Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Was von der Corona-Krise übrig bleiben wird
Die Krise ist bislang einzigartig – Um diese Ausnahmesituation zu dokumentieren, landet jetzt viel im Stadtarchiv
ULM - Die Einschnitte der CoronaKrise in beinahe allen Bereichen des Lebens sind „einmalig“, sagt Professor Dr. Michael Wettengel, Leiter des Ulmer Stadtarchivs. Um Ähnliches nicht nur in der Ulmer, sondern auch in der weltweiten Zeitgeschichte finden zu können, müsse man schon „ganz, ganz weit zurück“gehen, meint der Historiker.
So seien Pandemien wie etwa die Spanische Grippe nach dem Ersten Weltkrieg überschattet gewesen von den Auswirkungen des Krieges. Annähernd vergleichbar sei lediglich die Pest in den Jahren um 1700 herum. Doch damals habe es kaum Möglichkeiten solcher Quarantäne-Maßnahmen gegeben, wie sie heute umgesetzt werden können.
„Wir können froh und dankbar sein, dass wir ein so funktionierendes Gesundheitssystem haben“, sagt Wettengel. „Die Situation ist tatsächlich einmalig“. Und somit auch ein Fall für die Geschichtsbücher und das Ulmer Stadtarchiv.
Dort werden bereits Erinnerungen an die Corona-Zeit gesammelt. Dazu gehören zum Beispiel Unterlagen zu Entscheidungen aus dem Ulmer Rathaus. „Damit wir in ein paar Jahren nachvollziehen können, was warum wie geregelt wurde“, erklärt Wettengel.
Zudem würden auch Zeitungsartikel und sonstige Publikationen, die mit der Stadt Ulm zu tun haben, gesammelt und unter der Rubrik „Corona“abgelegt. Fotos wie beispielsweise von der leeren Hirschstraße oder dem leeren Münsterplatz sollen die Einschränkungen ebenfalls veranschaulichen und für die Nachwelt festgehalten werden.
Artefakte, also vom Menschen hergestellte Gegenstände, die für diese Zeit stehen, haben bislang noch nicht den Weg ins Archiv gefunden. Gut vorstellbar ist für Archivleiter Wettengel aber, dass eine dieser Ulm-Masken, wie sie Oberbürgermeister Gunter Czisch (CDU) beim Treffen der beiden Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) und Markus Söder (CSU) kürzlich in Ulm trug, dazukomme. „Da habe ich mich bis jetzt noch nicht getraut zu fragen“, sagt Wettengel mit einem Augenzwinkern. „Aber das würden wir sicherlich ablegen.“
Ein anderes mögliches Artefakt wäre auch ein Stuhl als Symbol für den Protest der Gastronomen auf dem Ulmer Münsterplatz, die bei der Aktion auf ihre prekäre Lage aufmerksam machen wollten. „Das war sehr eindrücklich“, so Wettengel. Ansonsten sei es schwierig, ein wirkliches Symbol der Corona-Zeit auszumachen. „Aber die Krise ist noch lange nicht vorbei“, prognostiziert der Historiker mit Blick auf die aktuelle Lage.
Wie lange das Ganze noch weitergehen wird, das könne er nicht sagen. Überhaupt sei die Krise schwer einschätzbar. Denn was Historiker sonst auszeichne, dass sie aus der Vergangenheit Rückschlüsse auf die Gegenwart oder gar die Zukunft ziehen können, sei gerade wegen der „einmaligen“Situation schwierig. „Es gibt keine Erfahrungsmuster.“
Doch etwas, so scheint es, will der Archivar den Menschen anhand des Wissens über vergangene Krisen der Menschheit dann doch noch mitgeben: Wichtig sei es, vorsichtig, aber nicht ängstlich zu agieren. „Wir müssen zuversichtlich an die Sache rangehen“, sagt er.