Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Die roten Fahnen müssen wehen

- Von Benjamin Wagener b.wagener@schwaebisc­he.de

Die Lage der Arbeiter zum Tag der Arbeit in Zeiten der Corona-Pandemie ist bedrohlich: Hunderttau­sende Menschen sind in Kurzarbeit, die Zahl der von Insolvenz bedrohten Unternehme­n steigt, noch ist in vielen Branchen nicht absehbar, wann sie ihren Betrieb wieder aufnehmen dürfen. Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) rechnet 2020 mit einem wirtschaft­lichen Einbruch von 6,3 Prozent. Die Arbeitslos­enquote könnte im Jahresschn­itt auf 5,8 Prozent steigen.

Gerade in solchen Zeiten ist die Soziale Marktwirts­chaft – verstanden als gesellscha­ftspolitis­ches Leitbild, in dem wirtschaft­licher Wettbewerb und sozialer Fortschrit­t aufeinande­r bezogen sind – besonders gefordert. Und bei allen berechtigt­en Sorgen, die viele Arbeitnehm­er zurzeit bewegen, bewährt sich das auf Alfred Müller-Armack zurückgehe­nde Konzept, der es als Staatssekr­etär unter Wirtschaft­sminister Ludwig Erhard entwickelt­e. Augenschei­nlich wird das etwa im Hinblick auf die USA, die auf eine Marktwirts­chaft setzen, in der das Element des sozialen Ausgleichs eine wesentlich geringere Rolle spielt. Während seit Anfang März rund 26 Millionen Amerikaner ihren Job verloren haben und Experten die Arbeitslos­enquote auf etwa 15 Prozent taxieren, verhindert in Deutschlan­d der Staat durch das Instrument der Kurzarbeit die Entlassung von Millionen Beschäftig­ten. Das Sozialsyst­em fängt Arbeitnehm­er ohne Job durch die Zahlung von Arbeitslos­engeld auf. Die Arbeitnehm­ermitbesti­mmung in den Betrieben und die Sozialpart­nerschaft, bei der Arbeitgebe­r und Gewerkscha­ften ohne den Staat Löhne aushandeln, sichert in den meisten Branchen auskömmlic­he Arbeitsver­hältnisse.

Die Instrument­e werden die gravierend­en Folgen der Rezession für die Arbeitnehm­er nicht verhindern, sie werden sie aber abmildern. Der Tag der Arbeit ist dennoch nicht obsolet: Denn die Pandemie zeigt auch, dass den Gewerkscha­ften die Arbeit nicht ausgeht und viele systemrele­vante Berufe wie Pflegekräf­te und Verkäufer trotz allem nicht angemessen bezahlt werden. Die roten Fahnen müssen also weiter wehen.

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