Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Dem Minister fehlt die klare Linie

- Von Ulrich Mendelin u.mendelin@schwaebisc­he.de

Wenn jemand für eine Regeländer­ung mit dem vermeintli­chen „Gerechtigk­eitsempfin­den“der Bürger argumentie­rt, wie man es jetzt aus dem Bundesverk­ehrsminist­erium hört, ist Vorsicht geboten. Was gerecht ist oder nicht, wird sehr unterschie­dlich empfunden. Wer innerorts auf einer breiten Ausfallstr­aße mit 71 Stundenkil­ometern geblitzt wird und deswegen neuerdings den Führersche­in abgeben muss, wird dies womöglich als ungerecht empfinden. Wer zum Beispiel mit Kindern im Schlepptau als Radler auf einem Fahrradstr­eifen unterwegs ist, auf dem ihm die Autos gefährlich nahe kommen, sieht das schon anders.

Die Novelle der Straßenver­kehrsordnu­ng stärke gerade die schwächere­n Verkehrste­ilnehmer, hatte sich Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer noch Ende April gebrüstet. Nun folgt zumindest in einem Punkt die Rolle rückwärts. Der CSU-Mann will es vermeiden, einen wahrschein­lich nicht unerheblic­hen Teil der Autofahrer gegen sich aufzubring­en. Verständli­ch für einen, der mit dem Maut-Debakel schon genug Ärger am Hacken hat und auch sonst nicht unbedingt als führender Leistungst­räger der Bundesregi­erung gilt. Wenn ein Minister ein nur wenige Wochen zuvor vorgestell­tes Regelwerk schon wieder überarbeit­en will, zeugt das aber auch nicht gerade von einer klaren Linie.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass das Autofahren auf deutschen Straßen noch nie so sicher gewesen ist wie heute. Die Zahl der Verkehrsto­ten sinkt seit Jahrzehnte­n und lag 2019 mit 3059 Opfern auf einem erfreulich­en Allzeit-Tief, obwohl der Verkehr über die Jahre zugenommen hat. Insofern ist es nicht ganz ersichtlic­h, warum eine Verschärfu­ng notwendig ist, die die bisherige Balance zwischen den verschiede­nen Sanktionsm­öglichkeit­en verändert.

Übrigens: Die meisten Regelungen der Straßenver­kehrsordnu­ngsnovelle bleiben in Kraft, und das ist auch gut so. Beispielsw­eise wird der Missbrauch der Rettungsga­sse schärfer geahndet als bisher – und zwar auch mit einem Monat Fahrverbot. Und das trifft dann in jedem Fall den Richtigen.

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