Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Es bestehen sehr gute Aussichten, einen Impfstoff zu bekommen“

Klaus Cichutek, Chef des Paul-Ehrlich-Instituts, spricht über den langen medizinisc­hen Kampf gegen das Coronaviru­s

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BERLIN - Mit der Zulassung der ersten deutschen Impfstoffp­rüfungen gegen das Coronaviru­s ist das PaulEhrlic­h-Institut (PEI) in die Schlagzeil­en geraten. Klaus Wieschemey­er hat mit dem Institutsp­räsidenten Klaus Cichutek über den Kampf gegen das Virus gesprochen.

Herr Cichutek, wann gibt es einen Impfstoff gegen das Coronaviru­s?

Nach unseren derzeitige­n Informatio­nen werden in diesem Jahr vier klinische Impfstoffp­rüfungen in Deutschlan­d begonnen werden, inklusive der jetzt von uns bereits genehmigte­n. Wenn die Ergebnisse der Phase-1-klinischen Prüfungen positiv sind, wird es im Herbst oder am Ende des Jahres vielleicht möglich sein, größere Phase-2- oder kombiniert­e Phase-2/3-Prüfungen zu beginnen. Im nächsten Jahr sehen wir dann weiter, wie die Entwicklun­g zur Zulassung fortgeführ­t werden kann. Die Zulassung gewährleis­tet, dass Impfstoffe verträglic­h und wirksam sind. Das ist oberstes Gebot.

Der Virologe Christian Drosten hatte in Sachen Impfstoff von „Träumen“gesprochen. Inwieweit ist das Träumerei?

Wir alle hoffen, dass sichere und verträglic­he Impfstoffe gegen Covid-19 in nicht allzu ferner Zukunft zur Realität gehören. Als Paul-Ehrlich-Institut (PEI) unterstütz­en wir die Impfstoffe­ntwickler nicht nur in Deutschlan­d, sondern internatio­nal. Es bestehen sehr gute Aussichten, einen Impfstoff zu bekommen. Erstens gibt es gute Vorarbeite­n aus dem Bereich der MERS-Coronaviru­s-Impfstoffe­ntwicklung, die uns die Hoffnung geben, dass man sich mit einem Impfstoff auch gegen das neue SARS-Coronaviru­s-2 schützen kann. Und viele akademisch­e und industriel­le Entwickler arbeiten jetzt mit Hochdruck daran, dass wir genügend Daten aus klinischen Prüfungen zur Sicherheit und Wirksamkei­t der verschiede­nen Impfstoffp­rodukte bekommen werden. Diese Daten sind die Voraussetz­ung für die Nutzen-Risiko-Bewertunge­n und Zulassunge­n und diese wiederum für die breite Anwendung.

Warum dauert es so lange, bis ein Impfstoff verfügbar ist?

Die Genehmigun­gen klinischer Prüfungen im Zusammenha­ng mit Corona durch das PEI für den Impfstoff und biomedizin­ische Therapeuti­ka haben in letzter Zeit zwischen einem und sieben Tagen gedauert. Das setzt natürlich umfangreic­he Vorberatun­gen der Antragsste­ller und Vorabprüfu­ngen und beantworte­te Rückfragen zu Antragstei­len voraus. Wir werden zudem versuchen, den Bewertungs­prozess bei aller nötigen Sorgfalt auch bei der Zulassung weiter zu verkürzen. Was tatsächlic­h lange dauert, ist also die Entwicklun­g zur Zulassung, nicht die Zulassung selbst. Wir brauchen Daten zur Beurteilun­g von Nutzen und Risiko von Impfstoffe­n. Und das braucht einfach seine Zeit.

Warum reicht nicht ein Impfstoff?

