Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Die Leute haben vor der Tür gewartet“

In Ulm öffnen Geschäfte – Müller setzt anscheinen­d wieder Sonderrege­lung durch

- Von Oliver Helmstädte­r

ULM/NEU-ULM - Die Einkaufsli­ste von Michael Bräutigam und Martina Ranz ist ziemlich umfangreic­h: Laufschuhe, Sommersand­alen und ein Fahrrad. In ihrer Nachbarsta­dt ist das Paar aus dem Neu-Ulmer Stadtteil Burlafinge­n fündig geworden. „Bevor wir im Internet kaufen, geh’ ich lieber nach Ulm“, sagt Bräutigam.

In Ulm öffneten am Montag Ladengesch­äfte mit einer Verkaufsfl­äche von bis zu 800 Quadratmet­ern sowie sämtliche Fahrradläd­en und Buchhandlu­ngen. In Bayern hingegen müssen sich – abgesehen von Baumärkten – die Kunden noch eine Woche gedulden. Und so wimmelte es am Montag auf dem Parkplatz des Filialiste­n Radlbauer von Autos mit Neu-Ulmer Kennzeiche­n. Auch der Pfuhler Martin Breuninger steht in der Warteschla­nge vor dem Radgeschäf­t in der Blaubeurer Straße. „Ich brauche dringend neue Reifen und einen Radständer.“

Ein paar hundert Meter weiter öffnete am Montag auch Ulms größtes Einkaufsze­ntrum, das Blautal-Center. Kurz vor Mittag ist es ziemlich leer auf den 44 500 Quadratmet­ern. Dennoch haben offensicht­lich manche Menschen sehnlichst die Wiedereröf­fnung erwartet. „Die Leute haben am Morgen vor der Tür gewartet“, berichtet Regina Medinger, die Filialleit­erin des Thalia-Buchladens. Sie sei sehr froh, dass die Corona-Auszeit ein Ende habe. „Wir haben vier Paletten neue Bücher geliefert bekommen.“Besonders gefragt waren am Tag der Wiedereröf­fnung Kinderbüch­er. Diese bleiben bei den beiden Neu-Ulmer Buchhändle­rn noch mindestens eine Woche in den Regalen. Die Glacis-Galerie, das Neu-Ulmer Gegenstück zum BlautalCen­ter, gibt am Montag ein tristes Bild ab. Selbst Optiker, die eigentlich öffnen dürften, haben geschlosse­n.

Auch im Blautal-Center haben nicht alle Geschäfte geöffnet, die eigentlich dürften. Der Filialist Orsay etwa hat genauso zu wie die Textiler

Street One oder Cecil. Zapata hingegen hat offen. „Betreten des Store nur mit Schutzmask­e“, steht an der Eingangstü­re. Und die sei selber mitzubring­en. Kunden sind keine zu sehen.

Wenig zu tun hat an Tag eins nach dem Corona-Shutdown auch Michael Schmid, der Filialleit­er von Intersport Wolf, der auch Kunden ohne Maske bedient. Bis zum Mittag sei gerade einmal ein Paar Schnürsenk­el über den Ladentisch gegangen. Intersport Wolf ist in beiden Ländern vertreten: Die Ulmer Filiale ist die einzige, die öffnen darf, die Geschäfte in Günzburg, Krumbach und Weißenhorn müssen noch geschlosse­n bleiben. Wettbewerb­sverzerrun­g nennen das nicht nur die Mitarbeite­r des Sportfachh­ändlers. „Es kann nicht sein, dass nächste Woche halb Bayerisch-Schwaben nach Ulm zum Einkaufen pilgert, während die Geschäfte im Landkreis Neu-Ulm und im restlichen Bayern weiter geschlosse­n sein müssen“, kritisiere­n etwa unisono die Vorsitzend­en der beiden Gewerbever­bände Weißenhorn und Pfaffenhof­en, Katja Blum (Weißenhorn) und Alfons Endres (Pfaffenhof­en). Die wirtschaft­liche Lage für viele kleine Betriebe sei nicht nur ernst, sondern katastroph­al.

Verhältnis­mäßig gut geht es noch dem „Lederladen“, einem kleinen, inhabergef­ührten Geschäft für hochwertig­e Schuhe und Textilien in der Ulmer Platzgasse. „Vier Wochen ohne Umsatz halte ich gerade noch aus“, sagt Inhaber Oliver Merkel. Was er vielmehr fürchtet, sind lang anhaltende Folgen der Krise. Durch Kurzarbeit würde das Geld einfach nicht mehr so locker sitzen. Und außerdem drücke Corona auf die Stimmung, was den Spaß an Einkaufsbu­mmeln unter Umständen noch Monate vermiese. „Wer geht schon gern mit Maske einkaufen?“

Die Laune vermiest hat vielen Ulmer Händlern auch eine offensicht­liche Sonderbeha­ndlung des Ulmer Drogeriekö­nigs Erwin Müller. Der Milliardär hatte bis kurz vor Ostern sämtliche Etagen seines großen Kaufhauses in der Ulmer Fußgängerz­one komplett geöffnet – also auch die Medien-, Spielwaren- und Haushaltsa­bteilung. Die Stadt Ulm wollte das ändern und erklärte: „Bei der Müller-Filiale in der Hirschstra­ße 10 überwiegt der verbotene Teil des Sortiments, weshalb der erlaubte Teil allein weiter verkauft werden darf, wenn eine räumliche Abtrennung möglich ist.“

Müller schaltete Anwälte ein und dennoch sperrte der Konzern mit Sitz in Ulm die Haushalts- und Medienabte­ilung für wenige Tage. Am Montag war wieder das komplette MüllerKauf­haus geöffnet, obwohl es weit mehr als 800 Quadratmet­er Verkaufsfl­äche hat. Auch in dem ebenfalls zu Müller gehörendem Geschäft Abt, ebenfalls in der Hirschstra­ße, setzt sich Müller ganz offensicht­lich über Regeln der Stadt Ulm hinweg. Am Montag waren Erd- und Untergesch­oss von Abt geöffnet. Dabei hatte die Stadt Ulm schriftlic­h erklärt, dass größere Geschäfte auch nicht öffnen dürfen, wenn sie ihre Verkaufsfl­äche durch Absperrung­en auf die zulässige Fläche reduzieren. „Große Läden müssen definitiv geschlosse­n bleiben“, heißt es in einer Erklärung der Stadt Ulm zur Verordnung des Landes. Müller fühlt sich daran nicht gebunden. Bei Abt wurde einfach die Rolltreppe in die oberen Stockwerke abgestellt und mit einem Schild versehen: „Sehr geehrte Kunden, dieser Bereich ist aktuell gesperrt.“Eine Stellungna­hme der Ulmer Stadtverwa­ltung dazu war am Montag nicht zu bekommen.

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FOTO: KAYA

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