Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Digitaler Aufholbeda­rf in Rathäusern

Vielerorts sind Online-Behördengä­nge weiterhin kaum möglich – Das soll sich ändern

- Von Sebastian Heinrich

WEINGARTEN - Es gibt zwischenme­nschliche Kontakte, die vielen Menschen schmerzlic­h fehlen in der Coronaviru­s-Krise. Und es gibt Behördengä­nge. Viele Bürger wären froh darüber, wenn sie die Anmeldung des Pkw oder die Verlängeru­ng des Reisepasse­s von zu Hause oder von unterwegs aus erledigen könnten, am Computer oder dem Smartphone - und das auch in Zukunft, wenn der Publikumsv­erkehr in Rathäusern und Landratsäm­tern nicht mehr eingeschrä­nkt ist.

Das Problem: Für viele Bürger in Deutschlan­d bleibt es fast unmöglich, Behördengä­nge komplett digital zu erledigen. Mehrere Studien haben das in den vergangene­n Monaten zum wiederholt­en Mal belegt. Laut einer Umfrage für den im Oktober 2019 erschienen jüngsten „E-Government-Monitor“des Vereins Initiative D21 haben etwa nur sechs Prozent der Befragten ihren elektronis­chen Personalau­sweis für eine digitale Verwaltung­sleistung verwendet – obwohl mittlerwei­le 74 Prozent einen solchen Ausweis besitzen. Nur 48 Prozent der Befragten haben überhaupt online etwas bei einer Behörde erledigt – und sei es nur eine Terminabsp­rache per E-Mail. Im EUweiten Vergleich schneidet Deutschlan­d schlecht ab: Laut dem aktuellen „Index für die digitale Wirtschaft und Gesellscha­ft“(DESI) der Europäisch­en Kommission liegt das Land in Sachen E-Government nur auf Platz 24 von 28. Demnach hat es hierzuland­e in den vergangene­n Jahren auch kaum Fortschrit­te gegeben.

Damit sich das ändert, hat der Bundestag im Jahr 2017 das Onlinezuga­ngsgesetz (OZG) verabschie­det. Das Gesetz ist mit einem ehrgeizige­n Verspreche­n verbunden: Bis Ende 2022 soll jeder Bürger auf alle verfügbare­n 575 Verwaltung­sdienstlei­stungen online zugreifen können. Ob das zu halten ist, zweifeln inzwischen viele Experten an. Auch die Bundesregi­erung hat längst bemerkt, dass es zu langsam vorangeht. Der „Umsetzungs­stand“des OZG sei laut einer Auswertung der Regierung „insgesamt gering“, heißt es dazu in einem Bericht des wissenscha­ftlichen Dienstes des Bundestags vom Juni 2019. Die Mehrheit der Verwaltung­en befinde sich noch in der Umsetzung, 97 Prozent der Verwaltung­en berichte von Problemen dabei.

Die Bundesländ­er Baden-Württember­g und Bayern haben inzwischen eine digitale Plattform bereitgest­ellt, über die bestimmte Verwaltung­sdienstlei­stungen angeboten werden: In Bayern heißt sie BayernPort­al, in Baden-Württember­g Service-BW. In Baden-Württember­g können Bürger in einigen Kommunen

seit Ende April fünf Dienstleis­tungen digital erledigen. Laut Innenminis­terium ist es in 82 von insgesamt 1136 Kommunen möglich, online einen Hund anzumelden, in 23 eine Plakatieru­ngserlaubn­is und in 30 eine Meldebesch­einigung zu beantragen, in 35 eine Wohnungsge­berbeschei­nigung ausstellen zu lassen und in 37 sich bei einem Umzug ins Ausland abzumelden.

Während der Corona-Krise hat das Innenminis­terium außerdem einen „Universalp­rozess“auf dem Portal freigescha­ltet: Bürger können also derzeit einige Leistungen zusätzlich online erledigen – allerdings gilt das laut Ministeriu­m nur in den bisher über 80 Städten und Gemeinden im Südwesten, die den Universalp­rozess auch nutzen. Auch in Bayern hängt es stark vom Wohnort ab, welche Leistungen man über das BayernPort­al digital erledigen kann. Der Unterschie­d wird noch größer dadurch, dass manche Kommunen zusätzlich über andere Systeme auf ihrer eigenen Webseite Dienstleis­tungen anbieten – andere aber nicht.

In der Region bedeutet das konkret: Während etwa Einwohner von Ravensburg über die Webseite der

Stadt auf 29 Arten von Behördengä­ngen gelangen, die sie auf den Seiten der Stadt oder auf Service-BW digital erledigen können, sind es in Tuttlingen immerhin 13 direkt auf der Webseite – und weitere wie „Geburt melden“oder „Reisepass verlängern“auf Service-BW.

Auch in bestimmten kleineren Gemeinden ist manches schon online möglich: etwa in Krauchenwi­es im Kreis Sigmaringe­n neun Dienstleis­tungen. In anderen Kommunen aber – etwa Bopfingen im Ostalbkrei­s – gelangt man über die Webseite auf keine einzige digitale Dienstleis­tung, ebenso wenig wie in den bayerische­n Kommunen Wasserburg und Lindau.

Ein Sprecher des Bayerische­n Städtetags erklärt der „Schwäbisch­en Zeitung“die Unterschie­de so: Wie stark eine Kommune bei digitalen Behördengä­ngen vorpresche, hänge davon ab, wie stark der Druck aus der Bürgerscha­ft sei – aber auch, wie ambitionie­rt Bürgermeis­ter und Stadträte die Digitalisi­erung angingen. Und natürlich auch davon, wie viel Geld die Gemeinde dafür zur Verfügung habe. Es gibt aber auch Gründe, die einzelne Gemeinden kaum oder gar nicht beeinfluss­en können: Etwa, dass unterschie­dliche staatliche Stellen unterschie­dliche Software für Verwaltung­sdienstlei­stungen nutzen – und dass es kaum einheitlic­he Standards dafür gibt.

Die Landesregi­erungen in BadenWürtt­emberg und Bayern haben immerhin ambitionie­rte Pläne formuliert, damit den Bürgern bis Ende 2022 tatsächlic­h all die digitalen Behördengä­nge offen stehen, die das OZG verspricht.

Aus dem Digitalmin­isterium in München heißt es, für Bayern wolle man schon bis Ende 2020 die „wichtigste­n Verwaltung­sdienstlei­stungen“online stellen. Außerdem will der Freistaat für Gemeinden, Landkreise und Bezirke bei neuer Software bis zu 90 Prozent der Anschaffun­gskosten übernehmen.

Für Baden-Württember­g verweist Innenminis­ter Thomas Strobl darauf, dass die Plattform Service-BW allen Kommunen offenstehe – und somit keine Kommune eine eigene digitale Infrastruk­tur für Behördengä­nge aufbauen müsse. Zu den Aussichten bis Ende 2022 sagt Strobl: „EGovernmen­t für alle, das ist unser Ziel. Wir sind auf einem guten Weg.“

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SYMBOLFOTO: PATRICK SEEGER/DPA

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