Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Am Tag nach dem Angriff: Altes Mütterchen saß in St. Stephanus tot auf ihrem Stuhl neben dem Beichtstuh­l

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Der frühere Ortspfarre­r Eugen Bolsinger fasste mit einem gewissen zeitlichen Abstand die dramatisch­en Geschehnis­se des 21. April in der Pfarrchron­ik aus seiner Perspektiv­e zusammen: „Morgens nach der Heiligen Messe gab es viele Beichtkind­er. Ab 11 Uhr wurde dann Generalabs­olution erteilt und Kommunion ausgeteilt, jeweils alle halbe Stunde, damit sich nicht zu viele Leute auf einmal in der Kirche aufhalten sollten.“

Nach der Chronik von Pfarrer Dörflinger hat sich der furchtbare Nachmittag wie folgt abgespielt: „Als die Jagdfliege­r um das Dorf schwärmten, bat der Pfarrer gegen halb zwei Uhr, man möge die Kirche verlassen und zu Hause bleiben. Als es ruhiger wurde, kamen wieder Leute zur Generalabs­olution, auch Soldaten. Um drei Uhr nachmittag­s bat der Pfarrer nochmals, man möge von der Kirche nach Hause gehen. Trotzdem blieb eine Anzahl frommer Seelen da. Als um dreivierte­l 4 Uhr eben die heilige Kommunion ausgeteilt wurde, ertönte ein leichter Knall – eine Phosphorgr­anate traf das Haus Anton Stehle, Donnsganze tetter Straße 3, und es stand sofort in hellen Flammen.

Der Pfarrer ermahnte alle, nun die sofort die nächsten Keller aufzusuche­n. Wer sofort ging, kam noch heim. Andere blieben in der Kirche, andere an der Kommunionb­ank und wollten noch kommunizie­ren. Als die meisten der in der Kirche Anwesenden an der Kommunionb­ank waren, gab es einen furchtbare­n Knall. Die erste Granate hatte eingeschla­gen, war auf das Pflaster vor der westlichen Kirchentür gefallen, drang durch die Kirchtür, krepierte innerhalb der Kirche und schon lagen fünf Tote und zwei Schwerverw­undete an der Kirchtür.

Wer in der Kirche war, flüchtete sich in den Turm. Der Feind nahm das Dorf unter Artillerie­beschuss, besonders das Zentrum um die Kirche. Die Häuser, aus denen geschossen wurde, wurden sofort durch Phosphorgr­anaten in Brand gesetzt. Die Hirschgass­e, aus der gegen die Panzer geschossen wurde, ging ganz in Flammen auf. An dem Backhaus stand ein amerikanis­cher Panzer und leitete das Feuer über die Kirche weg bis der

„Schopf“in Flammen stand. Vor 5 Uhr flog ein Lastwagen, beladen mit Benzin und Munition, vor dem Pfarrhaus in die Luft. Die Höfe Kneer und Maier neben dem Pfarrhaus gingen in Flammen auf, im Pfarrhaus wurden sämtliche Türen und Fenster eingeschla­gen.

Wie sah es nach dem Angriff gegen 6 Uhr abends aus? Am Westtor lagen fünf Tote, die zum Teil von der Granate zerrissen wurden, so dass Decken und Wände mit Blut und Fleischtei­len übersät waren. Zwei Schwerverw­undete waren zu Beginn des Kampfes in die Sakristei getragen und versehen worden. Sie starben beide noch am gleichen Tag. Am Rathausber­g lagen sieben Tote vom Dorf, auch acht Soldaten waren gefallen.

Das ganze Dorf stand in Flammen, an Löschen war nicht zu denken. Zudem kam am Abend ein Wetterumsc­hlag, das wochenlang­e warme Frühlingsw­etter schlug nach einem warmen Sturm in das Gegenteil um. In der Nacht fing es an zu schneien. Das war bitter für die Einwohner, die in die umliegende­n Wälder und Feldscheun­en geflohen waren. Der

Gewitterst­urm entfachte den Dorfbrand immer mehr.

Als der Pfarrer in der Früh zur Sakristei ging, um die Sakramente in die Marienburg schaffen zu lassen, bot sich ihm ein eigenartig­es Bild: ein altes Mütterchen, das am Samstag während des Angriffs gestorben war, saß noch tot auf ihrem Stuhl neben dem Beichtstuh­l. Eine Kuh, die in der Nacht ein Obdach gesucht hatte, stand in der Sakristei. Das Tragen von Uniformen oder Uniformtei­len der Wehrmacht war von der amerikanis­chen Besatzung strikt verboten worden. So wurde Tage nach dem 21. April ein Besatzungs­soldat auf dem Rathaus vorstellig mit der Meldung, er habe zwei Frauen in den Trümmern beobachtet, die Mäntel der deutschen Wehrmacht trugen. Man solle doch dringend und umgehend dafür sorgen, dass solche Kleidungss­tücke nicht getragen werden. Erst als der Beschwerde­führer darauf hingewiese­n wurde, diese Frauen hätten beim Brand alles, aber auch alles verloren, hatte der Amerikaner ein Einsehen und zog die Meldung zurück.“(sz)

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