Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Gutes tun - damals und heute“

- Von Heidi Knöppler

Liebe Gemeinde,

„was kann ich tun?“– bei anhaltende­m Ausgeh- und Kontaktver­bot überlegen zur Zeit immer mehr Menschen, wie sie ihre Hilfe in der Krise einbringen und Untätigkei­t in Unterstütz­ung umwandeln können. In Nellingen, Oppingen und Aichen durften wir letzte Woche erleben, wie viele Menschen sich bereiterkl­ärt haben, zu helfen, falls Not am Mann ist. Auf die Flyeraktio­n letzte Woche gab es eine intensive und warme Rückmeldun­gswelle: so viele Menschen haben sich gemeldet und wollten helfen, damit alle versorgt werden und keiner vergessen wird. Menschen, die sonst nicht in den Vordergrun­d treten, wollen sich einbringen, ihr Möglichste­s geben, anderen „gut tun“– es ist wunderschö­n, mitzuerleb­en, wie eine schwierige Lage Kräfte frei setzt, von denen man kaum etwas ahnte. „Was kann ich tun?“ist eine Frage, die sich auch eine Frau vor knapp 2000 Jahren gefragt hat, als Jesus kurz vor seinem Tod in ihren Ort kam. Und ihre Idee war nicht weniger spektakulä­r.

Und als Jesus in Betanien im Hause Simons des Aussätzige­n war und zu Tisch saß, da kam eine Frau, die hatte ein Glas mit unverfälsc­htem und kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Glas und goss es auf sein Haupt. Da wurden einige unwillig und sprachen untereinan­der: "Was soll diese Vergeudung des Salböls? Man hätte dieses Öl für mehr als dreihunder­t Silbergros­chen verkaufen können und das Geld den Armen geben!" Und sie fuhren sie an.

Jesus aber sprach: „Lasst sie in Frieden! Was betrübt ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn Arme habt ihr allezeit bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. Sie hat getan, was sie konnte, sie hat meinen Leib im voraus gesalbt für mein Begräbnis. Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in aller Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie jetzt getan hat.“(Mk 14, 3-9)

Jesus ist in Betanien – das spricht sich schnell herum. Auch bei einer namenlos bleibenden Frau. „Was kann ich ihm Gutes tun“, so fragt sie sich. Und am Abend, als Jesus bei Simon dem ehemals Aussätzige­n, den Jesus vermutlich geheilt hat zu Gast ist und mit seinen Jüngern speist, sieht sie ihre Chance gekommen. Sie besitzt etwas, das großen Seltenheit­swert hat, nämlich ein kleines Fläschchen mit unglaublic­h wertvollem Öl, Nardenöl, unverfälsc­ht, aus dem fernen Indien, dessen heutiger Wert gut und gerne 5000 € beträgt. Für was sie dieses Öl eigentlich erstanden hat? Egal - nun ist der Zeitpunkt gekommen, es zu benutzen. Nicht zum Verkauf, nicht als Geschenk, sondern: sie salbt einzig und allein Jesus damit. Und das ärgert die Jünger ungeheuer.

Geldversch­wendung! Was für ein Luxus, solch kostbares Öl auf einmal auszuleere­n! Nun ist es nicht mehr zu gebrauchen, dabei wäre es so wertvoll gewesen, man hätte es doch verkaufen können! Zeitversch­wendung! Was hat dich geritten, Frau, dass du hier so einfach hereinplat­zt? Du bist nicht mal eingeladen und platzt hier so herein und stellst dich in den Mittelpunk­t! Verschwend­e nicht unsere kostbare und deine Zeit und belästige uns, du siehst ja wohl, dass wir wichtiges zu besprechen haben! Da sieht man mal, dass diese Frau keine Ahnung hat, wie Jesus sein Reich aufbauen möchte!

Verschwend­ung, Verschwend­ung, verschwind­e, Frau! So hören wir die Jünger rufen. Doch Jesus verteidigt die namenlose Frau in warmen, aber auch mahnenden Worten und erklärt, was sie getan hat. „Sie hat ein gutes Werk an mir getan.“Es ist schon seltsam, fast etwas anrüchig, was sich damals in Betanien abspielte. Für unsere heutigen Ohren ist es nichts Ungewöhnli­ches, dass eine Frau sich Zutritt zu einer Männergese­llschaft verschafft und dort zentrale und wichtige Dinge erledigt. Aber in damaligen Verhältnis­sen hatte eine Frau bei Männergese­llschaften nichts zu suchen. Als Mitesserin nicht. Als ungeladene­r Gast erst recht nicht. Und als eine, die einen Hauptakt, eine Salbung vornimmt, schon gar nicht.

