Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Wie bleiben wir miteinander verbunden?
Eine kleine Kuscheltierrobbe – dafür haben wir uns entschieden. Wir, das waren meine langjährige Brieffreundin Uli und ich. Wir waren beide vielleicht 13 und gemeinsam auf einer Sommerfreizeit an der Nordsee. Und dort kam uns die Idee, dass wir uns etwas Gleiches kaufen, als Zeichen der Verbindung zwischen uns. Und die Entscheidung fiel auf zwei kleine weiße Kuscheltierrobben. Fast 30 Jahre ist das in der Zwischenzeit her. Die kleine Robbe hat mich, wie auch die regelmäßigen Briefe von Uli, durch meine Jugendzeit bis ins Erwachsenwerden begleitet.
Sicher haben viele von Ihnen auch solche Gegenstände: Fotos, gemalte Bilder, Freundschaftsbänder, Kettchen und Ringe – vieles besitzen wir, weil es uns mit anderen Menschen verbindet.
Denn nicht immer können wir den Menschen, die uns wichtig sind, so nahe sein, wie wir gerne wären.
Gerade in diesen Wochen erleben wir das ja ganz besonders schmerzlich. Gerade jetzt stellt sich die Frage: Wie bleiben wir verbunden miteinander, wenn wir uns nicht besuchen, nicht sehen können?
Um diese Frage geht es auch im heutigen Predigttext (Joh 15,1-8). Jesus spricht vor seinem Tod mit seinen Jüngern über die enge Verbindung, die er mit ihnen hat: Wie der Weinstock mit seinen Reben verbunden ist, so sind wir Menschen mit ihm verbunden.
Das ist eine sehr enge Beziehung, die da beschrieben wird: Die Reben sind ohne den Weinstock gar nicht lebensfähig. Und der Weinstock gibt den Reben: Wasser, Nährstoffe, Energie – damit sie sich entfalten können und Frucht bringen.
Ich versuche, diese Worte zu verstehen in einer Zeit, in der wir uns nach Gemeinschaft sehnen und auch nach Normalität. Die vergangenen Wochen waren für viele hart: Die einen sind abends nur noch kaputt, manche gehen sich zuhause so richtig auf den Geist, und andere sind seit Wochen allein. Woher kommt die Kraft, das auszuhalten und nicht zu verzweifeln?
Das Bild vom Weinstock und den Reben sagt ganz deutlich: Wir müssen die Kraft nicht aus uns selbst heraus aufbringen. Sondern sie durchströmt uns – von Jesus Christus her.
Es ist noch nicht so lange her, dass ich mit einer Frau gesprochen habe, die schon länger einen schweren Schicksalsschlag hinter sich hat. Ich hatte eigentlich erwartet, dass sie mit Gott hadert. Aber im Gegenteil. Sie hat gesagt: „Ohne Gottes Hilfe hätte ich es gar nicht geschafft, das durchzustehen.“Die Rebe bekommt vom Weinstock, was sie zum Leben braucht. Auch, was sie braucht, um gut durch Dürrezeiten und kalte Nächte zu kommen.
Wer sich im Glauben an Jesus Christus fest macht, darf Not und Unsicherheit auch abgeben – und dafür darauf vertrauen, dass es ein Leben nach der Krise gibt.
So sind wir mit Jesus Christus verbunden und durch ihn aber auch als Menschen miteinander. Gerade auch in diesen Zeiten, im social distancing. Jesus ist als Weinstock sozusagen die Mitte. Ich finde das ein schönes Bild: Die Reben sind zugleich Teile des Weinstockes. Und gleichzeitig ist der Weinstock mehr als die Summe seiner Teile: Nur die enge Verbindung von Weinstock und Reben schenkt Leben, Sinn und Frucht.
Und diese lebenspendenden Verbindungen bleiben – auch durch Krisenzeiten hindurch. Weil sie tiefer gegründet sind, nämlich in Gott selbst.
Gott ist der Weingärtner rund um den Weinstock Jesu. Er sorgt dafür, dass der Weinstock gut gedeiht. Die Reben sollen Frucht bringen. Aber Gott weiß – wie jeder Gärtner auch – dass das manchmal einen langen Atem erfordert.
Doch Frucht entsteht auch in den Krisentagen. Ich finde das Bild vom Weinstock und den Reben auch deshalb passend, weil es ein ganz lebendiges Bild ist. Viel Kreativität erleben wir in diesen Tagen. Die Kindergartenkinder bei uns im Ort, die bekommen regelmäßig eine kleine Videobotschaft von ihren Erzieherinnen aufs Handy der Eltern, zum Beispiel mit einer Geschichte oder einer kleinen Aufgabe. Damit die Kleinen merken: Die hat mich nicht vergessen, meine Erzieherin.
Aber es entstehen auch neue Formen der Nähe: mit Regenbogenbildern an den Fenstern. Mit einem handgeschriebenen Brief. Beim Seniorennachmittag für Zuhause und beim sonntäglichen Ständle des Musikvereins vom Musikerbänkle.
„Ohne mich könnt ihr nichts tun“, sagt Jesus. Das heißt doch: In der Verbindung mit Jesus sind wir auch mit denen verbunden, die wir vermissen in diesen Tagen.
Wenn wir miteinander telefonieren, skypen, Briefe schreiben, die gleiche Musik an verschiedenen Orten hören, aneinander denken – dann können wir das in dem Wissen tun, dass wir alle von Gott gehalten sind.
Und die Gemeinschaft mit Gott: Die ist immer eine Gemeinschaft der Hoffnung. Angelegt auf Zukunft, auf Wachstum, auf Neubeginn. So wie wir es in jedem Frühjahr – nicht nur an den Weinstöcken – in der Natur erleben können.
Und mancher Kontakt ist erst durch die aktuelle Krise wiederbelebt worden: Meine damalige Brieffreundin Uli lebt heute in Hamburg. Wir haben Familien und unseren Alltag. Zum Briefe schreiben bleibt da keine Zeit mehr. Und die kleine Kuschelrobbe ist wahrscheinlich in einer der Kisten, die bei meinen Eltern auf dem Dachboden stehen.
Aber neulich kam ein WhatsApp aus dem hohen Norden. Uli schreibt: „Hallo Annedore! Wie geht es euch denn in der Krise? Bleibt bitte alle gesund! Liebe Grüße!“
Amen