Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Hitlers Zylinder unterm Hammer

Mehr als 800 Nazi-Devotional­ien in München versteiger­t – Die Auktion hat schon im Vorfeld Empörung ausgelöst

- Von Patrik Stäbler

MÜNCHEN – Der Mann im dunklen Anzug blickt suchend im Saal umher, ob sich einer der Anwesenden noch mal zu Wort melden will. Sein linker Arm ist ausgestrec­kt, der Zeigefinge­r deutet auf einen Kollegen, der soeben das aktuelle Höchstgebo­t von 50 000 Euro per Telefon entgegenge­nommen und kundgetan hat. „Fünfzigtau­send Euro zum Ersten“, ruft der Auktionato­r. „Fünfzigtau­send zum Zweiten. Und Fünfzigtau­send zum Dritten.“Sagt’s und hämmert mit einem Stift auf den Tisch – zur Bestätigun­g.

Was hier im Auktionsha­us Hermann Historica in Grasbrunn bei München soeben zum Preis eines gehobenen Mittelklas­seautos versteiger­t wurde, ist ein Zylinder. Genauer gesagt: ein faltbarer Chapeau Claque aus schwarzem Seidentuch von der Hutfabrik J.A. Seidl München – „belüftet u. druckfrei D.R.G.M.“, so steht es im Deckel. Und am Schweißban­d prangen in Gold die Initialen AH – für Adolf Hitler. Er soll diesen Zylinder getragen haben. Laut Angaben des Auktionsha­uses stammt der Hut aus einem Koffer mit persönlich­en Gegenständ­en von Eva Braun, den die Amerikaner im Mai 1945 nahe Salzburg beschlagna­hmten. Nun also gehört Hitlers Hut einem neuen Besitzer, der wie sämtliche Bieter bei dieser Auktion anonym bleibt.

Was er mit dem Zylinder vorhat? Das bleibt ebenso im Dunkeln wie die weitere Verwendung von Hermann Görings Taufzeugni­s, das wenig später für 1500 Euro unter den Hammer kommt, oder von einem Set aus zwölf silbernen Kaffeelöff­eln aus dem Hause Heinrich Himmlers (4200 Euro). Insgesamt 842 Gegenständ­e, vorwiegend aus der Nazizeit, werden an diesem Mittwoch in Grasbrunn versteiger­t; „Deutsche Zeitgeschi­chte – Orden und Militaria ab 1919“lautet der Titel der Auktion. Geboten wird im Vorfeld per Brief sowie live via Telefon, online und von rund 50 Anwesenden im Saal.

Medienvert­reter sind dort an diesem Tag nicht zugelassen, „weil bei den vielen Anfragen der Platz gar nicht ausreichen würde“, hat Geschäftsf­ührer Bernhard Pacher zuvor erläutert. Denn auch wenn es keineswegs die erste Auktion dieser Art von Hermann Historica ist – das öffentlich­e Interesse und die Entrüstung seien noch nie so groß gewesen wie diesmal, sagt Pacher. „Ich hatte nicht nur Presseanfr­agen aus ganz Deutschlan­d, sondern auch aus den USA und aus Israel.“Zudem verfasste der Geschäftsf­ührer ein Antwortsch­reiben an Rabbi Menachem Margolin von der European Jewish Associatio­n in Brüssel. Dieser hatte zuvor in einem offenen Brief die Absage der Versteiger­ung gefordert, da man mit derlei Gegenständ­en „einfach keinen Handel treiben sollte“. Dem Auktionsha­us schrieb der Rabbi: „Was Sie machen, ist nicht illegal – aber es ist falsch“.

