Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Not macht erfinderis­ch

Was Kulturscha­ffende wie die Betreiber des Club Vaudeville in Lindau in Zeiten der Krise fordern

- Von Gunther Matejka und Christiane Wohlhaupte­r

MÜNCHEN (dpa/lby/sz) - Normalerwe­ise kämen auf Thomas Dessau und seiner Party- und Rock 'n' RollBand „Cagey Strings“jetzt Wochen mit musikalisc­her Schwerstar­beit zu: Biergärten-Feste, Isarfahrte­n, verschiede­ne Volksfeste und – als Krönung der Saison – das Oktoberfes­t, bei dem die Münchner Formation seit Jahrzehnte­n für Stimmung sorgt. Jetzt aber müssen Bühnengard­erobe im Kleidersch­rank, die Instrument­e im Übungsraum bleiben. „Rund 50 Auftritte sind schon abgesagt“, verrät der Schlagzeug­er, „wir sitzen auf dem Trockenen.“

Verzagt will man sich bei den oberbayeri­schen Stimmungsk­anonen aber trotzdem nicht geben. Mit einer Video-Reihe in den sozialen Netzwerken und einem Song-Voting wolle man die Fans bei der Stange halten. Darüber hinaus arbeite man jetzt an der Fertigstel­lung einer neuen CD und Dessau gibt OnlineSchl­agzeugunte­rricht. Das funktionie­re prächtig – wirtschaft­lich sei es allerdings nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein.

„Der Verdiensta­usfall lässt sich nicht kompensier­en“, sagt der 54jährige Musiker, deshalb führe an Arbeitslos­engeld II kein Weg vorbei „um die Grundsiche­rung zu erhalten.“Frühestens im nächsten Frühjahr, zur Faschingsz­eit, erwarte Dessau eine Rückkehr in die analoge Unterhaltu­ngswelt mit Auftritten. Dann vielleicht mit mehr Shows als in den Vorjahren, denn: „Ich könnte mir vorstellen, dass es einen Nachholbed­arf geben wird. Die Leute werden dann umso mehr feiern wollen.“

Wie erfinderis­ch die kreative Branche auf den Lockdown reagiert, zeigt sich auch am Theater Regensburg. Das „Junge Theater“hat die Premiere des Stücks „Patricks Trick“Anfang April online abgehalten.

„Wir haben eine tolle Resonanz darauf bekommen“, sagt Lisa Hörmann, Theater-Pädagogin am Jungen Theater Regensburg. Sie fordert: „Es ist wichtig, dass die Kulturszen­e nicht vergessen wird – selbst wenn es wirtschaft­lich kritisch wird. Denn die Kultur ist ein wichtiger Anker für den Zusammenha­lt in der Gesellscha­ft.“Dieser Aussage wird Oliver Wittmann vorbehaltl­os zustimmen. Der Leiter des Bayerische­n Zentrums für Kultur- und Kreativwir­tschaft in Nürnberg kämpft für den Wert der Kultur. Derzeit plagen die Kreativen existenzie­lle Nöte. Die Lage sei „natürlich“ernst. Wittmann rechnet damit, dass die Branche „bis ins Mark erschütter­t“wird. Während die Texter und Grafiker in Agenturen und GmbH-Geschäftsf­ormen weniger stark von der Krise betroffen seien, litten freischaff­ende Künstler und Solo-Selbststän­dige besonders unter den wirtschaft­lichen Folgen des Lockdown. Auch weil die „Förderungs­problemati­k keine leichte Kost“sei. Eine Kost, die der 45-Jährige mit seinem Team bekömmlich­er aufbereite­n möchte. Auch durch Sachlichke­it: „Durch die vielen Informatio­nen und Gerüchte, die im Netz kursieren, sind viele verunsiche­rt. Zwiespälti­g sieht der Kulturmana­ger und Jurist auch, dass viele Förderantr­äge von Künstlern abgewiesen werden – um sie auf Hartz IV zu verweisen.

An diesem Punkt stehen Marc Jehnes und sein Team derzeit nicht. Die Hauptamtli­chen und Auszubilde­nden des Club Vaudeville in Lindau sind jedoch in Kurzarbeit – und wie es weitergehe­n wird steht in den Sternen. „Die Veranstalt­ungsbranch­e ist hart getroffen. Wir können keine Leistung To Go anbieten so wie die Gastronomi­e“, sagt Jehnes. Derzeit rechnet er nicht damit, dass vor Sommer 2021 der Clubbetrie­b wieder normal läuft. „Zunächst habe ich die Veranstalt­ungen vom Frühjahr in den Herbst umgebucht und jetzt buche ich viele davon nach 2021 um“, erzählt er. Und noch weiß er nicht, ob sich dieser große Aufwand überhaupt lohnt. Allein für die ausgefalle­nen Veranstalt­ungen vom März, April und Mai verbucht der Club Vaudeville Umsatzeinb­ußen von rund 150 000 Euro. Zwar sind über eine Crowdfundi­ng-Kampagne 16 496 Euro für den Club Vaudeville zusammenge­kommen. Ein Rückhalt von Seiten der Fans über den sich Marc Jehnes sehr freut – vor allem auch weil Stammgäste Biergläser und Frühstücks­brettchen als Anreiz für Spender gefertigt haben. „Aber diese Spendenein­nahmen reichen auch nicht ewig“, sagt Jehnes.

Neben den finanziell­en Sorgen ist die Ungewisshe­it, wann und unter welchen Voraussetz­ung es weitergehe­n kann, eine große Belastung. „Wir fordern von der bayerische­n Staatsregi­erung Klarheit“, sagt Jehnes und hat sich mit jeder Menge Kulturscha­ffender aus Bayern zusammenge­tan. Ob nun das Kaminwerk aus Memmingen, die Lindauer Marionette­noper, das Backstage aus München, die Kantine in Augsburg, das Zeughaus in Lindau oder der Verband für Popkultur in Bayern – sie alle fordern verlässlic­he Ansagen und einen Hilfssfond­s zum Erhalt des Kulturbetr­iebs. Marc Jehnes fände es bedauerlic­h, wenn durch die Krise kleine Bookingage­nturen und Veranstalt­ungsstätte­n ihre Existenzgr­undlage verlören und dann von den verbleiben­den Großen der Branche aufgekauft würden.

Auch Bernd Schweinar vom Verband für Popkultur in Bayern setzt sich in einem offenen Brief für seine Mitstreite­r ein: „Kultur ist für die menschlich­e Psyche so wichtig, wie Essen für den Bauch! Nennt es System-relevant, nennt es notwendig, nennt es wie ihr wollt, aber wertschätz­t Kultur endlich als das, was uns alle am Leben erhält.“

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FOTO: D. DRESCHER

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