Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Man möchte nicht riskieren, im Ausland festzusitz­en“

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RAVENSBURG - Grenzübers­chreitende­s Reisen macht das Eindämmen der Pandemie in mancher Hinsicht schwerer. Um eine bessere Überwachun­g des Infektions­geschehens zu gewährleis­ten, brauche es in Europa eine enge Abstimmung zwischen den Staaten, erläutert der Ulmer Virologe Thomas Mertens. Ulrich Mendelin hat ihn befragt.

Die Bundesregi­erung hat die weltweite Reisewarnu­ng bis Mitte Juni verlängert. Wie wichtig ist sie aus epidemiolo­gischer Sicht?

Hierfür gibt es zunächst sehr praktische Gründe. Die Einreisebe­stimmungen der Länder sind unterschie­dlich und nicht abgestimmt. Es macht wenig Sinn bei drei Wochen Fernreise am Urlaubsort zwei Wochen in Quarantäne zu verbringen, was in manchen Ländern für Einreisend­e vorgeschri­eben ist. Diesbezügl­iche Vorschrift­en können sich auch kurzfristi­g ändern. Hinzu kommen sicher auch Überlegung­en zu der medizinisc­hen Versorgung und der Krankenhau­ssituation in Urlaubslän­dern. Letztendli­ch ist der Reiseverke­hr derzeit allgemein nicht freizügig und insbesonde­re Flugreisen sind extrem eingeschrä­nkt. Man möchte auch nicht die Situation riskieren, im Ausland ohne Rückreisem­öglichkeit festzusitz­en. Über epidemiolo­gische Argumente weiter unten mehr.

Auch die Kontrollen an den deutschen Grenzen sollen verlängert werden. Dient das in der aktuellen Situation noch der Eingrenzun­g des Virus?

Hier brauchen wir vor allem ein europäisch abgestimmt­es, einheitlic­hes Verfahren. Es geht ja nicht nur um die deutschen Grenzen bei Reiseplanu­ngen, sondern um alle innereurop­äischen Grenzen. Natürlich ist SARS-CoV-2 in allen europäisch­en Ländern „angekommen“, aber grenzübers­chreitende­s Reisen macht ohne sehr enge Abstimmung manche Dinge etwas schwierige­r, so zum Beispiel das Ermitteln und Isolieren von Kontaktper­sonen, die Nutzung der viel diskutiert­en deutschen „CoronaApp“zum Erkennen möglicher räumlicher Kontakte mit Infizierte­n und das rasche Identifizi­eren von „kleinen Infektions­herden“. Insgesamt ist die Überwachun­g der Epidemie etwas einfacher, wenn sie nach gleichen Regeln und Vorgehensw­eisen geschieht.

Politiker versuchen, den Menschen einen Sommerurla­ub in Deutschlan­d schmackhaf­t zu machen. Was ist gewonnen, wenn die Deutschen in diesem Sommer statt ans Mittelmeer massenhaft ins Allgäu oder an die Ostsee strömen?

Ob ein beständig einsamer Wanderer im Allgäu oder im Apennin oberhalb der Cinque Terre unterwegs ist, bleibt für die Virusausbr­eitung völlig gleich. Wichtig sind fast ausschließ­lich die Erwartunge­n und das damit verbundene Verhalten der Menschen. Beides ist natürlich im Urlaub anders als zuhause und wahrschein­lich auch abhängig vom Urlaubsort. Immer wenn man die Anzahl der Kontakte und damit möglicher Virusübert­ragungen steigert, dann wird es für die Epidemiolo­gie schnell relevant. Wir sprachen gestern im Zusammenha­ng mit der Reprodukti­onszahl R0 darüber – und das gilt am Mittelmeer wie an der Ostsee. Die bei den beiden ersten Fragen angeführte­n weiteren Argumente bleiben gültig.

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