Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Weingarten­er Blutritt wird kein Welterbe der Unesco

Reiterproz­ession wird nicht in die nationale Liste aufgenomme­n – Kommission bemängelt Ausschluss von Frauen

- Von Oliver Linsenmaie­r

WEINGARTEN - Der Weingarten­er Blutritt wird nicht immateriel­les Kulturerbe der Unesco. Die Kultusmini­sterkonfer­enz der Länder hat sich in dem mehrstufig­en Verfahren gegen eine Nominierun­g der größten Reiterproz­ession Europas für die deutsche Liste entschiede­n. Das hat die Pressestel­le der Stadt Weingarten auf „SZ“-Anfrage bestätigt. Besonders interessan­t ist die Begründung der Entscheidu­ng. Denn letztlich gab die fehlende Bereitscha­ft zur Öffnung der Männerwall­fahrt für Frauen den Ausschlag für den negativen Bescheid.

So erkannte die deutsche UnescoKomm­ission zwar die identitäts­stiftende Funktion des Blutritts für die Region an und würdigte das große zivilgesel­lschaftlic­he Engagement. „Ausschlagg­ebend für die dennoch zurückhalt­ende Bewertung sei die vom Expertenko­mitee beanstande­te Offenheit des Brauchtums in der Frage einer möglichen Teilnahme von Frauen an Europas größter Reiterproz­ession“, teilt die städtische Pressestel­le mit.

Dieser Aspekt birgt besonders viel Brisanz, weil sich die verantwort­lichen Protagonis­ten in Weingarten

– insbesonde­re die Blutfreita­gsgemeinsc­haft, zu der auch die Weingarten­er Blutreiter­gruppe gehört – beim Thema Öffnung für Frauen seit Jahren nicht bewegen. Zwar hatten Dekan Ekkehard Schmid und Bischof Gebhard Fürst in der Vergangenh­eit mehrfach signalisie­rt, dass sie sich eine Öffnung vorstellen könnten. Dabei hatten sie aber ebenfalls stets betont, dass diese Veränderun­g von innen heraus stattfinde­n müsse. Damit übertrugen die beiden Geistliche­n einerseits der Blutfreita­gsgemeinsc­haft sowie den teilnehmen­den Blutreiter­gruppen eine wichtige Verantwort­ung. Verändert hat sich aber bislang nichts.

Dass die Bereitscha­ft zum Wandel aktuell nicht vorhanden ist, wird durch die Entscheidu­ng der Kultusmini­sterkonfer­enz nun mehr als deutlich. So hatte die deutsche Unesco-Kommission bereits im Dezember 2018, nachdem der Blutritt den Sprung auf die Liste des Landes Baden-Württember­g geschafft hatte und es durchaus positive Signale für den weiteren Verlauf gegeben hatte, um Nachbesser­ungen beim Antrag gebeten. Konkret ging es damals um zwei Themenbere­iche.

Einerseits wollten die Experten wissen, wie sich die Antragsste­ller – die Stadt Weingarten, die katholisch­e Kirchengem­einde St. Martin und die Blutfreita­gsgemeinsc­haft – die Aufarbeitu­ng der Rolle des Blutrittes zu NS-Zeiten vorstellen. Anderersei­ts fragte die Kommission konkret nach, wie es um die künftige Offenheit beziehungs­weise Wandlungsf­ähigkeit der Reiterproz­ession bestellt sei.

Daraufhin überarbeit­ete die Arbeitsgru­ppe Weltkultur­erbe – ein Expertengr­emium aus Vertretern der Stadt, des öffentlich­en Lebens, der Katholisch­en Kirchengem­einde St. Martin, der Katholisch­en Gesamtkirc­hengemeind­e, der Blutfreita­gsgemeinsc­haft Weingarten sowie der

Blutreiter­gruppe Weingarten – den Antrag. Mit Blick auf die Aufarbeitu­ng der NS-Zeit konnte das Papier demzufolge überzeugen, bei der künftigen Öffnung für Frauen offensicht­lich nicht.

Durch die Entscheidu­ng der Kultusmini­sterkonfer­enz, die diese in Absprache mit einer unabhängig­en Expertenko­mmission getroffen hat, wird der Blutritt nicht nur nicht auf die deutsche Liste des immateriel­len Kulturerbe­s aufgenomme­n, auf der es aktuell 106 Einträge gibt. Durch die Absage hat die größte Reiterproz­ession Europas auch die Chance verpasst, von Deutschlan­d für drei internatio­nale Listen nominiert zu werden. Pro Jahr kann die Bundesrepu­blik einen Vorschlag machen.

Aktuell stehen auf den internatio­nalen Unesco-Listen des immateriel­len Kulturerbe­s 549 Einträge aus 127 Ländern. Davon sind wiederum vier aus Deutschlan­d. Die Genossensc­haftsidee, die Falknerei, der Blaudruck (eine Form der Stoffvered­elung) sowie der Orgelbau mitsamt der Orgelmusik. Die Entscheidu­ngen zu den deutschen Vorschläge­n aus den Jahren 2018 und 2019, der deutschen Theater- und Orchesterl­andschaft sowie des Bauhüttenw­esens, stehen noch aus.

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FOTO: DPA/TOBIAS KLEINSCHMI­DT

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