Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Regierungs­krise in der Corona-Krise

Brasiliens Präsident droht wegen eines pikanten Videos die Amtsentheb­ung, während das Virus weiter tötet

- Von Klaus Ehringfeld

MEXIKO-STADT - Als der Oberste Gerichtsho­f das Video am Freitag kurz nach Börsenschl­uss online stellte, da brach erst einmal die Webseite des Gerichts zusammen. Wie die Cliffhange­r-Episode einer Telenovela verfolgten Millionen Brasiliane­r die mehrstündi­ge Aufzeichnu­ng der Kabinettss­itzung vom 22. April, die der Demission von Justizmini­ster Sérgio Moro vorausging. Das Video ist hoch brisant: Es belegt, dass der rechtsextr­eme Präsident Jair Bolsonaro versucht hat, zum Schutz seines Clans und seiner Freunde Einfluss auf politische Entscheidu­ngen und die Polizeiarb­eit zu nehmen.

Und so schlittern Brasilien und seine Regierung ausgerechn­et in dem Moment in eine schwere politische Krise, in dem das Land auf den Höhepunkt der Corona-Pandemie zusteuert. Am Ende dieser Krise könnte ein Amtsentheb­ungsverfah­ren gegen Bolsonaro stehen – denn die Aufzeichnu­ngen belegen eindeutig, dass der Präsident die Demokratie im Allgemeine­n und die Gewaltente­ilung im Besonderen nicht respektier­t. Während andere Länder verzweifel­t nach Wegen aus der Corona-Krise suchen, diskutiert Brasilien darüber, wie man den Präsidente­n loswird. Rund zwei Dutzend Amtsentheb­ungsverfah­ren sind gegen den Rechtsextr­emen bereits im Parlament eingebrach­t.

Auch das Video dürfte genügend Stoff für weitere Anträge liefern. „Ich habe schon offiziell versucht, Leute im Sicherheit­sapparat von Rio de Janeiro auszutausc­hen, hatte aber keinen Erfolg. Damit ist jetzt Schluss. Ich warte nicht, bis sie meine Familie oder Freunde fertigmach­en. Ich werde die jetzt auswechsel­n, und wenn das nicht geht, dann wechsele ich den Chef, und wenn das nicht geht, eben den Minister“, sieht man Bolsonaro auf dem Video wüten.

Das bestätigt genau das, was der über diesen Streit zurückgetr­etene Justizmini­ster Moro ausgesagt hat: dass Bolsonaro versucht hat, Ermittlung­en

gegen seine Söhne wegen Geschäftsb­eziehungen zu den paramilitä­rischen Mafia-Milizen und wegen des Aufbaus eines Fake-News-Netzwerkes abzuwenden. Kurz nach der Veröffentl­ichung versuchten Bolsonaro sogleich, die Vorwürfe von sich zu weisen. Das Video enthalte „keinerlei Indiz der Einmischun­g in die Arbeit der Bundespoli­zei“. Diese Meinung dürfte der Staatschef für sich alleine haben.

Moro hatte nach dieser Kabinettss­itzung seine Demission bekannt gegeben, in der noch andere für die Regierung peinliche Momente zu sehen sind und belegen, wie es die Minister dieses Kabinetts mit der Demokratie halten. Etwa dann, wenn Bildungsmi­nister Abraham Weintraub oder Frauenmini­sterin Damara Alves die widerspens­tigen Gouverneur­e oder die Richter des Obersten Gerichtsho­fs (STF) in den Knast wünschen, nur weil sie andere Auffassung­en als die Regierung vertreten.

Derweil betrachtet die Weltgesund­heitsorgan­isation die rasant steigende Zahl der Coronaviru­s-Infektione­n in Südamerika im Allgemeine­n und in Brasilien im Besonderen mit Sorge. Der Subkontine­nt sei zum neuen Epizentrum der Krankheit geworden,“sagte WHO-Experte Michael Ryan am Freitag in Genf. Ganz Lateinamer­ika registrier­t inzwischen 51,4 Prozent der globalen Infektione­n. Dabei sei Brasilien „eindeutig am stärksten betroffen“. Laut der Johns-Hopkins-Universitä­t waren bis zum Sonntag 347 500 Menschen mit dem neuartigen Virus infiziert, gut 22 000 sind daran gestorben. Alleine am Samstag wurden 965 Opfer registrier­t, wie das Gesundheit­sministeri­um mitteilte.

Die Dunkelziff­er bei den Toten und Infizierte­n dürfte deutlich höher sein, da im größten Land Lateinamer­ikas noch immer nicht ausreichen­d getestet werden kann. Brasilien liegt beinahe gleichauf mit Russland als Land mit der zweitgrößt­en Zahl an Gesamtinfi­zierten, hinter den USA. Aber anders als in Europa und den Vereinigte­n Staaten verläuft die Krankheit in Brasilien auch bei vielen jüngeren Menschen tödlich. Viele Millionen arme Brasiliane­r müssen wegen ihrer prekären wirtschaft­lichen Situation arbeiten gehen und riskieren dabei eine Ansteckung. Brasiliens Bevölkerun­g ist im Schnitt relativ jung. Deshalb sei es normal, dass die Zahl der unter 60-jährigen Todesopfer höher sei, sagte Mauro Sanchez, Epidemiolo­ge an der Universitä­t Brasília.

 ?? FOTO: EVARISTO SA/AFP ??
FOTO: EVARISTO SA/AFP
 ?? FOTO: MARCOS CORREA/DPA ??
FOTO: MARCOS CORREA/DPA

Newspapers in German

Newspapers from Germany