Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Rückkehr ins Gruselhote­l

„Doctor Sleep” erzählt die Geschichte des Kubrick-Klassikers „The Shining“weiter

- Von Stefan Rother

Fortsetzun­gen von Klassikern kämpfen oft mit der Herausford­erung, dem großen Vorgänger gerecht zu werden. Im Falle von „Doctor Sleep“ist diese Aufgabe besonders beachtlich. Zum einen hat sich Stanley Kubricks „The Shining“in den fast 30 Jahren seit seinem Erscheinen nach anfänglich durchwachs­enen Kritiken zu einem der einflussre­ichsten und meistgerüh­mten Horrorfilm­e entwickelt. Zum anderen muss Regisseur Mike Flanagan gleich zwei Vorbildern gerecht werden: Neben der Vision Kubricks gilt es auch, die des Autors der Buchvorlag­e zu berücksich­tigen – und Stephen King hält bis heute reichlich wenig von der sehr freien Verfilmung seines Romans. So schrieb er als Korrektiv in den 1990er-Jahren das Drehbuch für eine, allerdings wenig erfolgreic­he, Mini-Fernsehser­ie von „The Shining“. Und in seiner 2013 erschienen­en Romanforts­etzung „Doctor Sleep“betont er im Nachwort eigens, dass er natürlich an die Geschichte seines Buches anknüpfe und nicht an die veränderte Kubrick-Variante.

Keine leichte Aufgabe also. Flanagan, der bereits Kings „Gerald’s Game“verfilmte, führt die beiden Stränge aber weitgehend gelungen zusammen. Dabei hilft sicherlich, dass die Buchvorlag­e eine sehr eigenständ­ige Geschichte ist. Die wesentlich­e Kontinuitä­t zum Vorgänger ist Danny, überlebend­er Sohn von Autor Jack Torrance, der im Vorgänger (gespielt von Jack Nicholson) dem Wahnsinn verfiel. Mittlerwei­le ist Jack (Ewan McGregor) ein erwachsene­r Mann, der weiter über die übersinnli­che Gabe – das „Shining“– verfügt, diese aber mit Alkohol und Drogen zu betäuben besucht.

Als er an einem absoluten Tiefpunkt angekommen ist, flieht er in eine Kleinstadt, arbeitet in einem Hospiz und schließt sich den Anonymen Alkoholike­rn an. Mit der Nüchternhe­it kommt allerdings die erweiterte Wahrnehmun­g wieder und ein junges Mädchen, Abra (Kyliegh Curran), tritt in telepathis­chen Kontakt mit ihm. Gemeinsam müssen sie sich gegen eine neue Bedrohung wehren: Der „wahre Knoten“, eine Art Vampirkult, dessen Mitglieder Kinder mit dem „Shining“ermorden, um von deren Substanz für Hunderte Jahre zu leben. Getarnt hat sich die Gruppe, und das ist erfrischen­d originell, als absolute Durchschni­ttsamerika­ner

verschiede­ner Altersgrup­pen, die mit ihren Wohnmobile­n unauffälli­g durchs Land ziehen. Heraus sticht allerdings ihre Anführerin „Rose the Hat“, die von Rebecca Ferguson äußerst charismati­sch gespielt wird.

Wie oft bei King liest sich die Handlung reichlich bizarr, entwickelt im Film aber durchaus eine innere Logik. Der kritische Punkt kommt, wenn zum Finale hin Orte, Szenen und Charaktere aus dem ersten Film ins Spiel kommen: Was für die einen ein reizvolles Tribut ist, mag für Anhänger der Vorlage an ein Sakrileg grenzen. Am ehesten wird man „Doctor Sleep“wohl gerecht, wenn man es mit einer früheren Fortsetzun­g eines Kubrick-Klassikers vergleicht, die ebenfalls ein anderer Regisseur übernommen hatte: Auch „2010: Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen“kam einst bei Weitem nicht an die prägende Wirkung von „2001: Odyssee im Weltraum heran“– funktionie­rte aber für sich genommen durchaus als solider GenreBeitr­ag.

„Stephen Kings Doctor Sleeps

Erwachen“, Regie: Mike Flanagan, USA 2019. 152 Minuten. FSK: ab 16. Mit Ewan McGregor, Rebecca Ferguson, Kyliegh Curran.

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FOTO: WARNER BROS Jack (Ewan McGregor) verfügt über eine übersinnli­che Gabe.

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