Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Tiefer Einblick in die Familiengeschichte
Interessengemeinschaft Merklingen bringt Buch zur Ansiedlung von Vertriebenen heraus
MERKLINGEN - Die Interessengemeinschaft für Geschichte und Brauchtum Merklingen (IGM) hat einen tiefen Blick in die Familiengeschichte der Gemeinde Merklingen geworfen. In ihrem neuen Buch „Die Personen, die durch Kriegseinwirkungen zwischen 1939 und 1950 nach Merklingen gekommen sind“listet die IGM nicht nur Vertriebene und Umgesiedelte auf, sondern zeigt auch auf, welchen lange und harte Routen diese Generation von späteren Merklingern auf die Alb gekommen ist. So finden einige der heutigen Gemeindemitglieder ihre Wurzeln im weit entfernten Moldawien oder kurz vor Kaliningrad.
Die Geschichte der deutschen Kriegsvertriebenen ist bis heute keine einfache und häufig verbinden sie die letzten noch lebenden Zeitzeugen mit Angst, Gewalt und Schmerz. Die IGM hat sich nun erneut nach ihrer Ausstellung vom September 2013 an das Thema Vertreibung gewagt und in zahllosen Stunden Daten gesammelt, Personenstandsregister durchstöbert und Bilder gesichtet. „Viel Archivarbeit im Gemeindearchiv war nötig und viel Zeit, um mit Zeitzeugen zu sprechen, welche die Erlebnisse der Flucht und das Geschehene schilderten“, berichtet Jakob Salzmann von der Interessengemeinschaft. Salzmann berichtet auch darüber, dass bei jener Ausstellung in der Gemeindehalle Merklingen damals die Idee entstanden ist, eine Dokumentation in einem Buch zu verfassen. „Die Wiedersehensfreude unter den Besuchern der Ausstellung, die ja sehr gut besucht war, war groß“, so Salzmann So schickte sich unmittelbar danach ein sieben Personen umfassender Kreis an, nicht nur das bestehende Material in Buch zu gießen, sondern alle Personen, die in den Listen der Zu- und Weggezogenen des Einwohnermeldeamtes beschrieben waren, zu erfassen. Herausgekommen ist ein ausführlicher Blick in die Familiengeschichte der Albgemeinde und damit auch ein Stück weit in die Seele Merklingens. So findet der Leser neben Geschichten von Vertriebenen aus Bessarabien (einer ehemaligen rumänischen Provinz, die heute großteils auf dem Staatsgebiet von Moldawien liegt) auch innerdeutsche Umsiedlungsberichte von Menschen aus Brandenburg oder aus ehemals deutschen Gebieten, wie Schlesien und Pommern.
So findet sich beispielsweise der Bericht von Christa Reindl im Buch, den sie nach den Erkenntnissen der Autoren in den 1950ger Jahren niedergeschrieben hat. Der Bericht beginnt mit der befohlenen Flucht, Breslau innerhalb von zwei Stunden zu verlassen. Christa Reindl musste ihre Wohnung mit ihren fünf Kindern verlassen, fand „glücklicherweise“auf einem Postlastwagen Platz, mit dem sie über die Tschechei nach Deutschland und im Herbst nach Ulm gelangte, bis sie im Januar 1946 mit ihrer Familie nach Merklingen kam. Auf einer anderen Seite findet der Leser den Bericht von Arnold Müller, der mit seiner Familie aus dem südlichen Ungarn deportiert wurde. „Wir haben herrliches Sommerwetter. Die Einwohner stehen auf den Straßen, erzählen sich und geben sich gegenseitig Ratschläge. Andere sind in den Häusern und packen für die große Reise [...] Donnerstag 28. August 1947: An diesem Tag wurden die Einwohner von Volkany durch den Lärm der fahrenden Lastautos, die in großer Zahl ins Dorf fuhren, geweckt. Bei jedem Lastwagen war ein Polizist mit einer Liste der betroffenen Familien. [...] weil sie mit so einer Überraschung nicht rechneten, geschah es, dass vieles in der Eile liegen blieb“, berichtet Arnold Müller im Buch.
Die Situation, die die Ankommenden in Merklingen oder den umliegenden Dörfern von 1943 bis 1949 vorfanden, war überall die gleiche, berichtet Jakob Salzmann aus den Erzählungen der Zeitzeugen. Die Zuweisungen kamen – wie in jüngster Geschichte ebenfalls – vom Landratsamt. Die Gemeinden hatten Probleme, die große Zahl der Menschen aufzunehmen. „Peter Fink mit seinem Lastwagen, einem Holzvergaser, holte die Vertriebenen vom Lager Kienlesberg in Ulm ab“, berichtet Salzmann weiter. Vor dem alten Rathaus in Merklingen war dann Endstation. Dort wurden die Ankommenden
vom damaligen Bürgermeister in Empfang genommen und auf verschiedene Häuser verteilt. Die Hausbesitzer mussten die ihnen zugeteilten Menschen selbst am Rathaus abholen. Das geschah aber nicht immer reibungslos. Des Öfteren saßen die Menschen dann noch spät am Abend auf ihren Holzkoffern vor dem Rathaus. Auch die Infrastruktur war auf den Zuzug nicht vorbereitet. So berichten Zeitzeugen davon, dass noch 1950 insgesamt 350 Familien nur 69 Kochstellen zur Verfügung hatten und an diesen somit gemeinsam gekocht werden musste. „Das Thema geht weit über unsere Grenzen hinaus, aber wir von der IGM haben versucht, die noch junge Geschichte im Rahmen unserer Möglichkeiten aufzuarbeiten“, sagt Salzmann.
Auch die Bilddokumentation ist beeindruckend. So hat die IGM viele Personen und Familien nicht nur mit Wohnort und oder Namen und Geburtsdaten festgehalten, sondern auch im Bild – ob als Familienportrait oder beim Fußball oder in geselliger Runde. Ein Buch zum Suchen, Finden und Schmökern.
Das Buch „Die Personen, die durch Kriegseinwirkungen zwischen 1939 und 1950 nach Merklingen gekommen sind“erscheint im Eigenverlag der Interessengemeinschaft Merklingen und kann bei Jakob Salzmann unter der Telefonnummer 07337 / 6102 zum Preis von 25 Euro bestellt werden.