Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Ein Schlagzeuger im Homeoffice
Wie ein Ulmer Profi-Drummer mit der Corona-Krise umgeht
ULM - 5. Januar 2020, Neujahrsempfang in der Illertisser Schranne. Harry Reischmann gibt alles: Der Drummer des City Swingtett wirbelt über sein Schlagzeug, und nicht nur Bürgermeister Jürgen Eisen am Rednerpult schaut begeistert zu. Dichtgedrängt stehen die Zuschauer im Raum und lauschen dem Ulmer. Nach seinem Solo packt Harry Reischmann schnell seine Sticks zusammen, ein anderer Musiker übernimmt ab jetzt – denn schon eine Stunde später steht für den Ulmer der nächste Gig an, diesmal in einer Günzburger Rockkneipe. Zweieinhalb Monate ist das jetzt her – und scheint wegen der momentanen Lage doch unglaublich weit weg zu sein.
Es ist ein Alltag, den Harry Reischmann seit vielen Jahren lebt und liebt – und den es durch das Coronavirus ganz plötzlich nicht mehr gibt. Veranstaltungen und Konzerte sind abgesagt, der ansonsten proppenvolle Terminkalender: erst mal leer.
Der Schlagzeuger ist einer von vielen frei schaffenden Künstlern, denen das zum Erliegen kommende öffentliche Leben gerade die Arbeitsmöglichkeiten nimmt. Doch der Ulmer will sich von der Krise nicht herunterziehen lassen – und trommelt von daheim dagegen an. „Mich hat das Ganze bisher nicht so stark getroffen wie viele andere“, erzählt Reischmann in einem Telefongespräch. Außerdem kann auch er zumindest ein wenig im Homeoffice arbeiten – einen Studiojob kann er von zu Hause aus erledigen. „Es geht darum, eine Platte für einen befreundeten Musiker aufzunehmen. Auch damit ist ein bisschen Geld verdient.“
Grundsätzlich sind Künstler, die frei schaffend mit dem Musik machen ihren Lebensunterhalt verdienen wollen, gut beraten, sich breit aufzustellen. Reischmann sagt angesichts abgesagter Konzerte weltweit: „Wer nur auf Tour spielt, und nichts anderes, der wird jetzt komplett leer ausgehen.“
Vorsorge für einen solchen Fall wie jetzt zu treffen, sei deswegen wichtig. „Ich denke, so acht Wochen in etwa bekommt jeder hin. Danach könnte es aber hart werden.“Die Politik müsse deshalb bei ihren Hilfspaketen auch an Freischaffende denken, die in Schwierigkeiten geraten.
Er selbst macht sich noch keine großen Sorgen. „Wenn es sich jetzt auf März und April beschränkt, komme ich gut klar.“Doch auch für Harry Reischmann stehen dieses Jahr noch Tourverpflichtungen an, auf die er hofft: Zum Beispiel mit Sängerin Sarah Brightman, die er auf ihrer US-Tour im Herbst unter anderem in Las Vegas und Chicago begleitet. Bereits im September sind Auftritte mit den Donaumusikanten in Mount Angel in den USA geplant.
Und auf seine kommenden Auftritte in der Region freut sich Harry Reischmann auch schon – und hofft, dass sie stattfinden können. Allein im August möchte er mit seinem Quartett und mit dem City Swingtett im Barfüßer im Neu-Ulmer Glacis und mit Harry Reischmann & Friends in der Traube in Bellenberg auftreten. Und seine Jam Night Ende November im Fiddler’s Green in Pfaffenhofen soll auch steigen können – inklusive dem Karaoke-Abend mit der Liveband.
Kollegen, die ihr Geld mit Unterrichten verdienen, sind teilweise darauf umgestiegen, ihre Schüler per Videokonferenz zu erreichen. Ob das wirklich gut funktioniert, da ist Harry Reischmann skeptisch. Er selbst unterrichtet ohnehin kaum noch – sein normalerweise vollgepackter Terminkalender lässt keine Zeit für regelmäßigen Unterricht.
Doch in der Krise nutzt der Ulmer die Chance, sein Wissen weiterzugeben. Auf seinem YouTube-Kanal gibt er anderen Schlagzeugern Tipps und Beispiele zum Nachspielen.
Auch Harry Reischmann selbst übt – denn selbst ein weltweit gefragter Profimusiker kann immer noch eine Schippe draufpacken, findet der Ulmer. „Ich nutze die viele freie Zeit, die ich gerade habe, um so viel wie möglich zu spielen“, sagt er. Dann habe die ganze Sache hoffentlich ein Gutes: „Wenigstens möchte ich, wenn das alles vorüber ist, ein noch besserer Schlagzeuger sein.“