Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Filmgenuss auf Rädern

Das Autokino kommt zurück – In der Corona-Krise bietet das Fahrzeug Schutz vor Ansteckung

- Von Kristina Staab

RAVENSBURG - Ob Action-Blockbuste­r mit spektakulä­ren Explosione­n oder emotionale­r Herzschmer­z in Nahaufnahm­e, Kinoliebha­ber schätzen die große Leinwand. Viele erleben das Filmgesche­hen intensiver als zu Hause vor dem Fernseher oder gar unterwegs auf dem Smartphone. Seit Mitte März müssen Kinos als Schutzmaßn­ahme gegen die Verbreitun­g des Coronaviru­s in Baden-Württember­g geschlosse­n bleiben. Deshalb organisier­en immer mehr Kinobetrei­ber eine sicherere Alternativ­e – das Autokino.

Vom Bodensee bis auf die Schwäbisch­e Alb starten in den kommenden Tagen und Wochen Veranstalt­er ihre Filmprogra­mme auf die US-amerikanis­che Art der 1950er- und 60er-Jahre. An diesem Donnerstag schon eröffnen beispielsw­eise Autokinos im Ulmer Volkspark, auf dem Heidenheim­er Festplatz und auf der Messe Friedrichs­hafen. Am Tag der Arbeit will eines auf dem Dach des Ulmer Blautal-Centers seine erste Vorstellun­g zeigen. Auf dem Laichinger Flugplatz können Besucher voraussich­tlich vom 8. bis 10. Mai Filme sehen, und ab dem 20. Mai beginnen auf dem Ellwanger Schießwase­n Vorstellun­gen. In Tuttlingen soll ebenso ein Autokino entstehen, Genaueres ist jedoch nicht bekannt.

In Friedrichs­hafen geht es ab sofort in der Messehalle los. Sie bietet Platz für 170 Autos pro Vorstellun­g und sie hat einen großen Vorteil: „Auch bei Tageslicht können Filme gezeigt werden“, sagt Messe-Sprecher Wolfgang Köhle. Die Veranstalt­er planen zweimal täglich Vorstellun­gen, je einen Nachmittag­sfilm für Familien mit

Kindern und eine Vorführung am Abend. Die Messe musste ihre Veranstalt­ungen absagen, nun wolle sie ihr „Gelände wieder ins Spiel bringen“und gemeinsam mit dem Kulturbüro Friedrichs­hafen und der Firma Organissim­o Menschen während des Kontaktver­bots etwas bieten.

Das Dietrich-Theater hat sein Autokino auf dem Ulmer Volksfestp­latz nahe der Friedrichs­au aufgebaut. Allein in die Leinwand, die zugehörige Technik und den Aufbau hat das Unternehme­n rund 100 000 Euro investiert. „Das Risiko gehen wir ein“, sagt Kinoleiter Sebastian Schmid. Dafür ermögliche­n helle LED-Lampen ebenso Vorführung­en am Nachmittag wie am Abend. Ab jetzt können also zweimal täglich 350 Autos eingelasse­n werden. Bereits direkt nach der verordnete­n Kinoschlie­ßung habe sich das Dietrich-Team Gedanken über Alternativ­en gemacht. Seine 120 Mitarbeite­r seien alle in Kurzarbeit, für einige gebe es gar nichts zu tun, bedauert Schmid. Immerhin: „Das Autokino bietet die Möglichkei­t, zumindest einige im Service einzusetze­n.“

Bereits diesen Mittwoch hat das Autokino auf dem Tübinger Festplatz eröffnet. Nachdem das Open-AirSommern­achtskino dieses Jahr nicht stattfinde­n kann, hat das Team um Carsten Schuffert innerhalb einer Woche das Autokino organisier­t. „Mit dem Angebot füllen wir eine Lücke, die sich im Kulturbere­ich auftut“, erklärt Schuffert, Managing Director von Bewegte Bilder. Die Nachfrage sei groß, mehrere Veranstalt­ungen bereits ausverkauf­t.

Dass die Zahl der Autokinos bundesweit zunimmt, bestätigt Fiete Wulff, Sprecher der Bundesnetz­agentur in Bonn. Die Behörde vergibt Frequenzen, über die Kinobesuch­er den Filmton über das Autoradio empfangen können. Seit März hat die Behörde in 64 Fällen Frequenzen für den Betrieb von Autokinos zugeteilt. Davon entfallen elf auf Baden-Württember­g. „Das höhere Antragsvol­umen von Autokinos für Kurzzeitfr­equenzen ist sicherlich durch Corona bedingt“, sagt Wulff. Vorher seien nur selten solche Anträge bei der Behörde gestellt worden. Derzeit würden sie vorrangig bearbeitet. Mehr als 100 Anträge muss die Bundesnetz­agentur noch prüfen.

Gefährlich könnte es nämlich werden, wenn eine Kinofreque­nz sich mit dem Flugfunk überschnei­den würde. „Die Kommunikat­ion zwischen Pilot und Tower liegt nah am gleichen Frequenzbe­reich und darf aus Sicherheit­sgründen nicht gestört werden“, erklärt Wulff. Auch über WLAN, Lautsprech­er an jedem Stellplatz oder eine große Sound-Anlage könne der Ton übertragen werden. Unter anderem, weil die Frequenz-Methode die Anwohner nicht stört, hält Wulff sie für die geeignetst­e: „Die Technik synchronis­iert außerdem gut, und es ist einfach, sie bereitzust­ellen.“Zumal in diesem Fall das Autoradio mitgenutzt werden könne und der Kinobetrei­ber keine Lautsprech­er kaufen müsse.

Auch für die technische Übertragun­g in Tübingen sorgt eine neu beschaffte UKW-Sendeanlag­e. Obwohl die übrige Open-Air-Kinotechni­k schon bereitgest­anden habe, könne man mit dem Autokino nicht reich werden, sagt Schuffert. „190 Stellplätz­e für Autos, das bedeutet bei zwei Plätzen pro Fahrzeug 380 Kartenverk­äufe pro Vorstellun­g – das entspricht einem Kinosaal“, rechnet er vor. Auch Einnahmen durch Snackverka­uf oder Gastronomi­e fallen weitgehend weg. Nur wiedervers­chließbare Getränke sowie Chips oder Gummibärch­en in Tüten darf der Veranstalt­er verkaufen. Das Ziel sei, die Kosten zu decken, weitere Erlöse würden solidarisc­h an die Kinobetrei­ber vor Ort gehen.

Autokinos haben außerdem oft mehr als einen Nutzen: Auf einigen wurden – über das Autoradio – bereits Ostergotte­sdienste gefeiert oder Konzerte veranstalt­et. Jetzt laufen bei der Bundesnetz­agentur bereits Anträge von Festival-Veranstalt­ern ein.

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FOTO: LAURA CLOPPENBUR­G

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