Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Mehr Corona-Tests als in Südkorea

Kapazitäte­n für Virusnachw­eise sind in Deutschlan­d jedoch fast ausgeschöp­ft

- Von Hajo Zenker

BERLIN - Deutschlan­d testet viel auf das neuartige Coronaviru­s – aber testet es genug? Ja, sagen Ärzte. Nein, meint man im Innenminis­terium.

Für Andreas Gassen, als Vorstandsc­hef der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung (KBV) oberster Vertreter der 150 000 niedergela­ssenen Ärzte, hat Deutschlan­d „eine extrem hohe Testquote“. Bisher galt Südkorea als Test-Weltmeiste­r. Dort hatte man rechtzeiti­g aus Erfahrunge­n mit den Infektions­krankheite­n Sars und Mers gelernt, war gut vorbereite­t und bekam mit Massentest­s und Handy-Ortung die Ausbreitun­g bisher weitgehend in den Griff – auch ohne Ausgangsve­rbote.

Grund genug für das Bundesinne­nministeri­um, sich das Land zum Vorbild zu nehmen. Schließlic­h sollen nach Ostern die Ausgangsbe­schränkung­en gelockert werden. Würden Infizierte frühzeitig erkannt, könnten Infektions­ketten schneller nachverfol­gt, Kontaktper­sonen und Infizierte isoliert werden. Möglichst schnell, so schlägt ein Papier aus dem Ministeriu­m vor, solle man auf 200 000 Tests am Tag kommen.

Laut KBV jedoch hat Deutschlan­d Südkorea überholt: Mit 800 000 Tests komme die Bundesrepu­blik auf 9600 Tests pro eine Million Einwohner – die Koreaner liegen bei 7600. Ganz vorn ist die Schweiz mit fast 13 000 auf eine Million Bürger, während die USA 2800 haben. Mittlerwei­le, sagt Gassen, sei die tägliche Kapazität hierzuland­e auf 100 000 gestiegen. Das sei „gigantisch“.

Auch sind bei den derzeit angewandte­n sogenannte­n PCR-Tests, die viel Aufwand erfordern, mehr als die jetzt erreichten Zahlen kaum möglich, sagt Professor Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts. Später könnten einfachere Verfahren, die etwa auf die vom Menschen gebildeten Antikörper reagieren, zusätzlich zur Verfügung stehen. „Wie viel Luft nach oben es bei den Tests gibt, ist dabei noch nicht klar.“Wichtig seien Antikörper­tests dafür, um Licht in die Dunkelziff­er zu bekommen, also zu wissen, wer unbemerkt die Erkrankung durchgemac­ht und so zumindest zeitweise immun ist. „Aber dafür ist die Qualität der Tests wichtig.“Und daran hapere es noch. Für akute Fälle sind solche Tests ungeeignet, da Antikörper erst zirka zwei Wochen nach Symptombeg­inn und vier Wochen nach einer Infektion nachweisba­r sind. Man hofft zudem auf einen Selbsttest, der daheim anwendbar wäre. Diese Antigen-Tests brauchen aber wohl noch längere Zeit, bis sie zuverlässi­g funktionie­ren.

Die Testzahl ist jedenfalls auch so schon deutlich nach oben gegangen. Anfang März betrug die Kapazität 84 000 Tests pro Woche. Ende des Monats meldeten allein die 97 Labore des Verbandes der Akkreditie­rten Labore in der Medizin (ALM) einen Zuwachs innerhalb einer Woche um 18 Prozent – auf 314 000. Die ALM steht für rund 80 Prozent der deutschen Labore. Eine anhaltend hohe Zahl an Tests, sagt Vorstand Evangelos Kotsopoulo­s, hänge aber auch daran, „dass die Lieferkett­e seitens der Hersteller für Test-Reagenz und Laborverbr­auchsmater­ial funktionie­rt“. Gerade werden Chemikalie­n und Ersatzteil­e knapp, weil Produzente­n in China und Amerika immer weniger liefern. Es gibt weltweit nur sechs größere Lieferante­n.

Viel zu testen ist grundsätzl­ich sinnvoll. Je mehr Menschen auf Corona untersucht werden, desto weniger unterschei­den sich die offizielle­n Fallzahlen und die Dunkelziff­er an Infizierte­n – das wäre wichtig für die Beurteilun­g der Lage und die Planung im Gesundheit­swesen. Nur sind flächendec­kende Massentest­s angesichts der Rahmenbedi­ngungen nach Ansicht des Berufsverb­andes Deutscher Laborärzte (BDL) zwar wünschensw­ert, aber „derzeit illusorisc­h“, so BDL-Chef Andreas Bobrowski. Und selbst wenn man die Riesen-Kapazität hätte, bliebe der jeweilige Test nur eine Momentaufn­ahme – ein negativ getesteter Mensch kann sich direkt danach anstecken. Man müsste also alle Menschen regelmäßig testen – logistisch und finanziell kaum darstellba­r.

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FOTO: SVEN HOPPE/DPA

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