Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Not macht erfinderisch
Was Kulturschaffende wie die Betreiber des Club Vaudeville in Lindau in Zeiten der Krise fordern
MÜNCHEN (dpa/lby/sz) - Normalerweise kämen auf Thomas Dessau und seiner Party- und Rock 'n' RollBand „Cagey Strings“jetzt Wochen mit musikalischer Schwerstarbeit zu: Biergärten-Feste, Isarfahrten, verschiedene Volksfeste und – als Krönung der Saison – das Oktoberfest, bei dem die Münchner Formation seit Jahrzehnten für Stimmung sorgt. Jetzt aber müssen Bühnengarderobe im Kleiderschrank, die Instrumente im Übungsraum bleiben. „Rund 50 Auftritte sind schon abgesagt“, verrät der Schlagzeuger, „wir sitzen auf dem Trockenen.“
Verzagt will man sich bei den oberbayerischen Stimmungskanonen aber trotzdem nicht geben. Mit einer Video-Reihe in den sozialen Netzwerken und einem Song-Voting wolle man die Fans bei der Stange halten. Darüber hinaus arbeite man jetzt an der Fertigstellung einer neuen CD und Dessau gibt OnlineSchlagzeugunterricht. Das funktioniere prächtig – wirtschaftlich sei es allerdings nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein.
„Der Verdienstausfall lässt sich nicht kompensieren“, sagt der 54jährige Musiker, deshalb führe an Arbeitslosengeld II kein Weg vorbei „um die Grundsicherung zu erhalten.“Frühestens im nächsten Frühjahr, zur Faschingszeit, erwarte Dessau eine Rückkehr in die analoge Unterhaltungswelt mit Auftritten. Dann vielleicht mit mehr Shows als in den Vorjahren, denn: „Ich könnte mir vorstellen, dass es einen Nachholbedarf geben wird. Die Leute werden dann umso mehr feiern wollen.“
Wie erfinderisch die kreative Branche auf den Lockdown reagiert, zeigt sich auch am Theater Regensburg. Das „Junge Theater“hat die Premiere des Stücks „Patricks Trick“Anfang April online abgehalten.
„Wir haben eine tolle Resonanz darauf bekommen“, sagt Lisa Hörmann, Theater-Pädagogin am Jungen Theater Regensburg. Sie fordert: „Es ist wichtig, dass die Kulturszene nicht vergessen wird – selbst wenn es wirtschaftlich kritisch wird. Denn die Kultur ist ein wichtiger Anker für den Zusammenhalt in der Gesellschaft.“Dieser Aussage wird Oliver Wittmann vorbehaltlos zustimmen. Der Leiter des Bayerischen Zentrums für Kultur- und Kreativwirtschaft in Nürnberg kämpft für den Wert der Kultur. Derzeit plagen die Kreativen existenzielle Nöte. Die Lage sei „natürlich“ernst. Wittmann rechnet damit, dass die Branche „bis ins Mark erschüttert“wird. Während die Texter und Grafiker in Agenturen und GmbH-Geschäftsformen weniger stark von der Krise betroffen seien, litten freischaffende Künstler und Solo-Selbstständige besonders unter den wirtschaftlichen Folgen des Lockdown. Auch weil die „Förderungsproblematik keine leichte Kost“sei. Eine Kost, die der 45-Jährige mit seinem Team bekömmlicher aufbereiten möchte. Auch durch Sachlichkeit: „Durch die vielen Informationen und Gerüchte, die im Netz kursieren, sind viele verunsichert. Zwiespältig sieht der Kulturmanager und Jurist auch, dass viele Förderanträge von Künstlern abgewiesen werden – um sie auf Hartz IV zu verweisen.
An diesem Punkt stehen Marc Jehnes und sein Team derzeit nicht. Die Hauptamtlichen und Auszubildenden des Club Vaudeville in Lindau sind jedoch in Kurzarbeit – und wie es weitergehen wird steht in den Sternen. „Die Veranstaltungsbranche ist hart getroffen. Wir können keine Leistung To Go anbieten so wie die Gastronomie“, sagt Jehnes. Derzeit rechnet er nicht damit, dass vor Sommer 2021 der Clubbetrieb wieder normal läuft. „Zunächst habe ich die Veranstaltungen vom Frühjahr in den Herbst umgebucht und jetzt buche ich viele davon nach 2021 um“, erzählt er. Und noch weiß er nicht, ob sich dieser große Aufwand überhaupt lohnt. Allein für die ausgefallenen Veranstaltungen vom März, April und Mai verbucht der Club Vaudeville Umsatzeinbußen von rund 150 000 Euro. Zwar sind über eine Crowdfunding-Kampagne 16 496 Euro für den Club Vaudeville zusammengekommen. Ein Rückhalt von Seiten der Fans über den sich Marc Jehnes sehr freut – vor allem auch weil Stammgäste Biergläser und Frühstücksbrettchen als Anreiz für Spender gefertigt haben. „Aber diese Spendeneinnahmen reichen auch nicht ewig“, sagt Jehnes.
Neben den finanziellen Sorgen ist die Ungewissheit, wann und unter welchen Voraussetzung es weitergehen kann, eine große Belastung. „Wir fordern von der bayerischen Staatsregierung Klarheit“, sagt Jehnes und hat sich mit jeder Menge Kulturschaffender aus Bayern zusammengetan. Ob nun das Kaminwerk aus Memmingen, die Lindauer Marionettenoper, das Backstage aus München, die Kantine in Augsburg, das Zeughaus in Lindau oder der Verband für Popkultur in Bayern – sie alle fordern verlässliche Ansagen und einen Hilfssfonds zum Erhalt des Kulturbetriebs. Marc Jehnes fände es bedauerlich, wenn durch die Krise kleine Bookingagenturen und Veranstaltungsstätten ihre Existenzgrundlage verlören und dann von den verbleibenden Großen der Branche aufgekauft würden.
Auch Bernd Schweinar vom Verband für Popkultur in Bayern setzt sich in einem offenen Brief für seine Mitstreiter ein: „Kultur ist für die menschliche Psyche so wichtig, wie Essen für den Bauch! Nennt es System-relevant, nennt es notwendig, nennt es wie ihr wollt, aber wertschätzt Kultur endlich als das, was uns alle am Leben erhält.“