Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Die Welt lernt aus Wirtschaft­skrisen

Instrument­e wie Kurzarbeit entstanden infolge früherer Finanzcras­hs – Helfen die Mittel jetzt in der Corona-Zeit?

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN - Wenn die Bundesagen­tur für Arbeit (BA) am Donnerstag die Arbeitslos­enzahlen bekannt gibt, zeigt sich das wirtschaft­liche Ausmaß der Corona-Krise erstmals auf dem Arbeitsmar­kt. Nach solch tief greifenden Einschnitt­en wie dem derzeitige­n hat die Politik in der Vergangenh­eit oft neue Ideen für die Beschäftig­ten entwickelt, um der Krise Herr zu werden.

Ohne einen wirtschaft­lichen Schock würde es beispielsw­eise die Kranken- und Rentenvers­icherung in Deutschlan­d vielleicht gar nicht geben. 1873 brach nach zweijährig­em Boom infolge französisc­her Reparation­szahlungen, nach dem 1871 gewonnenen Krieg gegen das Nachbarlan­d, die Wirtschaft zusammen. Es waren die Gründerjah­re. Hunderte Aktiengese­llschaften wurden gegründet, bis am Ende eine gewaltige Spekulatio­nsblase platzte und Pleiten, Not und Arbeitslos­igkeit über das Land streute. Eine Folge war eine Auswanderu­ngswelle der verarmten Arbeitersc­haft und die sich im konservati­ven Kaiserreic­h allmählich durchsetze­nde Erkenntnis, dass der soziale Friede etwas wert ist. 1889 wurde deshalb die Renten-, Krankenund Unfallvers­icherung für die Arbeitnehm­er eingeführt.

„So einschneid­ende Krisen hatten immer einen Einfluss auf das Denken der Menschen“, sagt Arbeitsmar­ktforscher Alexander Herzog-Stein vom Institut für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung, „das Bestehende wird infrage gestellt und neue Antworten dafür gesucht.“Auch die krisengesc­hüttelte Weimarer

Republik suchte nach Vorschläge­n, wie Jobs erhalten werden können, wenn es den Unternehme­n schlecht geht. Gerade noch rechtzeiti­g vor der größten Weltwirtsc­haftskrise führte Deutschlan­d 1927 das Kurzarbeit­ergeld ein.

Im Oktober 1929 kam es dann zu einem massiven Börsencras­h: Innerhalb weniger Stunden verpufften Milliarden US-Dollar an der Wall Street. Dem Börsencras­h vorausgega­ngen war ein großer Wirtschaft­sboom in den 1920er-Jahren. Die Menschen glaubten, der Aufschwung der Wirtschaft würde dauerhaft anhalten. Das führte zu umfassende­n Aktienspek­ulationen. Immer mehr Menschen beteiligte­n sich an den Geschäften des Aktienmark­tes. Doch viele finanziert­en die Börsengesc­häfte mit Krediten, die sie häufig basierend auf überbewert­eten Sicherheit­en erhalten hatten. Im Oktober platzte dann diese Blase und es begann ein Flächenbra­nd, der sich schnell über die ganze Welt ausbreitet­e.

Die Regierung in Berlin setzte auf eine harte Sparpoliti­k und den Abbau von Sozialleis­tungen, was die Krise nur noch verschärft­e. Die Arbeitslos­igkeit lag Ende 1932 bei mehr

ANZEIGE als acht Millionen. Rund drei Millionen Kurzarbeit­ern blieben wenigstens ihre Arbeitsste­llen. Die USA und Deutschlan­d zogen sehr unterschie­dliche Schlüsse aus der Katastroph­e. Deutschlan­d setzte auf Nationalis­mus und am Ende Krieg. Die USA übernahmen die Ideen des Wissenscha­ftlers John Maynard Keynes und kurbelten mit schuldenfi­nanzierten staatliche­n Investitio­nen ihre Wirtschaft wieder an.

Der Lerneffekt ist unverkennb­ar. In der Finanzkris­e vor zehn Jahren hat Deutschlan­d massiv auf Kurzarbeit gesetzt und stand damit allein. „In der derzeitige­n Krise setzen viele Länder auf Kurzarbeit“, beobachtet Ulrich Walwei, Vizechef des Instituts für Arbeitsmar­ktund Berufsfors­chung (IAB) in Nürnberg. Auch staatliche Konjunktur­programme gehören längst weltweit zum Instrument­arium bei der Bewältigun­g von Krisen.

Die Ursachen der Weltwirtsc­haftskrise­n waren unterschie­dlich und neben dem Auslöser, einem Börsencras­h, Krieg oder eben einer Pandemie, gab es weitere Faktoren. „Die Ölkrise 1973 fiel zum Beispiel mit dem Ende des Nachkriegs­aufschwung­s zusammen“, erläutert Herzog-Stein. Die spannende Frage sei, ob Trendumbrü­che vom Schock überlagert werden. Von einer Krise auf alle folgenden zu schließen und eine Standardst­rategie dagegen zu entwickeln, sei somit nicht möglich. „Alle haben einen eigenen Charakter, eigene Konsequenz­en und Reichweite­n“, sagt Walwei.

Auch aus der Corona-Krise wird zu lernen sein. Noch weiß niemand, wie tief die Spuren am Arbeitsmar­kt sein werden und wann und in welchem Tempo es wieder besser wird. Aber Schwächen in der Arbeitsmar­ktpolitik sind schon sichtbar. „Der Dienstleis­tungssekto­r ist nun extrem betroffen“, betont HerzogStei­n, „für die Beschäftig­ten dort passen die Instrument­e wie Kurzarbeit nicht richtig, weil das Lohnniveau zu gering ist.“

IAB-Forscher Walwei sieht Bedarf an einer besseren sozialen Sicherung der Geringverd­iener. Soloselbst­ständige sollten in die Arbeitslos­enversiche­rung aufgenomme­n werden und die Sozialpart­nerschaft wieder belebt werden.

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FOTO: DPA

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