Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Ökonomische Regierungserklärung aus Renningen
Bosch-Chef Volkmar Denner stellt sich auf eine tiefe Rezession ein und hat klare Forderungen an die Politik
RAVENSBURG - Die Worte, die Volkmar Denner wählt, sind so staatstragend wie der Ton, den er anschlägt. „Wir befinden uns in einem Ausnahmezustand“, sagt der Bosch-Chef, als er in der Zentrale des Technologiekonzerns in Renningen bei Stuttgart am Mittwoch vor die Kamera tritt. Es ist der allererste Satz in den Ausführungen des 63-Jährigen über die Lage des baden-württembergischen Traditionskonzerns. Denner wählt seine Worte sorgfältig, kein Lächeln. Der Grund für die Ernsthaftigkeit ist derselbe wie der dafür, dass der Manager mit seinen Vorstandskollegen bei der Bilanzpressekonferenz allein auf der Bühne in der Konzernzentrale in Renningen steht und über die Computerbildschirme von Analysten und Journalisten in 19 Ländern flimmert: die weltweite Corona-Pandemie.
Die Verbreitung der gefährlichen Viren und die Ausbreitung der durch sie ausgelösten Krankheit Covid-19 gefährdet Gesundheit und Wohlstand überall auf der Welt, daran lässt Volkmar Denner keine Zweifel. Corona stelle wirtschaftliche Existenzen infrage und berühre das soziale und politische Leben insgesamt. Die Schlussfolgerungen, die der Bosch-Chef zieht, sind dann auch grundsätzlicher Art. Und nicht von den Geschäftszahlen zu trennen, die Denner und sein Finanzchef Stefan Asenkerschbaumer für das Geschäftsjahr 2019 verkünden. Denn die Krise trifft auch Bosch massiv: Dementsprechend schlecht sind die
Aussichten – und die waren nach dem schlechten Jahr 2019 ohnehin nicht gut.
Der Konzern rechnet mit einer tiefen, weltweiten Rezession. „Das tatsächliche Ausmaß des Rückgangs der Wirtschaftsleistung lässt sich erst ansatzweise abschätzen“, sagte Asenkerschbaumer. „Wir gehen davon aus, dass der Rückgang deutlich stärker ausfallen wird als in der Rezession 2009 mit rund 1,5 Prozent.“Bosch gibt aus diesem Grund keine Zielprognose für die Geschäftsentwicklung im Jahr 2020 aus. Klar sei aber eines: „Es bedarf größter Anstrengungen, um zumindest ein ausgeglichenes Ergebnis zu erreichen.“Sollten die Anstrengungen nicht ausreichen, wäre es nach dem Rekordverlust 2009 das zweite Verlustjahr des Stiftungskonzerns seit 1945. Vor allem im Automobilbereich geht Bosch von einem Minus von mindestens 20 Prozent aus.
Konzernweit hatten fast 100 Werke von Bosch ihre Produktion eingestellt, im Moment sind es noch 63, davon 22 in Europa. Im April seien nach Angaben von Arbeitsdirektor Christoph Kübel rund 20 Prozent der Beschäftigten in Kurzarbeit gewesen, im Mai werde es voraussichtlich ähnlich aussehen. Auch im Hinblick auf die Gesamtzahl der Beschäftigten plane Bosch „im Laufe des Jahres Anpassungen“, erklärte Kübel weiter. „Wie groß der Rückgang der Stellen sein wird, kann ich nicht sagen, da fahren wir auf Sicht.“
Die düsteren Aussichten gründen sich auf die Geschäfte seit Ausbruch der Corona-Pandemie. Insgesamt gingen nach Angaben von Asenkerschbaumer die Umsätze in der Bosch-Gruppe allein im März im Vergleich zum Vorjahr um 17 Prozent zurück, die Automobilsparte des Konzerns verzeichnete sogar Umsatzrückgänge von 19 Prozent. Dabei ist bereits das vergangene Jahr aufgrund der schwachen weltweiten Konjunktur für Bosch nicht sehr erfolgreich gewesen. Der Umsatz sank insgesamt um ein Prozent auf 77,7 Milliarden Euro. Mit knapp 400 000 Mitarbeitern erwirtschaftete der Konzern einen operativen Gewinn von 3,3 Milliarden Euro, das ist ein Minus von 40 Prozent. Die Umsatzrendite sank um 2,8 Prozentpunkte auf 4,2 Prozent. „Unser Ziel ist die mittelfristige Rückkehr zur einer operativen Rendite von rund sieben Prozent“, sagte Asenkerschbaumer. Was das mittelfristig bedeute, sei allerdings in diesen Zeiten unseriös vorherzusagen.
