Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Nach massiver Studentenkritik: Staatsexamen verkürzt durchgezogen
Angehende Zahnmediziner sehen praktischen Behandlungsteil wegen Corona-Gefahr kritisch
ULM - „Völlig verantwortungslos“und „gefährlich“: Studenten der Zahnmedizin hatten die Ulmer Zahnklinik kritisiert, weil diese trotz der Corona-Pandemie das zweiwöchige Staatsexamen in der Prothetik wie geplant durchziehen wollte. Der Vorwurf: Dadurch würden nicht nur Patienten wie Studierende gefährdet, sondern es würden auch Schutzmasken vergeudet. Die Uni reagierte und verkürzte den praktischen Examensteil. Kehrt jetzt wieder Ruhe ein?
Die Ulmer Zahnklinik hat den Turbo eingelegt. Schon an diesem Montag endeten die praktischen Prüfungen für 28 Studenten der Zahnmedizin. Eigentlich sollte das Staatsexamen in der Prothetik noch bis Ende dieser Woche andauern. Doch coronabedingt, „aufgrund der besonderen Situation“, fand es, so die Ulmer Universität, nun nur „zeitlich reduziert“statt. Das Fazit der Uni klingt auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“recht zufrieden, unaufgeregt. „Es kam zu keinerlei Zwischenfällen.“
Dass das Examen überhaupt durchgezogen werden sollte, hatte im Vorfeld zu Protest seitens einiger Studenten gesorgt. Nachdem am 16. März bereits der Examens-Startschuss gefallen war, wandten sie sich in einem Brief an die „Schwäbische Zeitung“. „Gefährlich“und „völlig verantwortungslos“sei dieses Vorgehen. Sie begründeten dies unter anderem damit, dass sich unter den
Patienten, die als „Probanden“bei solchen praktischen Prüfungen behandelt werden, in Ulm auch Menschen „mit Atemwegserkrankungen“befunden hätten. Darüber, so der oder die Verfasser des Brandbriefs, lägen ihnen „gesicherte Informationen“vor.
Außerdem sei der Verbrauch von Schutz- und Hygienematerial bei dem Examen angesichts der Umstände unverhältnismäßig hoch. Täglich würden wegen des Examens zum Beispiel Atemschutzmasken „im mittleren zweistelligen Bereich“verbraucht.
Vorschlag der Studenten: Es zu handhaben, wie in anderen Bundesländern in Coronazeiten. Im gesamten Bundesgebiet seien andere Universitäten und zahnmedizinische Fakultäten
dazu übergegangen, bei Staatsexamina „Phantomköpfe“einzusetzen, also Dummies, keine Patienten aus Fleisch und Blut – oder die staatlichen Prüfungen direkt ganz zu verschieben. Eben weil es vor allem Zahnärzte sind (angehende oder lang im Beruf tätige), die ein besonders hohes Risiko haben, bei der Ausübung ihres Berufs mit dem Coronavirus infiziert zu werden.
Heikel sind in diesem Zusammenhang vor allem Behandlungen, bei denen Aerosol produziert wird. Dabei handelt es sich, vereinfacht gesagt, um Wasserstaub. Dieser entsteht, wenn Wasser zur Kühlung der Instrumente im Mundraum benötigt wird. Auch bei einer schlichten Zahnreinigung – die auch im Examen vorgeführt wird – entsteht in der Regel
Aerosol. Explizit empfiehlt die Landeszahnärztekammer „aerosolproduzierende Patientenbehandlungen, die aufschiebbar sind“, bis auf Weiteres zu verschieben.
Doch mit einer solchen Lösung wollte, oder konnte sich die Uni Ulm offenbar nicht anfreunden. Wäre das Staatsexamen abgebrochen worden, „hätten die Studenten das gesamte Examen nachholen müssen, dem Sozialministerium hätte möglicherweise eine Klagewelle mit hohen Kosten gedroht“, so die Uni. Schutzausrüstung wäre außerdem keine verschwendet worden. „Der Vorrat an Atemschutzmasken ist gewährleistet, das Universitätsklinikum Ulm hat ausreichend Bestände.“
Dass bei der praktischen Prüfung auch Patienten mit Atemwegserkrankungen behandelt worden seien, wie in dem Studentenbrief anklingt, sei nicht der Fall gewesen. Zumindest „relevante Atemwegserkrankungen“seien vorab ausgeschlossen worden. Deren Schutz, so die Uni, „hat oberste Priorität“.
Inzwischen ist das Examen abgeschlossen. Und es deutet vieles darauf hin, dass sich der Ärger hinter den Kulissen bald auch in Luft auflösen wird. Ihre Uni und die Zahnklinik nehmen die Studenten in ihrem Brief nämlich gleichsam in Schutz. Dort werde „herausragende Arbeit“geleistet, die Behandlung erfolge „gewissenhaft und sorgfältig“. Die Kritik ziele im Kern auf das Landesprüfungsamt, welches für die Examen zuständig sei.