Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
„Das sind unhaltbare Zustände“
Ulms Geschäftsführer Andreas Oettel über finanzielle Sorgen und eine Aussage, die er nicht mehr hören kann
ULM - Während im Volleyball, Eishockey und Handball die Spielzeiten abgebrochen wurden, hoffen die Basketballer, ihre Bundesligasaison zu Ende spielen zu können. Zehn Mannschaften wollen an einem Playoff-Turnier an einem Standort teilnehmen. Thorsten Kern hat mit Andreas Oettel, dem Geschäftsführer von Ratiopharm Ulm, über die schwere Zeit in der Corona-Krise und die Auswirkungen auf die Zukunft gesprochen.
Herr Oettel, sind Sie mehr Manager oder Krisenmanager?
Eindeutig Krisenmanager.
Das ist eine Arbeit, auf die Sie wahrscheinlich gerne komplett verzichten würden, oder?
Sie sehen, dass ich noch ein bisschen Humor habe und noch lächeln kann. Aber ich könnte sehr gerne darauf verzichten, auch wenn es eine spannende Erfahrung ist. Man lernt unglaublich viel, aber es gibt Dinge, die man nicht unbedingt lernen muss.
Da geht es vor allem um Dinge wie Kurzarbeit, modifizierte Verträge und Ähnliches?
Genau. Man gewinnt in der Krise etwas Zeit. Früher war man häufiger unterwegs, heute gibt es Videokonferenzen. Das spart Zeit. Die könnte man produktiv für die Zukunft einsetzen. Aber das geht leider nicht. Ich arbeite gerade zeitlich gesehen mehr als vor der Krise, um Dinge zu machen, von denen ich bislang keine Ahnung hatte. Anträge stellen, Personalgespräche führen, mich in juristische Dinge einarbeiten, von denen man nicht mal weiß, ob es sie in vier Wochen so überhaupt noch gibt.
Sie sagen, Ratiopharm Ulm ist noch liquide. Wie lange könnte man diesen Zustand ohne Zuschauer aufrechterhalten?
Dass wir noch liquide sind, liegt auch daran, dass die Saison schon weit fortgeschritten war. Im Sport haben wir viele Zahlungen, die nicht monatlich kommen, sondern schon am Anfang der Saison kamen. Wir haben eine hohe Aboquote, wir sind nicht so stark von den Tagestickets abhängig wie andere Standorte. Dazu sind wir im Sponsorenbereich gut aufgestellt. Wenn wir aber viel zurückerstatten müssen und Regressforderungen bekommen, sieht es ernst aus. Das ist das Trügerische: Man kann nicht absehen, ob es so kommen wird. Wir können nicht erwarsitzen. ten, dass Fans über lange Sicht uns die Tickets schenken, auch wenn sie nicht zu den Spielen kommen dürfen. Es ist eine schwierige Situation, die kein Club überblicken kann. Spätestens, wenn wir alles zurückerstatten müssten, wären wir insolvent.
Wie sieht es denn konkret am Standort Ulm aus?
Ehrlicherweise schwingen wir – wie die meisten Clubs – in den Sphären herum, die Richtung Insolvenz gehen. Ich bin aber Daueroptimist, sonst wäre ich nicht Clubmanager geworden. Ich glaube, dass wir da durchkommen werden. Wir müssen aber unsere Kosten so schnell wie möglich an die neue Einnahmesituation anpassen. Alles auf null setzen können wir allerdings nicht. Der Leistungssport ist eine Veranstaltungsbranche, da droht ein Exitus. Ein FC Bayern München würde es vielleicht ein bisschen länger aushalten als andere, auf Dauer in dieser Situation könnte aber auch ein solch großer Club es nicht ausDann müssten wir von einer Etatreduzierung von mindestens 50 Prozent ausgehen. Wir agieren sehr vorsichtig und sind schlank aufgestellt. Wir überleben schon ein paar Monate. Wenn es hart auf hart kommt, wäre aber die halbe deutsche Sportlandschaft weg.
Blicken Sie manchmal etwas neidisch auf den Profifußball, wo die Geisterspiele kurz bevorstehen und die Profis wieder in Kleingruppen trainieren dürfen?
