Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Handwerkskammer warnt Kommunen
Eindruck: Städte und Gemeinden halten Aufträge zurück, „um pauschal zu sparen“
ULM/ALB-DONAU-KREIS (sz) - Mehr als jeder zweite Handwerksbetrieb im Gebiet der Handwerkskammer Ulm kämpfe mit Auftragsstornierungen und 77 Prozent sprechen von Umsatzrückgängen. Aber es gebe auch gute Nachrichten: Bei den finanziellen Soforthilfen für die kleinen und mittelständischen Betriebe laufe bei der Handwerkskammer nun das Bundesprogramm ergänzend zum bereits bestehenden Landesprogramm an.
Das Bundesprogramm ersetzt für Betriebe mit bis zu fünf Beschäftigten und für Betriebe zwischen sechs und zehn Beschäftigten laut Mitteilung der Handwerkskammer Ulm das bisherige Landesprogramm. Dieses gelte weiter für Betriebe ab elf und bis 50 Beschäftigte.
Derzeit seien bei der Handwerkskammer Ulm rund 5400 Anträge eingegangen, davon seien bereits 4751 bearbeitet und knapp 3000 zur Auszahlung an die L-Bank empfohlen worden. Das entspreche einer genehmigten Fördersumme fürs regionale Handwerk von 30 Millionen Euro.
Die Handwerkskammer arbeite mit einem eigens zusammen gestellten Team mit rund 45 Mitarbeitern und garantiere damit bei der Vielzahl von Anträgen derzeit eine Bearbeitungszeit von höchstens vier Tagen, heißt es weiter. Ansprechpartner für Fragen zur Antragsstellung ist weiterhin die Handwerkskammer mit ihrer Beratungs-Hotline von Montag bis Samstag von 7 bis 19.30 Uhr unter 0731/ 1425-6900.
Zudem gibt es Schnellkredite von Bund und Land für die Unternehmer mit mehr als 50 Mitarbeitern. „Auch diese größeren Handwerksbetriebe dürfen wir nicht vergessen in unserem Krisenmodus. Sie sind der stabile Mittelstand für unsere Wirtschaftskraft in Deutschland. Sie sind wichtige Arbeitgeber in der Fläche. Wir brauchen sie leistungsfähig, um nach der Krise wieder in Schwung zu kommen“, so Tobias Mehlich, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Ulm.
Joachim Krimmer, der Präsident der Handwerkskammer Ulm, erinnert: „Wir kommen aus einer Zeit, noch im Februar, in der es lange Wartezeiten auf einen Handwerker gab und wir werden auch wieder dahin zurückkommen. Der kluge Kunde vergibt jetzt seinen Auftrag und nutzt die Corona-bedingte Atempause.“Und er ergänzt: „Wir appellieren insbesondere an die öffentliche Hand, bereits erteilte Aufträge nicht zu stornieren oder zu verschieben. Die Schulen, Kitas und Universitäten sind leer. Dort kann gearbeitet werden.“
Manche Mitgliedsbetriebe der
Handwerkskammer hätten zuletzt den Eindruck gehabt, heißt es in der Mitteilung weiter, dass Kommunen Aufträge fürs Handwerk derzeit zurück halten würden, „um pauschal zu sparen“. Für das Handwerk seien Stillstand und Ausbremsen aber das Schlimmste. Krimmer: „Gerade die öffentliche Hand muss jetzt das wirtschaftliche und damit das gesellschaftliche Leben durch Aufträge schützen und so weit wie möglich in Gang halten.“Die Handwerkskammer verweist auch auf die Beschäftigungssicherung, die damit verbunden sei. Alle Gesundheitsschutz- und Hygienemaßnahmen könnten von den arbeitenden Betrieben beim Kunden eingehalten werden.
