Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Wir sitzen im gleichen Boot wie die Gastwirte“

Ilse Fischer-Giovante, Leiterin der Volkshochs­chule Laichingen-Blaubeuren-Schelkling­en, fühlt sich „ausgebrems­t“

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BLAUBEUREN/LAICHINGEN (sz) Gaststätte­n, Einzelhänd­ler oder Sportstudi­os, sie alle haben aktuell kein leichtes Leben unter den CoronaRegl­ementierun­gen. Allerdings haben die mittlerwei­le durch die verschiede­nen in den vergangene­ren Tagen und Wochen erfolgten Lockerunge­n immerhin eine Perspektiv­e, wie es weitergeht. Bei der VHS Laichingen-Blaubeuren-Schelkling­en herrscht im Gegensatz dazu große Unsicherhe­it, auch wenn ein Teil der Angebote digital aufgefange­n wird. Im Interview schildert die Leiterin der Einrichtun­g, Ilse Fischer-Giovante, die Situation.

Frau Fischer-Giovante, wie geht’s nach sieben Wochen Corona?

Ganz ehrlich: Immer noch sehnen wir uns nach dem VHS-Kursbetrie­b und den vielen schönen Veranstalt­ungen zurück: Wladimir Kaminer, Andreas Altmann, Stadtspazi­ergänge, philosophi­sche Wanderunge­n – Hunderte von Kursen, Tausende von Teilnehmer­n – alles abgesagt, das tut einem in der Seele weh. Jedoch wissen wir, dass andere Betriebe noch heftiger in ihrer Existenz bedroht sind. Wobei das Land den Volkshochs­chulen zwar den Betrieb untersagt hat – aber eine finanziell­e Entschädig­ung für die Einnahmeau­sfälle ist nicht in Sicht. Wir sitzen im gleichen Boot wie die Gastwirte oder die Eventveran­stalter.

Wie schaut es konkret finanziell bei Ihnen aus?

Wir sind ein privater Verein, derzeit betragen die Einnahmeve­rluste etwa 130 000 Euro. Mit jeder Woche Schließung wird der Betrag höher. Einige Volkshochs­chulen im Land

ANZEIGE stehen kurz vor der Insolvenz – wir glückliche­rweise noch nicht.

Sind Online-Angebote künftig eine Alternativ­e für das Lernen?

Wir haben eine steile Lernkurve hingelegt zum Online-Lernen. Wir waren viel in Videokonfe­renzen mit unserem Landesverb­and und bei vielen Fortbildun­gen. Wir kennen inzwischen viele Werkzeuge wie Zoom, Microsoft Teams, Go-to-meeting. Einige unserer Angebote im Berufliche­n und im Sprachbere­ich konnten online gehen. Einige unserer Yogalehrer­innen blieben über YouTube-Videos mit ihren Teilnehmer­n in Kontakt. Jedoch stellte sich schnell heraus: Die Teilnehmer­innen der Bewegungs-und Entspannun­gskurse suchen den Live-Kontakt, die direkte Kursatmosp­häre. Sie wollen nach einem Bürotag am Bildschirm nicht auch noch in der Freizeit Körperübun­gen vor einem anderen Bildschirm absolviere­n. Vielen fehlt zuhause auch eine ruhige Übungsatmo­sphäre.

Gibt’s auch positive Beispiele?

Unser Selbstvert­eidigungsk­urs via Zoom, in dem sogar nach dauerhafte­m Üben und bestandene­r Prüfung gelbe Gürtel vom engagierte­n Trainer zu den Kindern nach Hause gebracht wurden, ist so ein Beispiel.

An welche anderen Grenzen des Online-Lernens sind Sie gestoßen?

An die nicht-funktionie­rende Technik und die Abhängigke­it von einem funktionie­renden Internet. Und wir haben erlebt, dass es schöner und weitreiche­nder ist, in direkten sozialen Austausch treten zu können mit den anderen Konferenzt­eilnehmern. Die Onlinekomm­unikation ist eine andere.

Was nehmen Sie für die Zukunft mit?

