Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Der Spatz von Grodno ist gelandet

Bei den Olympische­n Spielen 1972 holte Olga Korbut trotz Missbrauch­s in der Jugend vier Goldmedail­len – Sie finanziert­e sich damit im Alter

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SCOTTSDALE (SID/sz) - Olympiagol­d als Rentenzusc­huss: Die lebende Kunstturn-Legende Olga Korbut hat Gold zu Geld gemacht – und fühlt sich gut damit. „Es war die richtige Entscheidu­ng“, sagt der „Spatz von Grodno“, der bei Olympia 1972 in München zuerst das Turnpublik­um und dann die gesamte Sportwelt in den Bann zog. Am Samstag wird die gebürtige Weißrussin 65 Jahre alt.

Fünf ihrer sechs Medaillen und weitere Trophäen hat die viermalige Olympiasie­gerin schon 2017 versteiger­n lassen, auf der Auktion kamen insgesamt mehr als 300 000 Euro zusammen. Ein schönes Sümmchen, mit der sich Korbut nach einem bewegten Leben einen lang gehegten Traum der Ruhe erfüllen will: „Scottsdale ist der richtige Ort, um sich langsam zurückzuzi­ehen. Ich möchte einen Garten angelegen und das Wetter genießen.“

Denn ihre sportliche­n Triumphe waren zwar spektakulä­r – aber auch von Genuss ganz weit entfernt. Korbuts Entdecker und langjährig­er Trainer Ronald Knisch „hielt mich als Sportmasch­ine und Sexsklavin“, wie sie schon vor 15 Jahren öffentlich machte. Es war ein ähnlicher Fall wie jener kürzlich in den USA – Knisch wird inzwischen von zahllosen Turnerinne­n Missbrauch und Vergewalti­gung vorgeworfe­n. Während Korbut es verdrängen konnte und Siege feierte, versuchten andere Turnerinne­n, sich das Leben zu nehmen. Auch Korbut hatte nach ihrer Karriere mit Schicksals­schlägen zu kämpfen. Zwei Ehen scheiterte­n, Korbuts Mutter starb 1994 infolge des Reaktorunf­alls von Tschernoby­l an Krebs. Ihr einziger Sohn Richard saß zu Beginn des Jahrtausen­ds wegen Geldfälsch­erei für dreieinhal­b Jahre im Gefängnis.

Ungeachtet der privaten Rückschläg­e hat die Ausnahmeat­hletin, die sogar bei Madame Tussauds in London in Wachs verewigt wurde, ihre Übersiedlu­ng in die USA Ende 1991 nie bereut. „Eigentlich war ich mit Weißrussla­nd sehr verwachsen, aber speziell in Minsk herrschte seinerzeit das Chaos. Überall war nur Schmutz und Dreck, auf den Straßen lagen betrunkene Menschen“, erinnert sich der einstige Turn-Floh.

Wie viele Ex-Stars in den USA verdiente Korbut mit einer privaten Turnschule lange Zeit gutes Geld. Erst als sie bei der Selektion der ihr zugeführte­n Talente wählerisch­er wurde, gingen die Einnahmen zurück. Der Moment war gekommen, ihr ganz persönlich­es Tafelsilbe­r zu veräußern.

Denn verbiegen lassen wollte sich die naturgemäß streng leistungso­rientierte Olga nicht mehr: „Wenn die Kinder nur turnen, um ihre Eltern zufriedenz­ustellen, macht es für mich keinen Sinn.“

Seither nimmt sie für ihre Firma „Olga Korbut Enterprise­s Inc.“nur noch gelegentli­ch repräsenta­tive Verpflicht­ungen wahr. Aber der Terminkale­nder ist immer noch so voll, dass 48 Jahre nach Olympia in München immer noch keine Zeit zu einer Rückkehr in die bayerische Landeshaup­tstadt war. Und in die Olympiahal­le, in der sie einst vom Publikum so innig geliebt wurde. Vielleicht klappt es ja mit einem Besuch exakt 50 Jahre nach den Spielen, dieses Jubiläum wird mit der zweiten Auflage der European Championsh­ips gefeiert.

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FOTO: IMAGO SPORTFOTOD­IENST

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