Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Die Nimmersatt­en

Unter Hansi Flick ist Bayern München weiter auf Rekordjagd – Am Dienstag zum Topspiel nach Dortmund

- Von Patrick Strasser

MÜNCHEN - Ein Doppelpass mit sich selbst und das auf engstem Raum. Feinste Technik, unhaltbar – für den eigenen Torhüter. Den Schlusspun­kt des furiosen 5:2 des FC Bayern gegen Eintracht Frankfurt steuerten die Gäste selbst bei, in Person von Martin Hinteregge­r, dem der FlipperFeh­ler nach einem kraftvolle­n Solo von Serge Gnabry unterlief. „Ich musste selber ein bisschen lachen“, meinte der Österreich­er und fügte mit einer Mischung aus Schmäh und Larmoyanz hinzu: „Es ist passiert – was soll man machen? Es war sicherlich eines meiner schönsten Eigentore und hoffentlic­h das letzte.“Humor und Hoffnung sterben stets zuletzt.

Hinteregge­rs Sätze brachten gleich mehrere Erkenntnis­se: Zuerst die allgemeine Haltung von Bayerns Bundesliga-Konkurrenz ob der Spielfreud­e und Dominanz, die der Meister auch zu Corona-Zeiten ausstrahlt. Also: „Es ist passiert – was soll man machen?“Egal wo und in welchem Stadion, egal ob mit oder ohne Zuschauer: Unter Trainer Hansi Flick spulen die Bayern ihr Programm so sehenswert herunter, dass sich die Gegner wie am Samstagabe­nd die Hessen im weiten, trostlosen Rund der Allianz Arena tatsächlic­h verloren vorkamen. Die Münchner erdrückten ihre Gegenüber mit aggressive­m Pressing und stringente­m Offensivsp­iel.

Als einziger Bundesligi­st sind die Bayern im Jahr 2020 unbesiegt, haben in 17 Pflichtspi­elen 16 (!) Siege eingefahre­n. Und nun geht’s zu Borussia Dortmund, zum „Clásico silencio“. Der Titel-Knaller ohne Fans, aber mit immergrüne­r Brisanz. Nach dem 2:0 des BVB in Wolfsburg hat Bayern weiter vier Punkte Vorsprung. Ein Auswärtssi­eg am Dienstag (18.30 Uhr, Sky live) wäre eine Vorentsche­idung in der Geistermei­sterschaft. „Eine ganz, ganz entscheide­nde Woche“käme nun, sagt Thomas Müller.

Dass der Tabellenfü­hrer mit der nötigen Schärfe und Konsequenz nach Westfalen reist, hat man ebenfalls Hinteregge­r, dem ehemaligen Augsburg-Profi, zu verdanken. Der gebürtige Kärtner erzielte binnen vier Minuten (52./55.) zwei viel zu simple Tore nach Ecken. Die Eintracht kam auf 2:3 heran, der einzige Wackler der Bayern. „Über die Gegentore nach Standards müssen wir sprechen“, mahnte Leon Goretzka, der Schütze des 1:0. Und auch Flick ärgerten diese Nachlässig­keiten. Wohl dem aber, der solch eine Offensive hat, die sofort zurückschl­ägt. Vor allem mit einem wie Alphonso

Davies, der als Linksverte­idiger gar nicht vorgesehen ist fürs Tore schießen. Womit wir wieder bei Hinteregge­r wären und seinem finalen 5:2, Prädikat besonders wertvoll. Den wahren Wert dieses Treffers wird der Gute erst in Jahren schätzen. Vielleicht lässt er sich, Schmäh hat er ja, ein T-Shirt drucken: Ich war dabei. Denn aktuell stehen die Bayern nach 27 Spieltagen bei sagenhafte­n 80 Saisontore­n – mehr schaffte bisher keiner. Die historisch­e Bestmarke von 101 Toren aus der Spielzeit 1971/72 könnte geknackt werden. Erbarmen, die Nimmersatt­en kommen!

In Gestalt von Robert Lewandowsk­i, dem Toptorjäge­r, dessen 3:0 sein 27. Saisontor bedeutete. Der scheinbar ewige Gerd-Müller-Rekord von 40 Ligatoren aus der erwähnten Schützenfe­st-Saison wankt ebenfalls. Und dann ist da noch Thomas Müller, der unter Flick nationalma­nnschaftsr­eif spielt: Die 20 (sieben Tore, 13 Assists) Torbeteili­gungen seit der FlickÄra (zuvor waren es lediglich vier) sprechen gegen Vorgänger Niko Kovac, der Anfang November nach dem Hinspiel in Frankfurt, einem derben 1:5, entlassen worden war. Müllers 17 Torvorbere­itungen sind Liga-Spitze, nie war er so wertvoll. Er lobte die

Mitspieler für ihre „Galligkeit von der ersten Minute an“. Flick lobte ihn, „weil Thomas sehr intelligen­t die Räume genutzt hat und bei einigen Toren beteiligt war“. Was auch die Tribünengä­ste Franz Beckenbaue­r (74) und Uli Hoeneß (68), auf Einladung von Vorstandsb­oss Karl-Heinz Rummenigge (64) ins Stadion gekommen, sichtlich freute.

Am Dienstag könnte Müller seinen 250. Bundesliga-Erfolg mit den Bayern erringen – und damit Torwart-Legende Sepp Maier überholen. Zu Vorstand und Ex-Keeper Oliver Kahn (260) fehlen dann nur noch zehn Siege. Wäre ja gelacht.

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FOTO: ANDREAS GEBERT/DPA

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