Neidisch nicht, aber es ist beeindruckend zu sehen, wie stark Lobbyarbeit sein kann. Bei uns geht es nicht um so viele Millionen wie im Fußball, aber auch wir haben das Recht, unserem Beruf nachgehen zu können. Das Schlimmste für mich ist zu hören, wir seien nicht relevant. Das würde ja heißen: Wenn wir nicht da wären, wäre das auch nicht schlimm. Die Großen bekommen die Genehmigung, während wir quasi ein Berufsverbot haben. Wir dürfen nicht in die Trainingshalle, die für Profizwecke angemietet wurde, nicht für Schul- oder Vereinszwecke. Meine Profisportler dürfen nicht mal draußen auf einen Korb werfen. Das sind unhaltbare Zustände und ist für mich indiskutabel. Deswegen haben wir als Liga auch gesagt: Wir wollen spielen und unseren Beruf ausüben. Das muss mit entsprechenden Maßnahmen und Sicherheitsvorkehrungen möglich sein. Wenn wir im Juni dieses Turnier nicht spielen können, dann glaube ich auch nicht, dass wir ab September/Oktober in die neue Saison starten könnten.
Kommen wir zu diesem geplanten Play-off-Turnier: Wie war denn die Reaktion der Fans?
Da habe ich die ganze Bandbreite bekommen. Bei Social Media gab es anfangs Reaktionen nach dem Motto: Muss das sein? Andere haben geschrieben, sie würden sich freuen, dass am Wochenende mal wieder was live kommt, nicht aus der Konserve. Es gab viele positive Reaktionen, aber es hält sich die Waage mit negativen Reaktionen. Das sind aber wahrscheinlich eher Leute, die sich auch vorher nicht für den Sport interessiert haben. Die sagen: Macht lieber Schulen oder Spielplätze auf. Das kann ich absolut verstehen. Eine Aussage kann ich aber nicht hören.
Welche?
Dass wir durch Tests (sollte gespielt werden, müssen die Sportler vor und nach den Spielen auf das Coronavirus
getestet werden, Anm. der Red.) Ressourcen verbrauchen würden. Da würde ich mir wünschen, dass man sich davor ein bisschen schlau macht. Dann würde man nämlich schnell darauf kommen, dass wir, ähnlich wie die DFL im Fußball, niemandem Tests wegnehmen. Das sagt übrigens auch das Bundesministerium für Arbeitsschutz.
Noch ein Blick in die Glaskugel: Können Sie ruhigen Gewissens eine Budget- und Kaderplanung für die neue Saison machen?
Nein! Ruhigen Gewissens grundsätzlich nicht, weil im Sport ja immer eine große Schwankungsbreite da ist. Ich hab schon die Finanzkrise 2008 hinter mir, aber jetzt ist es wesentlich unkalkulierbarer geworden. Wir wissen nicht, wie es in drei Monaten oder drei Jahren aussieht. Und das meine ich so ernst, wie ich es sage. Da bin ich einfach realistisch. Im Spielermarkt müssen sich die Preise auch erst wieder einpendeln. Ein guter Vergleich ist der Ölpreis. Für die Profisportler ist es superhart, aber sie müssen akzeptieren, dass sie geringere Gehälter hinnehmen müssen, solange wir in einer Wirtschaftskrise sind und ohne Zuschauer spielen müssen. Da fehlen dann Minimum 25 Prozent, realistisch eher 50 Prozent der Einnahmen.
Wie zuversichtlich sind Sie denn, dass die Ulmer Identifikationsfigur Per Günther doch noch ein Jahr dranhängt? Er hatte schon mit seinem Karriereende kokettiert.
Kurz vor der Krise lief es bei ihm wieder sehr gut, auch gesundheitlich. Jetzt kam die Krise und er ist noch mal Vater geworden. Aber ich bin guter Dinge, dass wir Per noch spielen sehen werden. Er ist zu unserem Gesicht geworden. Solch ein Franchisespieler ist ein Segen für einen Club. In Oldenburg gibt es Rickey Paulding, sonst sehe ich außer Per keinen in der Liga. Ich fände es cool, wenn er weitermachen würde.