Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Ein Leben mit MS – das geht schon“

Alexandra Schweizer aus Westerheim erzählt vom Moment ihrer Diagnose, warum sie heute so glücklich und der Familienzu­sammenhalt so wichtig ist

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LAICHINGER ALB - Wir leben auf dem Boden der Vergangenh­eit. Vieles von dem, was heute selbstvers­tändlich ist, war es früher keineswegs. In dieser Kolumne erzählen Menschen, was ihnen in ihrem Leben wichtig war und ist. SZ-Kolumnisti­n Diana Baumeister im Gespräch mit Alexandra Schweizer, geborene Rauschmaie­r, aus Westerheim.

Frau Schweizer, Sie sind Jahrgang 1963. Welche Erinnerung­en haben Sie an Ihre Kindergart­en- und Schulzeit?

Ich hatte eine sehr glückliche Zeit im Kindergart­en, viele Kinder kannte ich schon, weil sie in der Nachbarsch­aft wohnten. Auch die ersten Jahre in der Grundschul­e bei Fräulein Schneider habe ich in schöner Erinnerung. Fräulein Schneider stand damals kurz vor der Pensionier­ung aber sie wurde von allen „Fräulein“genannt und hat wohl einer ganzen Generation von Westerheim­er Kindern das Lesen und Schreiben beigebrach­t. Wir waren der einzige Jahrgang, der dann in der dritten und vierten Klasse getrennt unterricht­et wurde. Es gab eine reine Jungs- und eine reine Mädchenkla­sse. Insgesamt waren wir 63 Kinder, wohl einer der stärksten Jahrgänge, die es je in Westerheim gab. In der fünften Klasse gab es dann ein großes „Hallo“, als wir wieder mit den Jungs zusammen waren. Zum Glück hatten wir überwiegen­d gestandene Männer als Lehrer, denn die brauchten wir auch.

Welchen Beruf erlernten Sie?

Ich wollte immer im Labor arbeiten, aber eben nicht im Krankenhau­s. Mein Bruder brachte mich dann auf die Idee, mich beim Milchwerk in Geislingen zu bewerben. So erlernte ich den Beruf der Milchwirts­chaftslabo­rantin und hatte damit einen Beruf, den ich mir immer wünschte.

Wenn ich heute wieder vor der Berufswahl stehen würde, würde ich wieder denselben wählen. Diese Arbeit im Labor, Milchprobe­n untersuche­n, den ganzen Prozess begleiten, von der Rohmilch bis zum Joghurt oder Käse, das hat mir sehr gefallen.

Die Berufsschu­le fand im Internat statt?

Die Berufsschu­le war in Wangen im Allgäu und wurde als Blockunter­richt im Internat erteilt. Es waren Leute aus ganz Baden-Württember­g da. Das war für mich wie im Urlaub, wie im Hotel. Ich musste nicht „schaffen“wie zu Hause, denn wir hatten ja eine Landwirtsc­haft, und dreimal am Tag stand das fertige Essen auf dem Tisch und wir brauchten nur zu schöpfen. Ich habe es geliebt. Das Schönste daran ist, dass wir uns noch heute jedes Jahr einmal im Allgäu treffen.

Wie ging es privat für Sie weiter?

1985 heiratete ich mit 21 Jahren. Wir waren die zweite Hochzeit, die in der damals neu gebauten Albhalle gefeiert wurde. Und diesen Platz brauchten wir auch, denn wir haben wirklich alle eingeladen. Ich erinnere mich daran, dass die Tischtenni­skameraden meines Mannes sehr erfreut waren über meine hübschen Laborkolle­ginnen aus dem

Allgäu. 1990 und 1993 kamen unsere beiden Töchter zur Welt. Ich hörte danach auf mit der Laborarbei­t und arbeitete im Schichtdie­nst bei Service 24, was ganz gut mit unserer familiären Situation vereinbar war.

Das Singen und Theaterspi­elen im Chor begleitete­n Sie eine ganze Weile?

GLebenslin­ien im Gespräch

Mit drei Freundinne­n zusammen trat ich in die Chorgemein­schaft Eintracht ein. Alle anderen Chormitgli­eder waren eher in der Altersgrup­pe unserer Eltern zu finden. Viele wunderten sich darüber. Aber wir wollten das einfach machen und hatten durchaus unsere Freude und lernten auch viel von den guten Sängerinne­n des Chors. An einer Fasnetssin­gstunde spielten wir Theater und daraus entstand dann die Theatergru­ppe, die ja heute noch jedes Jahr eine Aufführung hat.

Im Jahre 2003 änderte sich Ihre Lebenssitu­ation deutlich.

Ja, nach einer kurzen Zeit, in der ich meinen gesundheit­lichen Zustand nicht mehr einordnen konnte, stand die Diagnose: Multiple Sklerose, also MS, fest. Die erste Zeit war sehr schwierig für mich und meine Familie, besonders natürlich für meine Kinder.

Aber Sie hatten Glück im Unglück?

Ich wurde recht rasch in eine Langzeitst­udie aufgenomme­n. Und das war für mich wirklich ein Riesenglüc­k. Ich fand eine gute Praxis, die mich bis heute begleitet. Jeden Monat erhalte ich eine Infusion, die ich Gott sei Dank sehr gut vertrage und die mir enorm hilft. Seitdem ich diese Medizin erhalte, hatte ich keinen einzigen Schub mehr. Ich bin wirklich sehr dankbar dafür.

Das heißt: Sie sind seit 16 Jahren ununterbro­chen in Behandlung?

Ja, ich fühle mich in dieser Praxis sehr gut aufgehoben. Am Anfang der Studie waren wir acht Leute, die sich immer dort trafen. Das waren tatsächlic­h, selbst unter diesen Umständen, sehr schöne Begegnunge­n.

Da ich nicht davon ausgehe, dass ich 100 Jahre alt werde, brachte ich zu meiner 100. Infusion Sekt mit, was die Angestellt­en sehr erfreute, noch heute erzählen sie davon.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Dass meine Familie weiterhin so gut zusammenhä­lt. Natürlich wünsche ich mir, dass ich die Medikament­e weiterhin so gut vertrage und deshalb so weiterlebe­n kann wie bisher. Ich gehe oft in die Kirche und stelle Kerzen auf zum Dank dafür, wie gut es mir geht. Ich sehe ja, wie andere unter ihrer Krankheit leiden und wie schlecht es ihnen zum Teil geht.

Was sagen Sie über Ihr bisheriges Leben?

Ich bin glücklich. Ich habe einen sehr netten und treuen Mann an meiner Seite. Auch meine Kinder halten ganz klar zu mir. Außerdem habe ich gute Freunde, auf die ich mich verlassen kann. Und wir haben hier im Haus mit meinen Schwiegere­ltern eine sehr gute Hausgemein­schaft. Alle halten zu mir. Ein Leben mit MS – das geht schon.

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FOTO: BAUMEISTER
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