Unseriös und falsch sei allerdings aus Sicht von Bosch-Chef Denner auch die „reflexartig verkürzte Debatte“über die Globalisierung – „als wäre die heutige Intensität der weltwirtschaftlichen Verflechtung die eigentliche Ursache der Pandemie.“Natürlich sei es notwendig, kritische Abhängigkeiten in der Zulieferkette zu überdenken, aber „eine generelle Politik der Abschottung, wie sich manche Populisten wünschen, kann nicht die Lösung sein“, erklärte Denner. „Noch größere Wohlstandsverluste, als sie uns mit der Pandemie ohnehin drohen, wären die Folge.“
Wer hinter die Globalisierung zurück wolle, „stellt die Existenz und das Selbstverständnis von Unternehmen wie Bosch infrage.“
Mit Blick auf Maßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen, Ladenund Werksschließungen, an denen sich angesichts des Ernsts der Lage jede Kritik verbiete, nannte Denner „die Rückkehr in den Normalzustand zu gegebener Zeit“zwingend. Man dürfe die populistische Versuchung in manchen Ländern nicht unterschätzen, die sich den demokratischen Staat stärker und autoritärer wünschen. „Vom derzeitigen Ausnahmezustand darf kein Stück Überregulierung und schon gar nicht Unfreiheit zurückbleiben.“
Vor allem erfordere die Rückkehr in den Normalzustand eine sehr anspruchvolle Abwägung: Es ging um den Schutz menschlichen Lebens einerseits und die Begrenzung wirtschaftlichen und sozialen Lebens andererseits. „Keiner sollte glauben, das sei bloß eine Abwägung von Leben gegen Geld“, erklärte der BoschChef. „Wenn eine anhaltende Rezession allzu viele Existenzen bedroht, dann droht auch gesellschaftlicher Unfrieden, der wiederum Wasser auf die Mühlen radikaler Kräfte wäre.“
Überlebenswichtig sei jedoch nicht nur der Kampf gegen die Pandemie, auch der Klimawandel stelle eine Bedrohung da. Doch diese Bedrohung sei gleichzeitig eine Chance, die der Bosch-Chef mit seinem Konzern nutzen will. Denner versteht die Erderwärmung als Herausforderung, auf die der Konzern offensiv antworte, „also nicht mit weniger, sondern mit mehr und vor allem mit neuer und intelligenter Technik“. Klimaschutzpolitik sollte sich nicht „bloß defensiv oder gar restriktiv“also als Verzichts- und Verbotspolitik verstehen. „Wir plädieren dafür, dass die Politik ehrgeizige Ziele vorgibt, dass sie die Wege dorthin aber der Kreativität der Industrie überlässt“, erklärte Denner.
Vor diesem Hintergrund müsse die Energiewende von einer Brennstoffwende begleitet werden. „Denn nicht jede Anwendung lässt sich elektrifizieren“, erklärte Denner. „Notwendig ist ein mutiger Einstieg in die Wasserstoff-Wirtschaft – und dieser Einstieg muss jetzt erfolgen, sonst wird Europa 2050 nicht klimaneutral werden.“Dazu sei eine steuerliche Förderung der WasserstoffProduktion, eine Förderung der Erforschung der industriellen Produktion von Wasserstoff und ein Ausbau der Wasserstoff-Infrastruktur nötig. „Klimaschutz kostet, aber Nichtstun wird teurer“, sagte Denner.
Genau das hat Bosch im vergangenen Jahr selbst erlebt. Vor einem Jahr kündigte das Unternehmen an, dass bis Ende 2020 alle Standorte klimaneutral arbeiten werden. „Diese Versprechen werden wir einlösen – als erstes globales Industrieunternehmen“, sagte Denner. „Und wir sind zuversichtlich, dass wir unseren ökologisch richtigen Weg auch ökonomisch durchhalten werden.“Und auch bei dieser Erfolgsmeldung kein Lächeln im Gesicht des Bosch-Chefs – zu ernst und zu wichtig das Thema.