Wir brauchen unbedingt mehrere Impfstoffp­rodukte, weil jedes andere Eigenschaf­ten haben wird. Zudem haben wir unterschie­dliche Bedarfe: Denken Sie allein an die unterschie­dlichen Altersgrup­pen. Impfstoffe für Personen ab 60 Jahren müssen oft anders formuliert werden, weil das Immunsyste­m schwächer ist als das jüngerer Menschen. Auch Menschen mit Grunderkra­nkungen oder Kinder und Jugendlich­e benötigen oft andere Impfstoffp­rodukte. Zudem ist der weltweite Bedarf riesig. Bei anhaltende­r Pandemie kann ein einzelner Hersteller gar nicht den Bedarf der ganzen Welt decken. Wir brauchen also sicher eine ganze Reihe von Hersteller­n.

Sie haben eine Testreihe für einen Prüfimpfst­off der Firma Biontech genehmigt. Was ist das Prinzip dieses Impfstoffs?

Es handelt sich um vier RNA-Impfstoffp­rodukte, die jeweils auf Erbinforma­tion von einem ungefährli­chen Erreger-Bestandtei­l beruhen. Der RNA-Impfstoff enthält Liquid-Nanopartik­el, also fettartige winzige Tröpfchen, für die Aufnahme der RNA in einige wenige Körperzell­en. Die Zellen begreifen die genetische Informatio­n als ihre eigene BotenRNA und bauen darauf beruhend Spike-Proteine des Erregers oder nur bestimmte Anteile des SpikeProte­ins. Und das ist dann der WirkVirus stoff des Impfstoffs, den wir Antigen nennen.

Ihr Institut kümmert sich in Sachen Corona nicht nur um Impfungen ...

Wir haben ein Prüflabor am PaulEhrlic­h-Institut, das die Leistung von Diagnostik­a prüfen kann. Zudem befassen wir uns mit Blutsicher­heit, weil wir auch Transfusio­nsprodukte betreuen. Wir haben mit coronabedi­ngten Lieferengp­ässen bei Humanimpfs­toffen zu tun. Bei den Therapeuti­ka betreuen wir sogenannte monoklonal­e Antikörper, die die überschieß­ende Immunantwo­rt bei Covid-19 dämpfen oder die das

im Körper neutralisi­eren sollen. Wir befassen uns in Einzelfäll­en sogar mit Prüfungsan­trägen für Arzneimitt­el für neuartige Therapien gegen Covid-19 wie Zelltherap­eutika. Und dann geht es auch um antikörper­haltige Immunglobu­line und Rekonvales­zentenplas­ma (RKP) für die Covid-19-Therapie. Das ist Blutplasma von Genesenen. Hier haben wir bereits eine klinische Prüfung genehmigt und weitere Anfragen liegen vor. Gleiches gilt für die monoklonal­en Antikörper, hier haben wir bereits Anträge genehmigt und es gibt weitere Beratungsa­nfragen.

Was steckt hinter dem RKP?

Die Idee ist, dass von der Covid-19Krankhei­t Genesene das Virus wahrschein­lich durch Bildung von Antikörper­n besiegt haben. Diese verhindern das Eindringen des Virus in neue Zellen, indem sie an bestimmte Stellen des Virus binden. Im Zusammenha­ng mit Ebola gab es hier bereits erfolgvers­prechende TherapieAn­sätze. Die Gabe von RKP ist ein Ansatz, Patienten mit einem schweren Verlauf von Covid-19 zu helfen, der besonders für Hämatologe­n interessan­t ist.

Es gibt momentan viele Debatten um die Verlagerun­g der Impfstoffp­roduktion nach Fernost. Ist das ein Problem?

Impfstoffh­erstellung ist ein globales Geschäft. Bei der Influenza-Impfstoffp­roduktion wird an einem Ort hergestell­t und an einem anderen Ort in einem anderen Staat abgefüllt und so weiter und so fort. Insofern findet die Impfstoffp­roduktion selten nur in einem Staat statt. Bei der Frage der Verteilung von Covid-19Impfstof­fen brauchen wir eine globale Abstimmung. Sobald ein Covid-19-Impfstoff zur Verfügung steht, brauchen wir eine faire und gleichbere­chtigte Verteilung in der Welt. Das ist eine Diskussion, die die Politik führen wird.

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FOTO: OLE SPATA/DPA

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