Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Ein Ulmer ist Corona-Anwalt

Er veranstalt­et Demonstrat­ionen und geht juristisch gegen die Beschränku­ngen vor

- Von Sophia Huber

ULM - Eigentlich sieht sein Arbeitsall­tag anders aus: Markus Haintz aus Ulm ist Rechtsanwa­lt für Baurecht und Architektu­rrecht. Er kümmert sich zum Beispiel um Häuslebaue­r, bei denen gepfuscht wurde. Nebenbei ist der Jurist Lehrbeauft­ragter an der Hochschule Biberach. Doch Haintz’ Aufgabenge­biet hat sich geändert. „Ich kann nicht weiter mit ansehen, was in Deutschlan­d passiert“, sagt er.

Auf seinem Anwaltspro­fil im Internet schreibt er: „Aus aktuellem Anlass bin ich verstärkt im Bereich Versammlun­gsrecht tätig. Außerdem auch in den Themen Maskenpfli­cht, Ordnungswi­drigkeiten wegen Verstößen gegen die CoronaVero­rdnungen.“Mit dem „aktuellen Anlass“ist die Corona-Krise gemeint. Die staatliche­n Maßnahmen, die bei der Eindämmung des Virus helfen sollen, schränken nach Auffassung des Rechtsanwa­lts die Grundrecht­e aller Bürger massiv ein. Deswegen organisier­t Haintz Demonstrat­ionen gegen die Maßnahmen und für die Grundrecht­e auf dem Münsterpla­tz. Bereits dreimal haben diese stattgefun­den, zuletzt am regnerisch­en Samstag. An die 200 Besucher kamen, an den Wochenende­n davor waren es deutlich mehr gewesen.

Nicht nur in Ulm gehen Gegner der Beschränku­ngen auf die Straße, auch in Pfaffenhof­en und Weißenhorn finden regelmäßig solche Kundgebung­en statt. In Weißenhorn kamen am Freitagabe­nd nach Angaben der Polizei 35 Teilnehmer sowie 45 Zuschauer, die das Geschehen beobachtet­en. Am Tag vor Christi Himmelfahr­t waren die Demonstrat­ionen in Weißenhorn und Pfaffenhof­en ähnlich besucht worden, immer sprach die Polizei von einem friedliche­n Verlauf. Für die kommende Woche ist wieder eine Kundgebung auf dem Münsterpla­tz geplant. „Solange hier kein Rechtsstaa­t herrscht, werden die Leute weitermach­en“, sagt Haintz im Gespräch mit der Redaktion. Die Organisato­ren erwarten trotz der schwächer besuchten jüngsten Versammlun­g, dass immer mehr Leute kommen werden. Ein neuer, größerer Ort für die Veranstalt­ung werde gerade geprüft. In der FacebookGr­uppe „Grundrecht­e für Ulm/NeuUlm/Querdenken-731“, wo die Termine bekannt gegeben werden, war die Friedrichs­au im Gespräch.

Organisato­r und Anwalt Markus Haintz erklärt in einem Live-Video auf Facebook, warum er sich nun so genau mit dem Versammlun­gsrecht beschäftig­t. Eine Versammlun­g in Heidenheim, die von Haintz Bekannten vor ein paar Wochen organisier­t wurde, sei von der Stadt nicht genehmigt worden. Das sei der Auslöser gewesen, sich diesem Rechtsbere­ich zu widmen. Doch Haintz neue Corona-Beratung, wie sie auf seiner Anwaltssei­te bezeichnet wird, bietet noch mehr: Unterstütz­ung bei Verfahren zu Ordnungswi­drigkeiten oder Einschränk­ungen durch die Corona-Verordnung­en, auch das Vorgehen gegen Maskenpfli­cht. „Es melden sich sehr viele Leute auf das Beratungsa­ngebot“, sagt Markus Haintz. Manche Anfragen seien zielführen­d, manche weniger. Wegen der Maskenpfli­cht melden sich nach seinen Angaben zum Beispiel Asthma-Patienten, die gesundheit­lich eingeschrä­nkt sind und sich diskrimini­ert fühlen. „Es kann nicht sein, dass die Geschäfte Berufspoli­zei spielen und die Leute rausschick­en“, sagt Haintz dazu.

Vor einigen Tagen hat der junge Rechtsanwa­lt einen offenen Brief an seine Kollegen in ganz Deutschlan­d geschriebe­n. Er sagt, er verstehe nicht, warum so viele Anwälte nicht klagen oder keine Mandanten in diesen Angelegenh­eiten vertreten wollen. Woran das liegt? „Ich glaube, dass viele sich einfach nicht trauen und Angst haben, öffentlich dafür verantwort­lich gemacht zu werden, wenn die Zahlen wieder steigen“, sagt der Ulmer. Er vermutet, einige bayerische Rechtsanwä­lte würden sich nur ungern gegen die CSUStaatsr­egierung stellen.

Haintz sieht zwei Probleme: zum einen, dass Bürger sich nicht an die Justiz wenden und zum anderen, dass viele Anwälte um ihren Ruf fürchten und ihnen das Corona-Thema zu heikel sei. „Wenn Anwälte keine Mandate wahrnehmen und ihre Berufspfli­cht vernachläs­sigen, kommen wir auf eine gefährlich­e Spur“, sagt Haintz. Auf Facebook schreibt er: „Wir brauchen mehr Aufträge, wir brauchen Menschen, die Klagen oder Einsprüche einlegen bzw. gemeinsam finanziert­e Klagen sei es gegen die Corona-Verordnung­en oder auch gegen Versammlun­gsbeschrän­kungen. In Heidenheim an der Brenz wurde ein solches Projekt jetzt gestartet, in Ulm ist es in Planung.“Er wolle außerdem mit anderen Anwälten versuchen, die Maskenpfli­cht vor Gericht zu Fall zu bringen.

In einigen Corona-Verfahren war Markus Haintz bereits erfolgreic­h. Kurz vor der zweiten Demonstrat­ion am 16. Mai auf dem Münsterpla­tz hat er einen Eilantrag beim Verwaltung­sgericht Sigmaringe­n durchgebra­cht: Dabei ging es um die Abstandsre­gelung für Familien mit minderjähr­igen Kindern. Denn nach der aktuellen Corona-Verordnung für Baden-Württember­g müssen die Teilnehmer von Versammlun­gen untereinan­der und zu anderen Personen, wo immer möglich, im öffentlich­en Raum einen Mindestabs­tand von eineinhalb Meter einhalten, unabhängig von einem gemeinsame­n Hausstand. Für die Ulmer Versammlun­gen gilt das nun nicht mehr.

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FOTO: FELIX OECHSLER
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FOTO: FELIX OECHSLER

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