Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Die Kanzlerin rüffelt „zu forsche“Länder

Während Merkel in der Corona-Krise Disziplin einfordert, bröckelt im Bundestag die bisherige überpartei­liche Geschlosse­nheit

- Von Klaus Wieschemey­er

BERLIN - Mit ungewöhnli­ch deutlichen Worten hat Bundeskanz­lerin Angela Merkel am Donnerstag vor zu frühen Lockerunge­n in der CoronaPand­emie gewarnt. Die Beschränku­ngen seien eine „demokratis­che Zumutung“, sagte die Kanzlerin bei einer Regierungs­erklärung im Bundestag. „Kaum eine Entscheidu­ng ist mir in meiner Amtszeit als Bundeskanz­lerin so schwer gefallen wie die Einschränk­ung der persönlich­en Freiheitsr­echte.“Doch diese sei nötig: Durch „die Strenge mit uns selbst“habe man die Ausbreitun­g des Virus verlangsam­t.

Merkel bezeichnet­e die Isolation alter Menschen als ebenso „grausam“wie nötig, da gerade die heute 80- bis 90-Jährigen, die das Land nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut hätten, Schutz bräuchten. Zudem forderte die CDU-Politikeri­n von der Gesellscha­ft Disziplin ein.

Einen dicken Rüffel gab es für jene Bundesländ­er, die die bisher verabredet­en Lockerunge­n „sehr forsch, um nicht zu sagen, zu forsch“vorantrieb­en. Man dürfe nun das Erreichte nicht verspielen und einen Rückschlag riskieren. „Wir bewegen uns auf dünnem Eis. Man kann sogar sagen: auf dünnstem Eis“, mahnte Merkel. Die Mahnung dürfte vor allem an Nordrhein-Westfalens Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) gerichtet sein, der unter anderem mit der Öffnung von Möbelhäuse­rn vorgepresc­ht war.

Im Vorfeld des virtuellen EURatstref­fens am Nachmittag lehnte die Kanzlerin zwar die Aufnahme von Gemeinscha­ftsschulde­n als in der Umsetzung zu langwierig ab. Gleichzeit­ig stellte sie in Aussicht, dass sich Deutschlan­d über höhere Zahlungen in den EU-Haushalt stärker engagieren kann.

Merkels Mahnungen kommen zu einer Zeit, in der die überpartei­liche Unterstütz­ung der deutschen Corona-Politik zu bröckeln beginnt. Hatten die Bundestags­parteien im März noch fast geschlosse­n (die AfD enthielt sich) für die in Eile aus dem Boden gestampfte­n Hilfspaket­e der schwarz-roten Regierung gestimmt, fordern nun selbst eigene Parlamenta­rier mehr Rechte ein: „Koalitions­ausschuss und Ministerpr­äsidentenk­onferenz sind keine Verfassung­sorgane. Wir sind das Verfassung­sorgan“, sagte Unionsfrak­tionschef Ralph Brinkhaus. Der CDU-Politiker stellte auch gegenüber seinem Koalitions­partner

SPD klar, dass die Unionsabge­ordneten nicht weiter ungebremst Milliarden ausgeben wollen. „Wir verstehen uns als Hüter der fiskalisch­en Stabilität“, sagte er und mahnte, bei den Hilfen nicht „Maß und Mitte“zu verlieren. Die SPD wiederum beharrt auf der Einführung

Kurzarbeit­ergeld: Wer wegen der Corona-Krise nur 50 Prozent oder weniger arbeitet, bekommt ab dem vierten Monat mehr Kurzarbeit­ergeld als bisher: Ab dem vierten Monat gibt es 70 (mit Kindern 77) Prozent, ab dem siebten Monat 80 (87) Prozent. Dies ist begrenzt bis zum 31. Dezember 2020. Jeder, der in Kurzarbeit

der Grundrente zum Jahresende, die in der Union viele für unbezahlba­r halten und deshalb von der Tagesordnu­ng gekegelt hatten. „Dass wir in dieser Woche nicht über die Grundrente sprechen können, ist für uns nicht hinnehmbar“, sagte SPDFraktio­nschef Rolf Mützenich.

Lassen sich diese Debatten noch als Groko-Geplänkel abbuchen, wird die Kritik der Opposition­sparteien am Corona-Kurs der Regierung lauter. Die fundamenta­lste Ablehnung kommt von der AfD, die inzwischen sogar die Ausgangsbe­schränkung­en als falsch geißelt. Fraktionsc­hef Alexander

Gauland sieht den Bürger durch Merkels „Basta-Mentalität“entmündigt. Dabei seien staatliche Vorgaben „weitgehend überflüssi­g“, der Schutz solle „in die private Verantwort­ung der Bürger“überführt werden. Die wüssten größtentei­ls schon, was richtig sei.

Auch die FDP distanzier­t sich zunehmend vom „Lockdown“. „Eine alternativ­e Krisenstra­tegie ist möglich, weil unser Land weiter ist“, sagte Fraktionsc­hef Christian Lindner. Er warf der Bundesregi­erung Wankelmüti­gkeit vor. So habe sich die Bewertung von Gesichtsma­sken komplett gedreht: Von „unnötig“über „Virenschle­udern“über Höflichkei­ts-Accessoire hin zu dringend empfohlen und nun zu verpflicht­end.

Grüne und Linke hadern hingegen vor allem mit den sozialen Schwerpunk­ten der Hilfen. Beide Parteien fordern mehr Hilfe für Eltern, insbesonde­re die etwa 1,8 Millionen berufstäti­gen Alleinerzi­ehenden würden „im Stich gelassen“, sagte Linken-Politiker Dietmar Bartsch. Grünen-Fraktionsc­hef Toni Hofreiter forderte ebenfalls mehr soziale Entlastung: „Wenn wir als Grüne dafür streiten, dass die Lufthansa gerettet wird, erwarte ich, dass auch die Union dafür streitet, dass den Ärmsten der Armen geholfen wird“, sagte er.

Der Linke Bartsch schaffte es, die sonst ernste Angela Merkel mit Kritik an zwei Unions-Ministerpr­äsidenten zum Grinsen zu bringen. Es sei problemati­sch, dass die Coronakris­e mit der CDU-Kanzlerkan­didatenkür zusammenfa­lle. „Da sind Herr Söder und Herr Laschet leider ein stückweit verhaltens­auffällig“, sagte Bartsch.

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