Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Ein Aufruf zur Menschlichkeit
„Das Versprechen des Bienenhüters“von Christy Lefteri steht für das Schicksal vieler Flüchtlingsfamilien
Christy Lefteri erzählt in „Das Versprechen des Bienenhüters“die Geschichte von Nuri und Afra, zwei Menschen, die zufrieden in Aleppo leben, bis der Bürgerkrieg ihnen den
Sohn und die Heimat nimmt. Und
Afra zudem noch das Augenlicht. Sie fliehen aus Syrien und versuchen, sich nach England durchzuschlagen, wo Verwandte auf sie warten. Es ist ein furchterregendes Wagnis, voller Gefahren, Hindernisse und Rückschläge.
Nuris und Afras Schicksal steht für das unzähliger Menschen, die dem Tod in der Heimat entfliehen wollen. Und doch sind sie oft nicht mehr als eine Schlagzeile, vor allem dann, wenn sie es nicht über das Meer schaffen. Gerade deswegen ist Lefteris Buch so wichtig, weil es das Leid und Elend vieler Betroffener aus der Anonymität holt. Es ist eine fiktive Geschichte und doch basiert sie auf Erlebnissen, die Leidtragende der Autorin berichtet haben.
Lefteri, selbst Tochter zypriotischer Geflüchteter, hat 2016 und 2017 einige Monate als Freiwillige in einem von der Unicef unterstützten Flüchtlingslager in Athen gearbeitet. „Ich hörte den Menschen dort zu und konnte ihre Geschichten nicht mehr vergessen (…)“, erzählt die 1980 in London geborene Schriftstellerin. So seien Nuri und Afra entstanden, „die alles verlieren und einen Weg finden müssen, die Welt neu zu sehen (…).“
Was im Fall von Afra schwer sein dürfte: Eine Bombe zerstört das Leben des kleinen Sami, der im Garten der Familie spielt, und die Sehkraft der Mutter. Und wohl nicht nur das. Afra scheint auch innerlich tot zu sein. Nuri, der Bienenzüchter aus Aleppo, verspricht ihr, sie aus dem Bürgerkriegsland zu bringen. Doch Afra will nicht weg. Erst als ihrer beider Leben akut bedroht ist, stimmt sie der Flucht zu. Sie ahnen, dass es wahnsinnig schwer, doch nicht, wie schlimm die Realität wirklich sein wird. Denn auch wenn sie es schaffen, in einem undichten Schlauchboot bei starkem Wellengang das Mittelmeer zu überqueren, lauern in diversen Flüchtlingslagern hohe Hürden und weitere Gefahren auf sie.
Es ist nicht einfach nur eine spannende Erlebnisgeschichte, die Lefteri erzählt, sondern eine unglaublich bewegende Story der Menschlichkeit, die durch behutsames Durchleuchten der Psyche beider Hauptfiguren an Kraft gewinnt. Dabei schafft sie zunächst ein Bild von Nuri als stabile Persönlichkeit, die die behinderte Afra beschützt und versorgt. Und die sich nebenbei auch noch um einen elternlosen Jungen namens Mohammed kümmert.
Zugleich switcht die Autorin zwischen verschiedenen Perspektiven hin und her. Für den Wechsel greift sie zu einem besonderen Trick: Er deutet sich dann an, wenn der Abschnitt eines Kapitels mit einem Wort aufhört, das erst als Überschrift den nächsten Abschnitt auf der Folgeseite einleitet. Das sind oft die bewegenden Szenen mit Mohammed. „Das Versprechen des Bienenhüters“ist ein wichtiges Buch. Vor allem auch deshalb, weil es daran erinnert, dass bestimmte Werte für alle gleich sind – egal aus welchem Kulturkreis man stammt. (dpa)
Christy Lefteri: Das Versprechen
des Bienenhüters, Limes Verlag, München, 352 Seiten, 20 Euro.