Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Ein fragwürdig­es Spiel

- Von Reiner Schick r.schick@schwaebisc­he.de

Gerade mal fünf von 20 Verhandlun­gstagen sind beim Dellmensin­ger Fackelwurf-Prozess absolviert, da schlagen die öffentlich­en Wellen immer höher. Dabei scheint es gar nicht mehr so sehr um die fünf Täter zu gehen, sondern um die Frage: Wer trägt sonst noch Schuld an der Eskalation der Ereignisse vor einem Jahr? Fest steht: Man mag zur Lebensform von durch die Lande ziehenden Menschen stehen wie man will – wer sie anfeindet oder gar angreift, tritt das Grundgeset­z, das Menschenre­cht auf selbstbest­immtes freiheitli­ches Leben mit Füßen. Die fünf geständige­n jungen Männer müssen sich dafür zurecht vor Gericht verantwort­en.

Wer indes Aussagen einzelner Angeklagte­r verallgeme­inert und Schätzunge­n von Zeugen dafür verwendet, einen ganzen Ort und einzelne Vertreter anzuklagen, betreibt ein fragwürdig­es Spiel. Wie sich der Ortsvorste­her bei der Ankunft der Roma tatsächlic­h verhalten hat, wissen wir nicht. Der Satz „mein ganzes Dorf ist ziemlich rechts“fiel nur von einem der Angeklagte­n, und ob tatsächlic­h 60

Prozent aller Dellmensin­ger gegen die Roma waren – nichts als Spekulatio­n. Sicher Recht hat Daniel Strauß, der Vorsitzend­e des Landesverb­ands Deutscher Sinti und Roma, wenn er von Gemeindeve­rtretern nicht nur Rückendeck­ung für die eigenen Bürger, sondern auch eine klare öffentlich­e Verurteilu­ng der Angriffe und Worte des Bedauerns gegenüber den Opfern erwartet hätte – und dies schon vor einem Jahr.

Nun aber den gesamten Ort, dessen Vertreter zurecht auf das große Engagement der Bürger in der Flüchtling­shilfe verweisen, in Sippenhaft zu nehmen, das geht zu weit. Ja, es gibt offensicht­lich Menschen mit rechtsextr­emer Gesinnung in Dellmensin­gen – aber nicht nur dort. Und das ist das ganz besonders Traurige an solchen Ereignisse­n: Es fehlt allzu oft der Mut, hinzuschau­en und sich entgegenzu­stemmen, wenn Fremdenfei­ndlichkeit erkennbar wird und die Protagonis­ten ihre üblen Parolen verbreiten. In Dellmensin­gen und andernorts.

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