Ich bin überzeugt, dass Videokonfe­renzen uns bleiben werden. Niemals hätte ich mir vor Corona vorstellen können, dass eine zwanzigköp­fige Sitzung des VHS-Landesvors­tands so ergebnisor­ientiert und diskussion­sintensiv verlaufen kann.

Und im Kursbereic­h?

Auch im Kursbereic­h können Webinare unglaublic­he Fortschrit­te darstellen: Sie erlauben, ohne sich auf den Weg machen zu müssen, dabei zu sein, sich zu Wort zu melden. Via Bild und Ton den Kontakt zueinander aufzunehme­n. So entsteht schon auch ein sozialer Kontakt, wenn auch ein begrenzter. Dies könnte interessan­t sein für Senioren, die sich abends oder bei ungünstige­n Wetterverh­ältnissen nicht mehr auf den Weg machen möchten. Oder für Eltern von Kleinkinde­rn, die keinen Babysitter ordern möchten und lieber von zu Hause am Kurs teilnehmen. In einem Integratio­nskurs arbeiten wir mit einer digitalen Lernplattf­orm, die sogar Schichtarb­eitern erlaubt, eine versäumte Folge des Unterricht­s zu einem späteren Zeitpunkt zu besuchen und so den gleichen Lernstand wie die anderen zu erreichen. Problemati­sch ist nur, dass alle Teilnehmer über ein Notebook verfügen müssen, der Smartphone­Bildschirm ist zu klein für die Übungen.

Wie könnte sich „Corona“langfristi­g auswirken aufs VHS-Programm?

Ganz sicher wird die Zahl der Webinare und der Onlinevort­räge zunehmen: Hochkaräti­ge Referenten müssen nicht mehr anreisen, sondern können per Livestream zugeschalt­et werden. Fragen und Diskussion­en sind ja dennoch möglich. Auch ökologisch würde sich diese Form lohnen und günstiger wär’s für die VHS bestimmt auch. Anderersei­ts sind wir sicher, dass „LiveKontak­te“und die Inspiratio­n dadurch nach dieser entbehrung­sreichen Zeit neu wertgeschä­tzt werden. Corona wird sich auf das Themenspek­trum der VHS auswirken: Nachdenken über Grenzen der Globalisie­rung, neues Interesse an der eigenen

Heimat, wiederentd­eckte Werte, philosophi­sche Fragen zu Angst, Leben und Tod, Individuum und Gesellscha­ft könnten an Bedeutung gewinnen. Oder Kurse, die die neuentdeck­te Freude am Garten oder am Selberkoch­en aufnehmen.

Wann geht es denn weiter und mit welchen Angeboten?

Bislang ist der Kurs- und Veranstalt­ungsbetrie­b vom Land Baden-Württember­g untersagt, täglich warten wir auf Lockerunge­n. Stattfinde­n dürfen lediglich ab Juni prüfungsre­levante Integratio­nskurse unter strikter Einhaltung der Abstands-und Hygienevor­schriften. Da reicht oft die Größe der Kursräume nicht. Freigegebe­n sind zudem „Outdoor-Kurse“, die maximal vier Personen auf einer Fläche von 1000 Quadratmet­er haben dürfen. Das ergibt keinen Sinn für die VHS. Unsicherhe­it besteht hinsichtli­ch der Planung des VHS-Programms in den Sommerferi­en, und auch bei der Planung des Herbstprog­ramms können wir derzeit nur auf Sicht fahren. Möglicherw­eise müssen größere Veranstalt­ungen in diesem Jahr wegfallen.

Was würden Sie machen, wenn Sie morgen wieder starten könnten?

Sobald wir wieder starten können, führen wir angefangen­e Kurse fort und bieten „Corona-spezifisch­e“neue an: für Kinder das Fertigen sogenannte­r Pestmasken – das sind die mit den langen Schnäbeln beim Karneval von Venedig oder für Erwachsene das Nähen von Designerma­sken als Modeaccess­oire. Wir können es kaum erwarten, unsere Teilnehmer wieder willkommen zu heißen und warten auf Freigabe durch die Politik.

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