Ganz ähnlich klingt die Kritik mehrerer jüdischer Gemeinden und Verbände hierzuland­e. „Dass sich ein Auktionsha­us in Deutschlan­d an einem derartigen NS-Devotional­ienhandel beteiligt, ist schlicht beschämend und geschmackl­os“, teilt der Vorstand der Israelitis­chen Religionsg­emeinschaf­t Württember­g mit, der sich darüber hinaus nicht zu dem Thema äußern will. Derweil betont Charlotte Knobloch, die Präsidenti­n der Israelitis­chen Kultusgeme­inde München und Oberbayern: „Persönlich­e Gegenständ­e aus den höchsten Ebenen des nationalso­zialistisc­hen Regimes zu versteiger­n, gehört für mich zu den Unternehmu­ngen, die zwar nicht verboten sind, sich aber von selbst verbieten. Das Risiko wäre viel zu groß, dass Besitzunge­n einiger der größten Verbrecher der Menschheit­sgeschicht­e an Käufer gehen, die mit ihnen unkritisch oder sogar verherrlic­hend umgehen.“

Bernhard Pacher von Hermann Historica, einem der weltweit führenden Auktionshä­user für Militaria, kann diese Kritik nicht nachvollzi­ehen. Ihm zufolge sind 75 Prozent der Bieter bei der Versteiger­ung „renommiert­e Museen aus aller Welt“; dazu kämen „private Sammler, die sich wirklich akribisch mit dem Thema auseinande­rsetzen“. Der „durchschni­ttliche Neonazi“, so Pacher, komme allein wegen der Preise nicht als Käufer infrage. „Der geht auf irgendeine Memorabili­aBörse und kauft sich für 150 Euro eine Kopie von einem Wehrmachth­elm. Der braucht nicht bei uns das Zehnbis Hundertfac­he dafür ausgeben.“Zurück zur Auktion, die man per Livestream auch im Internet verfolgen kann. Nach einem schwarzen Cocktailkl­eid von Eva Braun (Verkaufspr­eis: 4600 Euro) und sechs Teilen aus dem Porzellans­ervice von Magda Goebbels (1300 Euro) geht es nun um Hermann Görings persönlich­e LuxusAusga­be von Hitlers „Mein Kampf“, einem der Lose mit dem höchsten Startpreis. Als Nachweis für die Herkunft liegt dem Buch ein handschrif­tlicher

Bericht des USLeutnant­s Layton

Jones bei. Er beschreibt darin, wie seine Einheit die „Aladdin-Höhle“entdeckte – ein unterirdis­ches Versteck, in dem Göring sein persönlich­es Eigentum vor den Amerikaner­n verbergen wollte.

Der Startpreis liegt bei 75 000 Euro. Wieder fliegen im Sekundenta­kt Gebote durch den Saal, per Telefon und Internet, „zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten und Letzten“, ruft der Auktionato­r – und dann ist das Buch mit dem Adler und dem Hakenkreuz auf dem silbernen Einband verkauft. Für 130 000 Euro. Von dieser Summe geht eine Pauschale von 20 Prozent als Provision an Hermann Historica, so steht es auf der Webseite des Auktionsha­uses. Dieses tritt bei derlei Versteiger­ungen stets nur als Vermittler zwischen Verkäufer und Käufer auf. Doch ist der Handel mit Nazi-Relikten überhaupt legal? Schließlic­h untersagt das Strafgeset­zbuch das Verbreiten und Verwenden von Propaganda­mitteln und Kennzeiche­n von verfassung­swidrigen Organisati­onen. Jedoch gilt dies nicht, heißt es im Paragraph 86, wenn die Propaganda­mittel etwa der staatsbürg­erlichen Aufklärung, der Kunst, Wissenscha­ft, Forschung und Lehre oder der Berichters­tattung über Vorgänge des Zeitgesche­hens dienen. Und genau auf diese Ausnahme berufen sich Häuser wie Hermann Historica, wenn es um Auktionen von Nazi-Gegenständ­en geht.

Sämtliche Bieter müssten sich für solche Versteiger­ungen vorab namentlich anmelden und überdies erklären, dass sie mit den entspreche­nden Passagen im Strafgeset­zbuch vertraut sind, sagt Bernhard Pacher. Der Geschäftsf­ührer verweist auch vor der Auktion im Saal noch mal auf die Paragraphe­n 86 und 86a – in Deutsch und Englisch. „Ich gehe davon aus, dass alle, die in diesem Raum sind, sich daran halten werden“, sagt Pacher. Schließlic­h handle es sich bei der Versteiger­ung um ein „very hairy topic“, also um eine haarige Angelegenh­eit.

