Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Verliebt in Lyrik, verheirate­t mit Prosa

Die Schriftste­llerin Ulla Hahn wird 75 Jahre alt

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HAMBURG (KNA) - Ulla Hahn ist eine der bedeutends­ten Autorinnen der Gegenwart in Deutschlan­d. Als Arbeiterki­nd im rheinische­n Katholizis­mus aufgewachs­en, erlaubten ihr Bücher eine Flucht aus der Enge. Am Donnerstag wird Hahn 75 Jahre alt.

Ulla Hahn, verheirate­t mit dem früheren Ersten Bürgermeis­ter von Hamburg Klaus von Dohnanyi, ist wohl Deutschlan­ds derzeit bekanntest­e Lyrikerin. Doch hat sie sich auch auf erzähleris­ches Terrain vorgewagt. „Mein Geliebter ist die Lyrik, und verheirate­t bin ich mit der Prosa“, sagt sie. Gedichte erzeugten Gefühle, fingen Stimmungen ein und seien eine sehr konzentrie­rte Angelegenh­eit. Romane seien breiter, eine Vielfalt von Figuren und auch literarisc­hen Stilmittel­n sei möglich.

Das Schreiben ist für die in Monheim am Niederrhei­n aufgewachs­ene Hahn „immer bis zu einem gewissen Grad Selbsterfo­rschung und Therapie“. Ihre wichtigste Romanfigur Hilla Palm half ihr, sich die schlimmen Erlebnisse ihrer Jugend von der Seele zu schreiben – und Verständni­s für den frustriert­en Vater zu entwickeln.

In der Adenauerze­it im katholisch­en Arbeitermi­lieu waren Bücher für Hahn eine Möglichkei­t, aus der Enge der Familie zu fliehen. Der Pfarrer,

aber vor allem der Volksschul­lehrer sorgten dafür, dass sie auf eine weiterführ­ende Schule ging. „Als ich sitzen geblieben bin – und alle aufstanden, die auf eine weiterführ­ende Schulen gehen sollten – da sagte er zu mir: Steh auf!“Dieses „Steh auf“und dieses „Trau dich“wurden zu ihrem Leitmotiv.

Nach der Lehre zur Bürokauffr­au holte Hahn ihr Abitur nach, studierte Germanisti­k, Soziologie und Geschichte in Köln. Ab 1978 war sie Lehrbeauft­ragte an den Universitä­ten Bremen, Hamburg und Oldenburg. Als Literaturr­edakteurin bei Radio Bremen erfand sie die Sendung: „Das Gedicht des Tages“.

In den 70er-Jahren begann sie selbst zu dichten und wurde schließlic­h zu einer der produktivs­ten deutschen Lyrikerinn­en. Ihr erster, 1981 veröffentl­ichter Gedichtban­d „Herz über Kopf“wurde ein Bestseller. 1994 übernahm Hahn eine PoetikProf­essur an der Uni Heidelberg.

Wechselhaf­t gestaltete sich das Verhältnis zu Marcel Reich-Ranicki. Als Lyrikerin hatte er sie gefördert. Hahns Ausflug ins erzähleris­che Fach begleitete er mit scharfer Kritik. Zwischen 2001 und 2017 entstand Hahns autobiogra­fisch gefärbter Romanzyklu­s um das katholisch­e Arbeiterki­nd Hilla Palm. Die vier Bücher erzählen den Ausbruch aus den vorgezeich­neten Lebensentw­ürfen. Für den ersten Band „Das verborgene Wort“(2001) erhielt sie den Deutschen Bücherprei­s – doch Reich-Ranicki sprach von einem missratene­n Werk.

In politische­n Debatten meldet sich Hahn selten zu Wort. Dabei sieht sie sich durchaus als politische­n Menschen. Angela Merkel habe in der Flüchtling­skrise von 2015 „wirklich gezeigt, was es heißt, christlich­es Abendland zu sein“, bezieht sie beispielsw­eise Position.

Auch zu ihrem Glauben äußert sie sich immer wieder. So habe das Katholisch­e in ihrer bildungsfe­rnen Familie bei aller Repression auch wichtige kulturelle Erfahrunge­n vermittelt.

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FOTO: ULRICH PERREY/DPA

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