In den Handwerkskammern werden die Anträge auf finanzielle Soforthilfen von Land und Bund an Soloselbstständige und Handwerksbetriebe bis 50 Mitarbeiter geprüft und der L-Bank zur Auszahlung empfohlen. Ebenso wurde eine wesentliche Forderung der Kammern erfüllt, mittelständische Betriebe mit verbürgten Schnellkrediten zu stützen. „Das sind zweifelsfrei wichtige Unterstützungsleistungen der Politik für die
Handwerksbetriebe in den Landkreisen. Aber die beste Soforthilfe sind Aufträge aus öffentlicher und aus privater Hand. Das wirtschaftliche Leben muss weiter gelebt und bald möglichst wieder kontrolliert belebt werden“, so Tobias Mehlich. Aus mancher Kommune werde der Kammer Zahlungsverzögerung gemeldet. „Das kann schon gar nicht sein: Vertrag ist Vertrag und der gehört auch nach Leistungserbringung erfüllt“, betont Mehlich.
Oberste Priorität habe auch für die Handwerksbetriebe zwischen Ostalb und Bodensee die Eindämmung des Coronavirus. Das Handwerk trage die Linie der Regierung zum Schutz der Bevölkerung und zur Bekämpfung des Virus mit. Aber die wirtschaftliche Freiheit der Betriebe sei dadurch deutlich eingeschränkt. Laut Mehlich zahlten viele Betriebe dafür schon heute einen hohen Preis, beispielsweise über Betriebsschließungen, zusätzliche Hygienemaßnahmen, komplizierte Arbeitsabläufe, Kurzarbeit. Auch die Frage, wie lange das noch so weitergehen solle, würde an die Handwerkskammer immer mehr und intensiver herangetragen. „Es ist wichtig, Leben und unser Gesundheitssystem vor dem unbekannten Virus zu schützen, aber es ist auch legitim, sich rechtzeitig zu überlegen, wie es weitergeht und darauf vorzubereiten, wie und wo das Leben und Arbeiten wieder normalisiert werden kann. Sonst richten die Schutzmaßnahmen mehr und längeren Schaden an als die eigentliche Virus-Ursache. Und mit dieser Vorbereitung müssen wir jetzt beginnen, sonst gefährden wir manchen unserer Betriebe und die Belegschaften“, fordert Mehlich.
Die Handwerkskammer arbeitet laut Mehlich derzeit in ihren eigenen Bildungshäusern daran, die Rückkehr zum Bildungsleben in der beruflichen Bildung vorzubereiten. Hier seien Prüfungen für die Gesellenausbildung oder auch nach einem Meisterstudium vorzubereiten und zu koordinieren. Aber auch Zertifikatskurse würden nachgefragt und überbetriebliche Ausbildung.
Die Handwerkskammer verweist darauf, dass der Lockdown das Bildungsund Prüfungsleben von rund 2500 Ehrenamtlichen komplett lahmgelegt habe. In jeder Woche fallen im Schnitt rund 18 500 Teilnehmerstunden in den Bildungszentren der Handwerkskammer in Ulm, am WBZU am Ulmer Eselsberg oder auch in Friedrichshafen weg. Es handle sich dabei um junge Erwachsene, die besondere Abläufe aus Gesundheitsgründen nachvollziehen und beachten könnten. Zudem fände die berufliche Bildung überwiegend in Werkstätten in kleinen Kursen statt, so dass Abstandhalten kein Problem darstellen würde. „Wir wären in der Lage, kontrolliert und behutsam das Bildungsgeschäft wieder anfahren zu lassen unter Wahrung ausgedehnter Schutz- und Hygienemaßnahmen. Unsere Betriebe brauchen die Fachkräfte, wir können diese Bildung nicht ewig verschieben“, so Mehlich.
Im Gebiet der Handwerkskammer Ulm gibt es 19 424 Handwerksbetriebe, die Arbeitgeber für mehr als 120 000 Beschäftigte und 8000 Auszubildende sind. 2772 Handwerksbetriebe davon sind im Bodenseekreis angesiedelt, 4164 im Landkreis Ravensburg, 2692 im Landkreis Biberach, 2815 im Alb-Donau-Kreis, 1310 in der Stadt Ulm, 1549 im Landkreis Heidenheim und 4122 im Ostalbkreis. Die Insolvenzquote der vielfach grundsätzlich gesunden Handwerksbetriebe, die sich nun um die Soforthilfe bemühen müssen, betrug vor der Corona-Krise gerade einmal 0,27 Prozent.