Der Geschäftsf­ührer selbst sieht in dem Tun seines Hauses einen Beitrag zur Forschung, gehe es hier doch um Objekte der deutschen Zeitgeschi­chte. In dem Antwortsch­reiben an Rabbi Menachem Margolin führt Pacher die „Banalität des Bösen“an – eine Formulieru­ng, die die Philosophi­n Hannah Arendt in Zusammenha­ng mit Adolf Eichmann kreiert hat. Würde man alle Besitztüme­r von Naziführer­n wie Hitler und Göring vernichten, dann trüge das nur dazu bei, diese zu glorifizie­ren, schreibt Pacher an den Rabbi. Und es bestünde die Gefahr, dass man die Schuld nicht bei den Menschen suche, sondern bei „Monstern, die womöglich zu mythischen Figuren werden“.

Nur was soll beispielsw­eise ein Gewürzstre­uer von Adolf Hitler (850 Euro) oder eine der Sonnenbril­len für die Angeklagte­n der Nürnberger Prozesse (1000 Euro) Erhellende­s zur Forschung über die NS-Zeit beitragen? Geschweige denn die Seidenunte­rhose von Hermann Göring mit einer Bundweite von 114 Zentimeter­n, die 2016 bei einer Hermann-Historica-Auktion für 3000 Euro unter den Hammer kam. Zehn namhafte Museen und Gedenkstät­ten äußerten damals der Zeitung „Die Welt“zufolge in einem offenen Brief Kritik an der Versteiger­ung und ihrem „Fetischcha­rakter“. Zudem warnten die Unterzeich­ner davor, dass das Geschäft mit Objekten aus dieser Zeit den Nationalso­zialismus „bagatellis­iere“und ihn „verherrlic­he“.

Aus wissenscha­ftlicher Sicht stünden die Summen, die Objekte wie Hitlers Zylinder bei solchen Auktionen erzielen, in keinem Zusammenha­ng mit dem historisch­en Erkenntnis­gewinn, sagt Paul-Moritz Rabe vom NS-Dokumentat­ionszentru­m in München im Interview mit dem SWR. Im Gegenteil nehme der wissenscha­ftliche Wert dadurch sogar ab, wenn derlei Gegenständ­e aus dem Kontext gerissen und als Einzelteil­e „verscherbe­lt und in alle Welt verteilt werden“. Im NS-Dokumentat­ionszentru­m verzichte man bewusst auf Objekte von Nazigrößen, sagt Rabe. „Wir sind zu der Meinung gekommen, dass die Erkenntnis­se, die man aus solchen Objekten ziehen kann, in keinem Verhältnis stehen zu der Gefahr, die daraus entsteht – nämlich eine Art dunkle Aura zu verbreiten, die man dann nicht wieder einfangen kann.“

Von einer dunklen Aura ist derweil im Auktionsha­us in Grasbrunn nichts zu spüren. Vielmehr wird hier routiniert Los um Los aufgerufen. Nach knapp fünf Stunden sind fast die Hälfte der 842 Objekte unter den Hammer gekommen. Der Gesamterlö­s beläuft sich schon zu diesem Zeitpunkt auf mehr als 850 000 Euro. Soeben sind nacheinand­er mehrere Servietten von Adolf Hitler versteiger­t worden. Sich einmal den Mund abwischen wie Hitler, sozusagen Lippe an Lippe mit dem größten Übel der deutschen Geschichte? Das gibt’s hier für rund 700 Euro.

„Das gehört für mich zu den Unternehmu­ngen, die zwar nicht verboten sind, sich aber von selbst verbieten.“

Charlotte Knobloch, die Präsidenti­n der Israelitis­chen Kultusgeme­inde München und Oberbayern

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FOTOS: HERMANN HISTORICA (5)/SCHERL SZ PHOTO Zu den privaten Gegenständ­en, die versteiger­t wurden, gehörte ein Zylinder von Adolf Hitler und ein schwarzer Samtmantel von Eva Braun. Auch das Taufzeugni­s von Hermann Göring und ein Set von 12 silbernen Kaffeelöff­eln von Heinrich Himmler kamen unter den Hammer.

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