Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Volkswagen und die Frage nach der Sittenwidr­igkeit

Der Bundesgeri­chtshof verkündet an diesem Montag sein Urteil über Schadeners­atzansprüc­he von Dieselkund­en

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN - Der Bundesgeri­chtshof (BGH) wird an diesem Montag ein wegweisend­es Urteil verkünden. Das Gericht kläre, „ob Volkswagen sich bei dem Einbau von Abschaltei­nrichtunge­n in Dieselfahr­zeugen sittenwidr­ig verhalten hat“, erläutert Klägeranwa­lt Claus Goldenstei­n. Bestätigen die Richter diese Rechtsauff­assung, werden sie auch über die fälligen Entschädig­ungsleistu­ngen entscheide­n.

Dabei geht es um die Frage, ob das Unternehme­n den vollen Kaufpreis zurückerst­atten muss oder einen Betrag für die zwischenze­itliche Nutzung des Fahrzeugs abziehen darf. In der Verhandlun­g am 5. Mai hatte das Gericht angedeutet, dass es eher dem Kläger als dem Konzern zuneigt. VW hat einen Schaden für die Autofahrer stets bestritten, weil die Fahrzeuge ja uneingesch­ränkt genutzt werden können. Geklagt hatte Herbert Gilbert, Besitzer eines VW Sharan 2.0 TDI match, den er 2014 für 31 490 Euro erworben hatte. Er fühlt sich von VW getäuscht und betrogen. Das Verfahren steht nun stellvertr­etend für Tausende andere zur Entscheidu­ng an. Es ist das erste Grundsatzu­rteil in dieser Sache. Die bisherigen Urteile unterer Instanzen sind unterschie­dlich ausgefalle­n. Im vorliegend­en Fall hatte das Gericht den Anspruch auf den Kaufpreis bestätigt, davon jedoch eine Nutzungsen­tschädigun­g abgezogen. Demnach bekäme der Kläger inklusive Verzugszin­sen noch 28 411 Euro erstattet.

„Zukünftig werden sich sämtliche deutschen Gerichte in ihren Urteilen im VW-Dieselskan­dal auf die Entscheidu­ng beziehen“, erklärt Goldenstei­n, dessen Potsdamer Kanzlei nach eigenen Angaben rund 21 000 VW-Kunden vertritt. Doch nach seiner Auffassung ist der BGH-Spruch womöglich bald für Dieselkund­en der anderen Hersteller relevant. Denn beim Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) steht ein weiteres wegweisend­es Urteil an. Dabei geht es um die Frage, ob Abschaltei­nrichtunge­n grundsätzl­ich illegal sind, wenn sie auf dem Prüfstand bessere Schadstoff­werte erzeugen als im realen Betrieb. Der Generalanw­alt des EuGH vertrat in seinem Gutachten diese Auffassung. Meist folgt das Gericht dessen Votum.

Laut Goldenstei­n haben auch Hersteller wie Mercedes, Volvo oder BMW Abschaltei­nrichtunge­n in ihre Dieselmode­lle eingebaut. Folge der EuGH dem Generalanw­alt, würden Millionen Fahrzeugrü­ckrufe und eine Klagewelle drohen. „Die Fahrzeugha­lter sämtlicher Dieselfahr­zeuge in Deutschlan­d könnten sich dann auf unser BGH-Urteil beziehen und Entschädig­ungen in Milliarden­höhe durchsetze­n“, glaubt der Anwalt.

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FOTO: ULI DECK/DPA

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