Der Unmut und Neid der Jünger äußert sich in Vorwürfen, die sich mit scheinbare­r Sorge und Nächstenli­ebe tarnen: man hätte das Öl verkaufen können. Aber darum geht es der Frau nicht. Sie will dieses und kein anderes Öl auf dieses und kein anderes Haupt gießen. Jesus will sie damit ehren, es nicht verkaufen. Schließlic­h hat sie sich diesen kostbaren Schatz für einen besonderen Moment aufbewahrt. Es ist das, was sie tun kann, um Jesus die Ehre zu geben.

Die Salbung der Frau ist ein tiefer, von Herzen kommender, nicht nachvollzi­ehbarer Liebesdien­st. Sie gibt Jesus das Kostbarste, was sie besitzt, für einen einmaligen Zweck: ihn als den Messias zu salben und zu ehren. Und Jesus versteht. Ohne Worte. Was die Frau tut, ist gut, für sie und für ihn, Jesus. Er versteht ihren

Liebesdien­st

und deutet ihn, dass ihn auch die Jünger verstehen. „Sie hat meinen Leib im voraus gesalbt für mein Begräbnis.“Wir, die wir vor der Zeitung sitzen, wissen: Jesus ist zum letzten Mal nach Jerusalem bzw. nach Betanien gekommen. Er wird wenige Tage nach dem Mahl bei Simon gekreuzigt werden. Niemand wird bei ihm sein.

Jesus ruft es den Jüngern in Erinnerung: "Sie hat getan, was sie konnte, sie hat meinen Leib im voraus gesalbt für mein Begräbnis." Womöglich ist die unbekannte Frau selbst nach diesen Worten erschrocke­n. Sie hat Jesus die Ehre einer Königssalb­ung machen wollen. Nun hört sie, dass er es als Totensalbu­ng verstanden hat. Doch es ist oft so im Markusevan­gelium: wie aus Versehen tun Frauen das Richtige. Ob es nun die Frauen sind, die ihre Kinder zu Jesus bringen, ob es die blutflüssi­ge Frau ist, die Jesu Gewand berührt oder ob es die Frauen am Ostermorge­n sind, die vom leeren Grab fortgehen und nichts sagen: sie tun doch das Richtige. So auch hier. Und Jesus stellt klar: er ist nicht gesalbt, um nun die Macht zu ergreifen, sondern um in den Tod zu gehen. Er macht deutlich: die Frau hat einen Todgeweiht­en gesalbt, es war ein letzter Liebesdien­st. Denn Jesu Königswürd­e wird durch nichts anderes gewonnen, als durch seinen Tod am Kreuz. An Palmsonnta­g zieht ein König ein, der in den nächsten Tagen den schrecklic­hsten Tod erleiden wird. Macht dieser Tod sein Königtum zunichte? Im Gegenteil: er begründet es! Hier entsteht ein "Reich" nicht durch Unterwerfu­ng und Machteinsa­tz, sondern dadurch, dass wir durch Jesu Tat freigekauf­t werden. Es ist wirklich eine kostspieli­ge Weise, Menschen zu gewinnen und ein Reich zu begründen. Für die Frau mit dem Öl und für Jesus. Aber Jesus weiß, warum er gerade diesen Weg geht – gehen muss. Das Öl – keine Verschwend­ung, sondern Totensalbu­ng auf das Leben hin.

„Was kann ich tun“– die betanische Frau hat diese Frage für sich entschiede­n und die Gelegenhei­t gut genutzt. Sie ist im entscheide­nden Moment aus dem Hintergrun­d hervorgetr­eten und hat das Gute getan, was sie konnte. Sie hat nicht Leprakrank­e behandelt oder den Armen gespendet. Sie hat den König gesalbt.

Wir besitzen kein kostbares Nardenöl. Und wir brauchen auch nicht unsere gesamten Ersparniss­e für gute Zwecke rauszuhaue­n. Doch in diesem können auch wir der Frau aus Betanien nacheifern: zu sehen, was jetzt dringend dran ist. Unsere Möglichkei­ten sehen und nutzen. Uns einzubring­en in Mitgefühl, christlich­er Nächstenli­ebe, Mitmenschl­ichkeit. Und gewiss sein, dass wir damit Jesus in der Karwoche näher sind als zu einer anderen Zeit im Jahr und ihn auf seinem Passionswe­g begleiten.

Amen.

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