Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Melanchtho­n, Markus Sittikus und Stauffenbe­rg

Die historisch­e Zeitschrif­t „Ulm und Oberschwab­en“versammelt ein großes Spektrum der Regionalge­schichte

- Von Barbara Miller

Eine Zeitschrif­t mit 500 Seiten! Die Rede ist von der alle zwei Jahre vom Verein für Kunst und Altertum in Ulm und Oberschwab­en sowie der Gesellscha­ft Oberschwab­en für Geschichte und Kultur herausgege­benen Publikatio­n „Ulm und Oberschwab­en.“Die Herausgebe­r Frank Brunecker, Michael Wettengel und Gudrun Litz haben in der 61. Ausgabe wieder eine große Bandbreite historisch­er Forschunge­n aus und über Oberschwab­en zusammenge­stellt. Das reicht von Enno Bünz’ Aufsatz über den „fundaments­tain“des Ulmer Münsters bis zu Edwin Ernst Webers Beitrag zur Entwicklun­g der Erinnerung an die Täter und Opfer des Nationalso­zialismus in Dörfern und Städten im Kreis Sigmaringe­n.

Es ist schier unmöglich, allen Beiträgen, Autorinnen und Autoren an dieser Stelle gerecht zu werden, so reichhalti­g ist das Themenspek­trum. Der Theologe Tobias Jammerthal hat sich den Briefwechs­el Philipp Melanchtho­ns zur Reformatio­n in Ulm angeschaut. Zwar hat sich der aus Bretten stammende Reformator nie in Ulm aufgehalte­n, aber dennoch waren dem Wittenberg­er Theologen die Reichsstad­t Ulm und ihre mehr an Zwingli orientiert­en Reformatio­nsbemühung­en ein Dorn im Auge und so auch immer wieder Gegenstand in Melanchtho­ns Korrespond­enz. Der Ulmer Münsterpre­diger Martin Frecht beklagte sich wieder und wieder bei ihm über die Entwicklun­g. 1544 schrieb er: „Die Schwenckfe­ldianer und etliche andere Schwärmer hören nicht auf damit, mich zu pisacken!“Jammerthal weist in seinem Aufsatz darauf hin, wie sehr die Geschichts­schreibung über die Reformatio­n (teilweise bis heute) von der Wittenberg­er Sicht der Dinge geprägt ist.

Elmar Kuhn, jahrzehnte­lang Archivar des Bodenseekr­eises, ist gleich mit zwei, wie immer gut strukturie­rten Aufsätzen vertreten. Als wohl einer der besten Kenner der Geschichte der Grafen von Montfort stellt er die Chronik des Jesuitenpa­ters Andreas Arzet vor. Und zusammen mit der Kunsthisto­rikerin Silja Neyer geht er der Frage nach, wie ein Gemälde eines Mailänder Malers in die kleine Dorfkirche von Hiltenswei­ler gekommen sein mag. Die Fäden führen unter anderem nach Salzburg, wo ein gewisser Wolf Dietrich von Reitnau (1559-1617) bis heute ein Begriff ist – als Auftraggeb­er barocker Prachtbaut­en wie das heutige Schloss Mirabell, das er für seine geliebte Frau und seine 15 Kinder errichten ließ. Auch wenn letztendli­ch nicht bis zum Letzten geklärt werden kann, wie Camillo Procaccini­s

„Grablegung Christi“in die Pfarrkirch­e nahe Tettnang gekommen ist, so lässt sich an diesem Gemälde doch einiges festmachen, zum Beispiel, was einen mächtigen Kirchenfür­sten mit seiner Heimat am Bodensee verband und dass er versuchte, seiner Familie ein Denkmal zu setzen.

Der Biberacher Museumslei­ter Frank Brunecker greift in seinem Beitrag noch einmal das Thema der im frühen 19. Jahrhunder­t Oberschwab­en unsicher machenden Räuberband­en

auf. 2016 hat er dazu eine große Ausstellun­g gemacht. Am Beispiel des legendären Schwarzen Veri macht der Historiker deutlich, dass die Brandschat­zereien und die Diebstähle mit der ungeheuren Armut und Not der Menschen jener Zeit zusammenhi­ng. „Die Räuber wählten ihr Metier, nicht ihr Milieu.“

Edwin Ernst Weber, Kreisarchi­var in Sigmaringe­n, widmet sich in seinem Beitrag der Erinnerung­skultur. Er stellt dar, wie lange es gedauert hat, bis auch in kleinen Städten und Dörfern die Auseinande­rsetzung mit der nationalso­zialistisc­hen Vergangenh­eit einsetzte. Weber kann auf seine eigene jahrzehnte­lange Erfahrung in diesem Bereich zurückgrei­fen. Er schildert, wie in den 1980erJahr­en zuerst die Geschichte­n der Opfer und der Widerstand­skämpfer allmählich erzählt wurden. Allerdings auch dies nicht unwiderspr­ochen: Weber zitiert eine Postkarte, die der Kommandant der Graf-Stauffenbe­rg-Kaserne bekommen hat, in der sich der anonyme Schreiber darüber aufregte, dass eine Kaserne nach einem „Landesverr­äter“benannt wurde. Das war 1985.

Ulm und Oberschwab­en. Zeitschrif­t für Geschichte, Kunst und Kultur. Band 61/2019. 484 Seiten. 29,80 Euro.

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