sagt Pacher. Schließlich handle es sich bei der Versteigerung um ein „very hairy topic“, also um eine haarige Angelegenheit.
Der Geschäftsführer selbst sieht in dem Tun seines Hauses einen Beitrag zur Forschung, gehe es hier doch um Objekte der deutschen Zeitgeschichte. In dem Antwortschreiben an Rabbi Menachem Margolin führt Pacher die „Banalität des Bösen“an – eine Formulierung, die die Philosophin Hannah Arendt in Zusammenhang mit Adolf Eichmann kreiert hat. Würde man alle Besitztümer von Naziführern wie Hitler und Göring vernichten, dann trüge das nur dazu bei, diese zu glorifizieren, schreibt Pacher an den Rabbi. Und es bestünde die Gefahr, dass man die Schuld nicht bei den Menschen suche, sondern bei „Monstern, die womöglich zu mythischen Figuren werden“.
Nur was soll beispielsweise ein Gewürzstreuer von Adolf Hitler (850 Euro) oder eine der Sonnenbrillen für die Angeklagten der Nürnberger Prozesse (1000 Euro) Erhellendes zur Forschung über die NS-Zeit beitragen? Geschweige denn die Seidenunterhose von Hermann Göring mit einer Bundweite von 114 Zentimetern, die 2016 bei einer Hermann-Historica-Auktion für 3000 Euro unter den Hammer kam. Zehn namhafte Museen und Gedenkstätten äußerten damals der Zeitung „Die Welt“zufolge in einem offenen Brief Kritik an der Versteigerung und ihrem „Fetischcharakter“. Zudem warnten die Unterzeichner davor, dass das Geschäft mit Objekten aus dieser Zeit den Nationalsozialismus „bagatellisiere“und ihn „verherrliche“.
Aus wissenschaftlicher Sicht stünden die Summen, die Objekte wie Hitlers Zylinder bei solchen Auktionen erzielen, in keinem Zusammenhang mit dem historischen Erkenntnisgewinn, sagt Paul-Moritz Rabe vom NS-Dokumentationszentrum in München im Interview mit dem SWR. Im Gegenteil nehme der wissenschaftliche Wert dadurch sogar ab, wenn derlei Gegenstände aus dem Kontext gerissen und als Einzelteile „verscherbelt und in alle Welt verteilt werden“. Im NS-Dokumentationszentrum verzichte man bewusst auf Objekte von Nazigrößen, sagt Rabe. „Wir sind zu der Meinung gekommen, dass die Erkenntnisse, die man aus solchen Objekten ziehen kann, in keinem Verhältnis stehen zu der Gefahr, die daraus entsteht – nämlich eine Art dunkle Aura zu verbreiten, die man dann nicht wieder einfangen kann.“
Von einer dunklen Aura ist derweil im Auktionshaus in Grasbrunn nichts zu spüren. Vielmehr wird hier routiniert Los um Los aufgerufen. Nach knapp fünf Stunden sind fast die Hälfte der 842 Objekte unter den Hammer gekommen. Der Gesamterlös beläuft sich schon zu diesem Zeitpunkt auf mehr als 850 000 Euro. Soeben sind nacheinander mehrere Servietten von Adolf Hitler versteigert worden. Sich einmal den Mund abwischen wie Hitler, sozusagen Lippe an Lippe mit dem größten Übel der deutschen Geschichte? Das gibt’s hier für rund 700 Euro.
„Das gehört für mich zu den Unternehmungen, die zwar nicht verboten sind, sich aber von selbst verbieten.“
Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern