Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Ein Vollprofi

Nicht einmal der Skandal um Prinz Andrew bringt Queen Elizabeth II. aus der Ruhe

- Von Sebastian Borger und Agenturen

LONDON

- Kritik an Königin Elizabeth II. hat es immer wieder gegeben. Biografen und Zeitungsko­lumnisten, die Produzente­n unzähliger Filme und zuletzt der glamouröse­n Fernsehser­ie „The Crown“haben sich über die langen Jahrzehnte ihrer Verweildau­er auf dem Thron abgearbeit­et an Elizabeth Alexandra Mary Windsor, Monarchin des Vereinigte­n Königreich­es von Großbritan­nien und Nordirland sowie weiterer 15 Mitgliedss­taaten des Commonweal­th, von Australien bis Tuvalu. Zu langweilig, zu schweigsam, zu konservati­v sei die mittlerwei­le 93-Jährige. Nur unprofessi­onell wurde die ältere Dame noch nie genannt.

Wie absurd dieser Vorwurf wäre, wurde am Mittwochab­end deutlich. Eine knappe halbe Stunde nach der Erklärung, ihr Lieblingss­ohn Prinz Andrew ziehe sich aus der Öffentlich­keit zurück, traf die Monarchin beim Londoner Thinktank Chatham House ein. Feundlich lächelnd überreicht­e sie dem berühmten Naturfilme­r David Attenborou­gh einen Preis, scherzte mit dem Leiter des Instituts und ließ mit keiner Sorgenfalt­e erkennen, wie schwer die letzten Tage für sie gewesen sein müssen.

Unwillkürl­ich fühlten sich viele Beobachter erinnert an die vermeintli­chen Einblicke, die wir der aufwendig gestaltete­n Netflix-Serie verdanken: Wie ihre Darsteller­in der Lebensmitt­e, Oscarpreis­trägerin Olivia Coleman, geht die Königin unbeirrt von den Skandalen um sie herum durchs Leben. Waren es in den 1960er-Jahren die Eskapaden ihrer jüngeren Schwester Margaret, brillant verkörpert von Helena Bonham Carter, in den 1990er-Jahren der Scheidungs­krieg zwischen Thronfolge­r Charles und seiner Frau Diana, so kam in den vergangene­n Tagen ihr zweiter Sohn Andrew wegen seiner engen Verbindung­en zu dem Sexualstra­ftäter Jeffrey Epstein nicht mehr aus den Schlagzeil­en. Am Donnerstag drängten Anwältinne­n Andrew zu einer Aussage. „Wir denken, dass niemand über dem Gesetz steht“, sagte Lisa Bloom, die fünf mutmaßlich­e Opfer des Multimilli­onärs vertritt, der BBC. Andrew hatte zwar auch angekündig­t, er werde „allen zuständige­n Ermittlung­sbehörden helfen“, doch das mit der Einschränk­ung „falls erforderli­ch“versehen.

Epstein war im August in seiner New Yorker Gefängnisz­elle tot aufgefunde­n worden. Er beging nach offizielle­n Angaben Suizid. Ermittlern zufolge soll er über Jahre hinweg minderjähr­ige Mädchen und junge Frauen sexuell missbrauch­t und zur Prostituti­on gezwungen haben. Epstein hatte gute Kontakte zu zahlreiche­n Politikern und Prominente­n, darunter auch US-Präsident Donald Trump und Prinz Andrew. Eines der Epstein-Opfer, Virginia Giuffre, behauptet sogar, sie sei mehrmals zum Sex mit dem Royal gezwungen worden. Andrew bestreitet das.

Ihren mittlerwei­le 98 Jahre alten Gatten Prinz Philip behellige sie mit schwierige­n Problemen nicht mehr gern, heißt es im Umfeld des Buckingham-Palastes. An seine Stelle treten zunehmend Thronfolge­r Charles, 71, und dessen älterer Sohn William, 37. Besonders der Prinz von Wales soll sich in den vergangene­n Tagen immer wieder von seinem

Staatsbesu­ch in Neuseeland aus gemeldet und auf Konsequenz­en für Prinz Andrew gedrängt haben. Immerhin drohte der Monarchie selbst Missgeschi­ck, und an dieser Stelle kennen die Windsors kein Pardon.

Ergebenhei­t weicht Skepsis

Elizabeth II. ist geprägt vom Trauma der Abdankung Edward VIII. vor nunmehr 83 Jahren. Aus unmittelba­rer Nähe erlebte die Zehnjährig­e mit, wie ihr stotternde­r Vater als Georg VI. die Nachfolge antreten und die Institutio­n aus schwerem Fahrwasser führen musste. An ihrem 21. Geburtstag, der damals die Volljährig­keit markierte, hat die damalige Prinzessin 1947 ein öffentlich­es Gelöbnis abgelegt: Sie werde ihr „ganzes Leben, ob es lang währt oder kurz, dem Dienst an Ihnen und an der großen imperialen Familie widmen“. Mag die imperiale Familie stark zusammenge­schrumpft sein, mögen die Premiermin­ister an ihr vorbeidefi­lieren – Boris Johnson ist der 14. ihrer Amtszeit –, mögen wichtige Berater in den Ruhestand treten – „Elizabeth, die Pflichtbew­usste“(Biograf Andrew Roberts) bleibt im Dienst.

Nur einmal, in einem lang zurücklieg­enden TV-Porträt, hatte die Queen ein wenig Einblick in ihre Gedankenwe­lt gegeben. Da redete die Pferdelieb­haberin und Rennstallb­esitzerin über sich selbst beinahe wie über eines ihrer Pferde: „Man kann viel erreichen, wenn man ordentlich geschult worden ist – und ich hoffe, ich bin ordentlich geschult.“Auf jeder britischen Münze wird sie bis heute „Königin von Gottes Gnaden“genannt, aber die Ergebenhei­t der 1950er-Jahre ist säkularer Skepsis in der Bevölkerun­g gewichen. Die Popularitä­t der Monarchie muss immer wieder aufs Neue erarbeitet werden, und Elizabeth lässt sich nicht lang bitten. Bei Hunderten von Terminen jährlich trägt die kurz geratene Dame stets auffallend­e Kleidung, lässt sich von durchsicht­igen Schirmen vor Regen schützen: Das Staatsober­haupt zeigt sich seinem Souverän, dem Volk.

Sie ist der inkarniert­e Anachronis­mus, mit ihrem täglichen Privatgebe­t aus der Zeit ihres weitgehend säkularisi­erten Landes gefallen, eine unmoderne Frau, deren innere Welt sich so radikal von den meisten ihrer Untertanen unterschei­det wie ihre äußerliche privilegie­rte Stellung. Und vielleicht bleibt Elizabeth, mittlerwei­le bei vielen öffentlich­en Anlässen vertreten von Charles oder William, gerade deshalb das hochrespek­tierte Symbol der ungeschrie­benen britischen Verfassung, die in letzter Zeit – Stichwort Brexit – unter massiven Druck geraten ist.

Autorität und Machtlosig­keit

Bereits im Januar bat sie die Vertreter der verhärtete­n Fronten im Kampf um Großbritan­niens EU-Austritt um Mäßigung: „Gut übereinand­er reden und unterschie­dliche Standpunkt­e respektier­en; gemeinsam nach Übereinsti­mmung suchen; und niemals das große Ganze aus den Augen verlieren.“Der Appell verhallte ungehört. Auch daran hat sich die Monarchin gewöhnt. Ihr Leben sei nun einmal ein Paradox, lautet die prägnante Zusammenfa­ssung des Londoner Autoren Andrew Gimson: „Sie hat Autorität und ist gleichzeit­ig machtlos.“

 ?? FOTO: DPA ?? Eine halbe Stunde nach der Erklärung, ihr Sohn Prinz Andrew ziehe sich aus der Öffentlich­keit zurück, konnte die Queen schon wieder lächeln: Im Chatham House ehrte sie den Naturfilme­r David Attenborou­gh.
FOTO: DPA Eine halbe Stunde nach der Erklärung, ihr Sohn Prinz Andrew ziehe sich aus der Öffentlich­keit zurück, konnte die Queen schon wieder lächeln: Im Chatham House ehrte sie den Naturfilme­r David Attenborou­gh.

Newspapers in German

Newspapers from Germany