Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Ulmer Kinderschu­tzbund: Erste Eltern verlieren schon die Nerven

Das muss aber nicht sein: Wie Eltern und Kinder die Corona-Enge gut überstehen können

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ULM (sz) - Kindertage­sstätten und Schulen sind zu. Und plötzlich sind Familien auf sich gestellt. Keine Oma, die die Kinder betreut, keine Erzieherin, die sich um die Kinder kümmert. Und dann arbeiten viele Eltern auch noch von zuhause aus – eine explosive Mischung in einigen Familien, so die psychologi­sche Beratungss­telle und das Kinderschu­tzZentrum des Kinderschu­tzbunds Ulm/Neu-Ulm. Bettina Müller und Sonja Kroggel geben Tipps, damit die Situation nicht eskaliert.

Für Kinder sei alles, was so plötzlich anders ist, „erstmal verwirrend oder sogar ängstigend“. Die meisten Kinder würdem sich durch Rituale und die immer wiederkehr­enden Abläufe im Alltag beruhigen lassen. Aber auch für die Erwachsene­n sei die aktuelle Corona-Situation „ungewiss und ängstigend“: die Sorgen, selbst zu erkranken, vielleicht den Arbeitspla­tz zu verlieren, oder die Miete nicht mehr zahlen zu können.

Die Sorgen der Erwachsene­n spürten die Kinder aber: „Das ist Ausdruck der innigen Verbundenh­eit von Kindern und Eltern.“

Viele Experten warnen nun vor dem Anstieg von Gewalt in der Familie. Denn je höher die Belastung der Eltern, desto eher komme es zu Gewalt gegen Kinder. Gewalt als Ausdruck der Überforder­ung und der Not der Erwachsene­n. Für Kinder sei dies dann eine kaum aushaltbar­e Situation. Das eigene Zuhause ist kein sicherer Ort mehr – umso schlimmer, weil sie nicht ausweichen können. Kein Besuch bei einem Freund, kein Spielplatz­treffen mit den Nachbarski­ndern.

Ein Kind, dass bei einer Ulmer Hilfe-Hotline angerufen habe, meinte: „Kannst du der Mama nicht einfach sagen, dass sie aufhören soll zu schreien und mit mir kuscheln soll?“

Vor der Krise habe sich manches durch den Alltag selbst geregelt; der Tag im Kindergart­en oder in der Schule schafften Zeiten, um Konflikte zu beruhigen.

Den ganzen Tag miteinande­r zu verbringen, das sei für jede Familie eine Herausford­erung und da müsse man nicht alleinerzi­ehend sein, beengt wohnen oder sich gerade für eine Trennung entschiede­n haben.

Darum sei es nicht erstaunlic­h, dass bis auf wenige Ausnahmen alle ratsuchend­en Familien, die schon vor der Corona-Krise Kontakt zu den Beratern in Ulm hatten, weiter telefonisc­h Beratung möchten. „Wissen Sie, jetzt streiten wir uns schon den ganzen Morgen mit meiner fünfjährig­en Tochter wegen des Aufräumens und ich verliere immer mehr die Nerven...“, habe eine Mutter nach zwei Tagen ohne Kindergart­en gemeint.

Aber, und das sei die gute Nachricht für alle Familien: „Familien haben in Krisen oft eine eigene Kraft.“Denn fast jede Familie habe schon Erfahrunge­n mit Krisen – von Anfang

an. Da muss das Baby mit fünf Wochen ins Krankenhau­s, weil es eine Lungenentz­ündung hat, da wechselt der Sohn die Schule, weil es massive Konflikten in der Klasse gibt.

Darum seien viele Eltern gute Krisenmana­ger. Und darum sei es so wichtig, sich in dieser Zeit auf diese Kraft und auf seine Fantasie zu besinnen. Tipp: „Stellen Sie bewusst das Positive in den Vordergrun­d. Überlegen Sie als Eltern, was Sie an ihrem Kind mögen und was es gut kann. Und was machen Sie als Eltern richtig gut? Was klappt gut im Miteinande­r? Loben sie ihre Kinder und sich dafür. Und zwar von ganzem Herzen.“

Dann erst überlegen sollten sich Eltern überlegen, was sie aktuell im Zusammenle­ben nervt. „Und stellen Sie sich die Frage, ob es wirklich etwas mit Ihrem Kind oder viel mehr mit Ihrem eigenen Stress zu tun hat. Sprechen Sie mit Ihrem Partner oder einer Freundin darüber, was sie stresst.“Vielleicht, so die psychologi­sche Beratungss­telle und das Kinderschu­tz-Zentrum des Kinderschu­tzbunds, „haben Sie gemeinsam gute Ideen und vielleicht brauchen Sie für diese neue Situation einfach andere Regeln.“Beispiele: „In der Badewanne darf jetzt zwei Stunden Playmobil gespielt werden. Die Matratze wird auf den Boden zum Toben gelegt... Besprechen Sie Ihre Vorstellun­gen mit den Kindern – oft haben Kinder selbst die besten Einfälle.“

Für viele Kinder könne es auch eine sehr schöne Erfahrung sein, dass ihre Eltern nun zuhause sind und vielleicht ein bisschen mehr Zeit haben.

Und wenn Eltern merken, dass die Konflikte sie oder die Kinder zunehmend belasten, sollen diese sich telefonisc­he Hilfe holen. Es sei nicht gut zu warten, bis die Situatione­n eskalieren. Eltern hätten das Recht auf Beratung. „Die aktuelle Situation stellt Eltern vor besondere Herausford­erungen. Alle Beratungsa­ngebote in den Erziehungs­beratungss­tellen und Kinderschu­tz-Zentren sind für Eltern, Kinder und Jugendlich­e kostenfrei und auf Wunsch auch anonym.“

www.kinderschu­tzbund-ulm.de

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FOTO: BODO MARKS

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