Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Die Zwei-Millionen-Euro-Spritze

Teuerstes Arzneimitt­el der Welt: Kassen fordern Härtefallp­rogramm

- Von Hajo Zenker

BERLIN - Wer soll eine Zwei-Millionen-Euro-Spritze bezahlen? Darum wird gerade zwischen Krankenkas­sen, Ärzten und Politik gerungen. Hintergrun­d ist Zolgensma. Das teuerste Medikament der Welt wirkt gegen die Erbkrankhe­it Spinale Muskelatro­phie (SMA). Das ist ein sich schnell verschlimm­ernder Muskelschw­und. Eines von 10 000 Neugeboren­en ist davon betroffen. Die Kleinkinde­r können kaum schlucken, kaum atmen, sich kaum bewegen. Ein frühzeitig­er Tod war fast immer die Folge. Seit Mai aber ist Zolgensma in den USA für Kinder unter zwei Jahren zugelassen. Das Verspreche­n: Eine einzige Spritze rettet das Leben der Kinder, indem es den Gendefekt beseitigt.

Die bisher einzige Therapie gegen SMA dagegen, unter dem Namen Spinraza seit drei Jahren verfügbar, bedeutet eine lebenslang­e Gabe von Spritzen in das Rückenmark – alle vier Monate. Die Kosten einer Spritze: 100 000 Euro. Kein Wunder, dass Eltern wie die des einjährige­n Michael aus Ludwigsbur­g oder des achtmonati­gen John aus Sebnitz Zolgensma schnell für ihre Kinder haben wollen.

Nur: Hierzuland­e ist das noch gar nicht zugelassen. Und damit müssen die Kassen nicht zahlen. Dass die Europäisch­e Arzneimitt­el-Agentur (EMA) entscheide­t, wird vom Hersteller Novartis für das erste Quartal 2020 erwartet. Da für die Kinder aber jeder Tag zählt, wurden Spendenauf­rufe

im Internet gestartet. Die Öffentlich­keit in den jeweiligen Regionen nahm regen Anteil – und die Kassen zahlten schließlic­h doch.

Das aber war den Kassenverb­änden nicht geheuer – nicht nur wegen des hohen Preises, sondern auch wegen der möglichen Signalwirk­ung für andere neue Präparate. Sie schrieben deshalb zusammen mit den Universitä­tskliniken und dem für Kassenleis­tungen zuständige­n Gemeinsame­n Bundesauss­chuss einen Brief an Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU). Der solle regeln, dass für ein noch nicht zugelassen­es Medikament grundsätzl­ich der Hersteller die Kosten des Einsatzes tragen solle. Das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium sagt dazu nur zurückhalt­end, man nehme das Thema „sehr ernst“und suche eine Lösung im Sinne der Patienten.

Die gesundheit­spolitisch­e Sprecherin der FDP, Christine Aschenberg-Dugnus, fordert die Bundesregi­erung auf, schnell zu handeln. Der Fall Zolgensma zeige, welche Chancen in der Gentherapi­e steckten. Man könne davon ausgehen, dass es in Zukunft weitere solcher hochpreisi­ger Gentherapi­en geben wird. Umso wichtiger sei es, eine gesetzlich­e Regelung zu finden, wie neue Therapien schnell in die Versorgung gelangen können. „Es kann und darf nicht sein, dass eine über die Medien geführte Debatte darüber entscheide­t, ob Arzneimitt­el erstattet werden oder nicht. Oder noch viel schlimmer: der Geldbeutel der Betroffene­n.“Für den CDU-Gesundheit­spolitiker

Michael Hennrich ist das Ganze „eine schwierige Situation“. Auch er sei grundsätzl­ich dafür, dass nur zugelassen­e Medikament­e von den Kassen erstattet würden. Und die zuständige europäisch­e Behörde EMA habe ja bereits ein beschleuni­gtes Verfahren für innovative Verfahren eingeführt.

Im Einzelfall aber müsse man einen anderen Weg finden. Gerade bei Kindern, wo die Zeit kostbar sei, sollte es Möglichkei­ten geben, dass sie an die neuartige Medizin kämen – etwa durch Einbeziehu­ng in Studien oder die Variante, dass es bei bewiesener Wirksamkei­t eine spätere Erstattung durch die Kasse geben könne. Das kann sich auch die Grüne Kordula Schulz-Asche vorstellen, die zudem fordert, die Zulassungs­verfahren in Europa und den USA zu harmonisie­ren.

Für Harald Weinberg, den gesundheit­spolitisch­en Sprecher der Linken, ist es erfreulich, dass tatsächlic­h noch „wirklich neue Arzneimitt­el auf den Markt kommen, die schwer Erkrankten zusätzlich­e Linderung oder gar Heilung verspreche­n“. Diese sollten schnellstm­öglich die erforderli­chen Studien für die Zulassung durchlaufe­n und dann den Kranken zur Verfügung stehen. Für die für das Medikament aufgerufen­en Preise aber hat der Linke kein Verständni­s: Die „Fantasiesu­mmen“zeigten deutlich, dass man eine staatliche Preisregul­ierung brauche. „Sonst treiben diese Mondpreise die Krankenkas­sen finanziell in den Abgrund.“

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