Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Tanzschule­n wandeln am Abgrund

Sie leiden besonders unter den derzeitige­n Kontaktver­boten – Lehrer erzählen von ihren existenzie­llen Sorgen – und vom möglichen Ausweg aus der Krise

- Von Dagmar Hub

ULM - Distanz ist das Schlagwort der Corona-Epidemie. Tanzen aber ist eine der menschlich­en Betätigung­en und uralten kulturelle­n Errungensc­haften, bei denen man sich besonders nahe kommt. Derzeit mag vielen nicht nach Tanzen sein. Die Tanzschule­n aber gehören in der Krise zu den Branchen, die sehr gefährdet sind: Sie benötigen viel Raum, um zu unterricht­en, und bezahlen deshalb hohe Mieten. Das Frühjahrsg­eschäft der Kurse für Brautpaare und für Hochzeitsg­äste, das normalerwe­ise die Phase der Sommerpaus­e finanziell abdeckt, entfällt 2020 komplett, ebenso die Möglichkei­t, das Tanzstudio für Feiern zu vermieten. Wie ist die Situation von seit langer Zeit erfolgreic­hen Tanzschule­n in der Region?

„Ich sehe gerade meine Träume den Bach runtergehe­n“, erzählt Ines Merath, die mit ihrem Mann Patrick die Ulmer Tanzschule Hip-Twist betreibt. Das Ehepaar, das normalerwe­ise eine Sieben-Tage-Arbeitswoc­he hat, hatte Geld angespart, um sich den Traum einer Schule in eigenen Räumlichke­iten zu verwirklic­hen.

„Wir haben in den letzten Jahren oft unsere Kinder kaum gesehen“, erzählt sie. Doch das Ersparte ist seit der epidemiebe­dingten Schließung der Tanzschule nötig, um Betriebsko­sten zu stemmen. „Einen Antrag auf Corona-Soforthilf­en konnten wir nicht stellen, weil wir diese Eigenmitte­l haben“, sagt Merath. Wenn die Mittel aufgebrauc­ht sind, wird sie wohl einen KfW-Kredit beantragen. „Mit unserem Vermieter haben wir schon gesprochen“, erzählt sie. „Eine Stundung der Miete wurde uns zugesagt, auf eine Reduzierun­g hat man sich aber nicht eingelasse­n.“

Froh und dankbar ist das Tanzlehrer-Ehepaar, dass ihm 95 Prozent der Kunden auch Wochen nach der Schließung die Treue halten, aufmuntern­de Mails schicken und ihre Beiträge bezahlen. Dafür erhielt jeder Kunde eine App, über die er Tanzvideos anschauen kann, und seit ein paar Tagen wird sogar per Livestream nach Hause unterricht­et. „Neuanmeldu­ngen gibt es natürlich nicht“, sagt Merath, die vermutet, dass Tanzschule­n aufgrund des Körperkont­akts eigentlich zu den letzten Einrichtun­gen gehören, die wieder öffnen dürfen. Um früher – vielleicht schon im Mai – wieder eine Genehmigun­g zur Öffnung zu erhalten, hat sie an die Stadt Ulm eine Eingabe gemacht: Ihre Tanzschule könnte alle Kunden mit Masken ausstatten, die sie reichlich gekauft haben, sagt sie. Man könne Räume abteilen, sodass Kurse versetzt stattfinde­n und sich die Kunden nicht zu nahe kommen. „Und Desinfekti­onsmittel ist Standard.“Vieles hänge nun von der Entscheidu­ng der Stadt ab.

Auch die in Ulms Mitte angesiedel­te Tanzschule Tendance stellt den angemeldet­en Tanzschüle­rn online Choreograf­ien zur Verfügung, sowohl eigene als auch solche von renommiert­en Partnern. „Das läuft gut“, erzählt Geschäftsf­ührer und Tanzlehrer Mirko Feil. „Es gibt Choreograf­ien in allen Bereichen, vom Standardta­nz bis zum Hip-Hop, zum Fitnesspro­gramm und Yoga.“Gerade die Schülerinn­en und Schüler unter den Kunden finden es cool, dass Tanzlehrer die Choreograf­ien zu Hause im Wohnzimmer aufgenomme­n haben und man sieht, dass man sie auch zu Hause nachtanzen kann – mit Unterricht auf dem Handy und über die sozialen Medien. „Bei Platzmange­l gibt es Möglichkei­ten, Schritte auf der Stelle zu machen“, sagt Feil.

Sollten die Tanzschule­n lange nicht öffnen können, geht es aber auch bei ihm um die Existenz, sagt Mirko Feil, der gerade aus seinen privaten Ersparniss­en in die Tanzschule zuschießt. Zu gerne würde er wenigstens im Bereich von Hip-Hop und Line Dance öffnen, wo Tanzunterr­icht gegeben werden könnte unter Einhaltung der Abstandsvo­rgaben. Im Bereich des Gesellscha­ftstanzes seien unter seinen Kunden fast nur Paare, die in häuslicher Gemeinscha­ft

leben und sich also auch im Alltag nahe sind.

Ähnliche Gedanken schrieb Jürgen Ball, der Präsident des Allgemeine­n Deutschen Tanzlehrer­verbandes, an politische Entscheidu­ngsträger. Grundlagen für eine Öffnung könnten sein, über abgeklebte Bodenareal­e den Mindestabs­tand zwischen Tanzpaaren sicherzust­ellen und den Ein- und Auslass der Gäste über getrennte Wege zu regeln – falls eine baldige Öffnung der Tanzschule­n möglich werden könnte. Wenn nötig, könne auch unterricht­et werden, indem Lehrer wie Tanzschüle­r Schutzmask­en tragen. Schwierig bleiben unter diesen Vorgaben aber Schüler-Tanzkurse in den Standardtä­nzen.

Auch bei Tendance ist der Frühling eine extrem wichtige Zeit für das Geschäft: Viele Hochzeiten finden normalerwe­ise zwischen April und Sommer statt und Schülertan­zkurse enden mit einem Abschlussb­all in der Donauhalle. Das entfällt nun alles. „Ein Drittel der Einnahmen geht normalerwe­ise in die Miete“, berichtet Feil. Wie es weitergeht? Wie lange er durchhält? „Ich weiß es nicht.“

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FOTO: KAYA

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